Um es gleich vorwegzunehmen: Nationalfeiertage waren mir immer suspekt. Zu viele Mythen, zu schlechter Gesang und zu banale Reden haben zu dieser meiner Einstellung geführt. Und die Gewissheit, dass wir Menschen durch eine Unzahl von «Rahmenbedingungen» definiert – und schubladisiert – werden können, aber die Zugehörigkeit zu einer Nation dafür heute schlicht nichts mehr taugt. – Eine feierliche, aber durchaus launische Betrachtung.
Zunächst zum Mythos: Viele Feiertagsredner beziehen sich auf das Rütli, einer Wiese ob dem Vierwaldstättersee, auf der im Jahr 1291 – angeblich – die drei Ureidgenossen sich verschworen, um die Herrschaft der Habsburger ein für allemal los zu werden. Das ist eine Legende, der Friedrich Schiller mit seinem Drama Wilhelm Tell erst so richtig zum Durchbruch verhalf – natürlich in künstlerischer Art und Weise. Genau genommen basiert unser Nationalstolz also auf einem künstlerischen Werk. – Immerhin!
Die Schweiz war mal ein freiheitlich-fortschrittliches Projekt
Doch weshalb beziehen sich so wenige Festtagsredner auf die Gründung der modernen Schweiz im Jahre 1848? Liberal-progressive Kräfte hatten im Sonderbundskrieg über die katholisch-konservativen Ewiggestrigen gesiegt und in der Folge den Bundesstaat gegründet. Liberal war damals noch kein Schimpfwort – und der Katholizismus eine gesellschaftlich relevante Kraft … Die Schweiz war also einst – vor lächerlichen 150 Jahren – ein freiheitlich-fortschrittliches Projekt. Was ist davon übrig geblieben? Ein von der Geschichte verwöhntes Volk, das sich mehr und mehr einigelt und seinen Wohlstand partout nicht teilen will. Das mit Zähnen verteidigte Bankgeheimnis spricht dazu Bände.
Das führt mich zum Thema des schlechten Gesangs, eines entscheidenden Grundes für meinen Abscheu vor Nationalfeiertagen: Beim Strammstehen lässt sich erwiesenermassen schlecht singen. Wenn der Hintern zusammengekniffen, der Bauch eingezogen und die Brust gebläht ist, kommt einfach kein guter Ton raus. Und überhaupt: Bei Nationalhymnen sträuben sich mir die Nackenhaare –nicht nur beim Schweizer Gesang. Die Inbrunst siegt regelmässig über das musikalische Feingefühl. Einzige Ausnahme: N’kosi Sikeleli Africa, die Nationalhymne von Südafrika. Doch bestimmt ist dieser wunderbare Gesang inzwischen national so aufgeladen, dass auch hier jegliche Musikalität verflogen ist. Musik und Nationalität gehen einfach nicht zusammen. Es sind entgegengesetzte Pole – ohne dass ich das jetzt genauer erklären kann.
Sprache und Nationalgefühl
Auch gute Sprache und Nationalgefühl sind sich fremd. Vielleicht fällt bei Überflutung mit Nationalstolz ein Teil des Gehirns aus. Denn das Nationale lässt sich nur mit Worthülsen und rhetorischen Taschenspielertricks beschwören. Es ist nun mal ein Konzept von vorgestern. Und wo versucht wird, ihm womöglich gar mit Blut-und-Boden-Romantik neues Leben einzuhauchen – eine wieder auflebende Mode, die man überwunden glaubte –, wird es gruselig und unappetitlich.
Nein, Nationalfeiertage waren mir immer suspekt. Zu viele Geister der Vergangenheit lauern auf ihre Rückkehr. Und viel zu viele Menschen, die einen Teil unserer modernen, multikulturellen Gesellschaft ausmachen, sind bei dieser Beschwörung der Gemeinschaft und des Zusammenhalts nicht mitgemeint. Ich widme diese kleine Feiertagsbetrachtung deshalb allen Menschen in der Schweiz ohne Schweizer Pass – und ganz besonders jenen, die ohne jegliche Papiere bei uns leben.
Mal sehen, welches Feuerwerk ich mir anschauen gehe …
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