Laufsucht - wenn Laufen zum Zwang wird

Von Walter Kraus
So witzig auch manche Anzeichen für eine Laufsucht sein können und wie oft man sich darin selbst erkennt, es ist kaum zu glauben, aber unser so geliebter Sport, der uns den Kopf freimacht, das Herz gesund hält und uns so viel Freude bereitet, kann auch ins Kippen geraten! Aus einem Gelegenheitsläufer kann tatsächlich auch ein Laufsüchtiger werden, der aus einem inneren Zwang heraus läuft und läuft und läuft. Und das Laufen läuft außer Kontrolle!
Die Wahrscheinlichkeit, laufsüchtig zu werden, ist zwar sehr gering, doch ist sie Realität. Ich bin mir sicher, dass du die eine oder den anderen Laufkollegen selbst kennst, der das Laufen nicht mehr ganz unter Kontrolle hat, oder?
Viele Läufer wollen immer mehr: weiter laufen, schneller laufen! Am Beginn einer Läuferkarriere ist man stolz, wenn man eine halbe Stunde durchlaufen kann, nach wenigen Wochen steigert man sich auf eine Stunde oder sogar mehr. Die Grenze verschiebt sich langsam und das bisher Unvorstellbare wird bald zur Realität: man kann laufen! Für manche Läufer gibt es scheinbar keine läuferischen Grenzen – „Grenzen existieren nur im Kopf“, heißt es so schön! Der Körper braucht immer mehr, um nach einem Lauf eine Befriedigung zu haben. Ein Marathon kann bald zur Normalität werden, auch wenn das bereits eine seeehr große Belastung für den Körper darstellt.
Laufen ist allgemein sehr positiv bewertet und ist bekannt gesundheitsfördernd. Das wissen wir und deshalb machen es auch die meisten von uns. Und wer viel Sport treibt, gilt generell als bewundernswerter Mensch mit Disziplin und Ehrgeiz. Manchmal kann es zu einer Last werden, und ein Teufelskreislauf beginnt...

Unsere Spitzensportler trainieren doch auch so viel!

Spitzenläufer müssen sehr viel trainieren, damit sie überhaupt an die Spitze kommen können. Sie wissen: je mehr du trainierst, desto besser kannst du werden! Der große Unterschied zu einem Läufer, der ein Suchtverhalten aufweist, ist der systematische Aufbau bzw. die Berücksichtigung der Regeneration. Jede Verletzung oder Überlastung bedeutet für den Läufer, dass die Trainingsqualität sinkt oder sogar eine Trainingspause einlegen muss. Damit ist der systematische Trainingsaufbau unterbrochen und es wirft ihn zurück. Das kann sich ein Spitzensportler nicht leisten!

Das Laufen kontrolliert den Läufer!

Die Psychologie unterscheidet zwei Arten von Laufsucht: die primäre Laufsucht, die durch das Laufen selbst bzw. durch den Bewegungsdrang entsteht und die sekundäre Laufsucht, die meist durch eine andere Krankheit (z. B. Essstörung) ausgelöst wird. Auffällig ist jedenfalls, dass der/die Sportler/in nicht mehr die Kontrolle über das Laufen hat, sondern umgekehrt.
Besonders gefährdet sind Läufer, meist hoch motiviert, die bereits viele Jahre auf hohem Niveau trainieren und noch immer weiter hinauf wollen. Mit der Zeit braucht man eine immer „höhere Dosis“, damit man befriedigt ist. Besonders Triathleten, die generell viel trainieren müssen (drei Disziplinen, meist auch auf hohem Niveau), kippen leicht in eine Sucht hinein. Jedoch ist es sehr schwer, eine exakte Grenze zwischen süchtigen, suchtgefährdeten und ambitioniert trainierenden Läufern zu ziehen.
Zu vielfältig sind die Einflussfaktoren, aber auch die Persönlichkeit des einzelnen Läufers. Nicht jeder Läufer kippt in eine Abhängigkeit, obwohl er vielleicht viel läuft. Das Risiko steigt jedenfalls, je öfter du bei diesen Fragen mit "Ja" antworten musst:
  • Läufst du, weil du möchtest, oder läufst du, weil du musst?
    Kannst du „mit dem Laufen jederzeit aufhören“? So ungewöhnlich die Frage auch klingt, man sollte sie stellen, oder besser gleich selbst ausprobieren.
  • Kompensierst du durchs Laufen eine andere Sucht?
    Hast du zum Beispiel mit Rauchen aufgehört und dann mit dem Laufen begonnen? Oder war das Laufen selbst eine therapeutische Maßnahme bei einem Entzug? Das Laufen kann zwar nachweislich eine Entzugstherapie unterstützen, eine Verlagerung zu einer anderen Sucht ist aber möglich!
  • Beeinträchtigt das Laufen deinen Alltag?
    Bist du müde und kannst deine Arbeit nicht zu 100% erfüllen? Leidest du an Konzentrationsproblemen?
  • Ist das Laufen für dich der Hauptinhalt in deinem Leben?
    Gibt es noch andere Hobbys und Interessen in deinem Leben. Gibt es einen Freundeskreis außerhalb deiner Laufcommunity?
  • Trainierst du immer mehr und wirst nicht besser?
    Stagniert dein Training seit Längerem oder ist dir vielleicht sogar bewusst, dass du in einem Übertraining bist und trainierst dennoch weiter?
  • Vernachlässigst du deine sozialen (realen) Kontakte
    Hast du mehr Kontakt mit deinen Laufkollegen als mit deiner Familie. Seufzt dein/e Partner/in jedes Mal, wenn ihr einen Urlaub plant? Oder hast du dich vielleicht vor kurzem sogar getrennt? Könnte das Laufen mit ein Grund dafür gewesen sein?
  • Wirst du nervös oder sogar depressiv, wenn du zwei Tage nicht zum Laufen kommst?
    Gibt es vielleicht schon Anzeichen eines „Entzugs“ oder sind es Schuldgefühle, wenn du nicht läufst?
  • Isst du im Verhältnis zu deinem Trainingsumfang relativ wenig?
    Hast du, obwohl du bereits sehr wenig wiegst, das Gefühl, dass du mit drei Kilos weniger, besser in Form bist und reduzierst deshalb bewusst die Energiezufuhr?
  • Hast du in letzter Zeit viel abgenommen?
    Ist die Konsequenz deiner Ernährung tatsächlich ein Gewichtsverlust. Auch wenn du das ursprünglich gesetzte Gewichtsziel bereits erreicht hast, möchtest du noch zwei Kilos verlieren usw.?
  • Trainierst du auch bei Verletzungen weiter?
    Achtest du beim Laufen auf deinen Körper und spürst du, wenn sich eine Überlastung einschleicht. Läufst du auch mit Schmerzen dein volles Programm?
  • Nimmst du Schmerzmittel, um laufen zu können?
    Ist die Einnahme von Schmerzmitteln keine Seltenheit und es bedeutet für dich das „tägliche Zuckerl“ vor dem Laufen?
  • Verzichtest du auf die Regeneration?
    Verfolgst du ein Trainingssystem und hältst du dich auch daran. Ist in deinem Training die Regeneration berücksichtigt und in den Aufzeichnungen auch ersichtlich?

Therapie eines Laufsüchtigen

Je mehr du von diesen Fragen mit „Ja“ beantwortet hast, desto größer ist die Gefahr, dass du laufsüchtig wirst oder es vielleicht sogar schon bist. Der erste Schritt ist wie bei allen Süchten, die Selbsterkenntnis, dass womöglich ein Problem bestehen könnte. Da die Ursachen nicht monokausal sind, und die Betroffenen alleine meist keinen Ansatz zur Besserung kennen, können (Sport)Psychologen dabei unterstützen, den Weg zurück zum genussvollen Laufen zu finden. Ab diesem Zeitpunkt beginnt aber erst der lange Weg, ein Marathontraining sozusagen!


 Tipp der Woche
Sabrina Wicht hat sich die aktuelle Lage zur Laufsucht wissenschaftlich genauer angesehen - für Interessierte und jene, die mehr darüber erfahren möchten
Laufsucht. Untersuchung ausgewählter Studien zur Ableitung der Diagnosekriterien