Zähle ich die Münder, aus denen mir seit Jahren schier unbegreifliche Dezibelzahlen entgegenschallen, komme ich auf gut 20 – und das sind nur die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnenden Kinder. Deren Gäste fallen da kaum noch ins Gewicht. Beschwerden über den Lärm? Vorsichtige und hin und wieder sogar verzweifelte Bitten, wenigstens nicht gerade vor meinem Bürofenster, sondern ein paar Meter abseits die mächsten Stimmvolumina auszutesten, damit ich wenigstens hin und wieder verstehe, was die Stimme aus dem Telefonhörer von mir will? „Ruhe!“-Rufe von mir, der Kinderlosen inmitten einer verdammt geburtenstarken Gegend?! Besser nicht. Irgendwann wurde mir klar, dass ich – ooohhhmmm – die Zeit für mich arbeiten lassen muss.
Die Kleinen sind nun Große, die lange Schulwege und lange Unterrichtstage gute halbe Tage von mir fern halten. Dummerweise ist das Dorf, vor allem aber die Siedlung, in das ich vor 11 Jahren versehentlich gezogen bin, so fruchtbar, dass es an immer wieder neuen Schreihälse nicht mangelt. Zwar fürchte ich mich schon vor Mofageknatter und Sportauspuffröhren sowie vierrädrige Bassreflexboxen, aber noch herrscht diesbezüglich Ruhe. Ich will´s nicht verschreien… Was ich eigentlich erzählen wollte, versteckte sich dieser Tage zwischen Meldungen aus Ägypten, über Wikileaks und Monica Lierhaus. Dabei war das, was ich da las, gar nicht uninteressant:
Der Landeschef des CDU-Seniorenverbands hält Spielplätze in reinen Wohngebieten für verfassungswidrig und vergleicht sie mit dem Hämmern eines Pressluftbohrers.
Lärmgeschädigt Neugierig, wie ich nun einmal bin, lese ich weiter:
„Nicht nur Kinder haben Rechte, auch ältere Menschen“,
stellt Leonhard Kuckart durchaus richtig fest. Rasch schießt mir eine Frage durch den Kopf: Bin ich „älter“? Egal, aufregen tut den armen (älteren?) Mann das:
Die Bundesregierung will mit der Gesetzesänderung Klagen gegen Kitas und Kinderspielplätze erschweren. Lärm spielender Kinder soll nicht mehr als schädliche Umwelteinwirkung gelten. Durch eine Novelle des Bauplanungsrechts soll zudem klargestellt werden, dass Kitas und Spielplätze in reinen Wohngebieten grundsätzlich zulässig sind. Der Gesetzentwurf soll noch in diesem Monat ins Kabinett kommen.
Naja, als „schädliche Umwelteinwirkung“ empfinde ich das Gejohle der Kids nun nicht gerade. Manchmal nervig, manchmal ist es mir einfach nur egal. Und manchmal schaue ich ihnen sogar zu, zumindest, wenn sie mal nicht nur kriegerisch aufeinander losgehen, sondern Hockey oder Fußball spielen. Und so manche Lebensweisheit von Zehnjährigen, die durch mein (geschlossenes) Bürofenster dringt, ist durchaus hörenswert…
„Ein Dauerpegel von 90 Dezibel bleibt eine unzumutbare Lärmbelästigung – gleich, ob die Quelle nun sympathisches Kindergeschrei ist oder das Hämmern eines Pressluftbohrers“, sagte Kuckart.
Was die Dezibelzahlen angeht, mag er recht haben, gemessen hab´ ich´s noch nicht. Aber ehrlich, ich höre dann doch lieber Kindern als Pressluftbohrern zu. Und ein frecher Gedanke, der mir soeben unter dem Haarschopf durchgerutscht ist, bezieht sich darauf, dass die Zeit nicht nur für, sondern auch gegen einen arbeiten kann. Vor allem, wenn man zu den „älteren Menschen“ gehört…
Der Deutsche Kinderschutzbund reagierte darauf empört. Solche Äußerungen seien die Folge einer kindentwöhnten Gesellschaft, sagte Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers.
„Kindentwöhnt“?! Ich ganz bestimmt nicht! Eher abgestumpft. Oder taub? Vielleicht aber einfach nur tolerant geworden? Tja, im Alter wird man sonderbar. Gell, Herr Kuckart?