Laufgeschichten: Großstadtrevier, Parkour, Urbanian…

Von Eiswuerfelimschuh @eiswuerfelimsch

Wer den Luxus gewohnt ist, immer idyllisch über’s Land laufen zu können, wundert sich nur zuweilen an sonnigen Tagen, wo plötzlich all die Menschen herkommen, die die sonst so einsamen Wege plötzlich bevölkern. Man trifft eher ein Wildschein, einen Fuchs oder Hasen, als dass man es mit Überbevölkerung zu tun hat. Wenn man aber auf einmal quer durch die Berliner City läuft, fragt mich sich vielleicht genauso wie die Leute da draußen, was um Himmels Willen treibt sie da. 

Mein Radtraining in einem sogenannten Höhentrainingsraum erfordert leider viel Zeit. Zu viel Zeit, die ich zuweilen nicht habe. Nicht das Training selbst, als vielmehr die Wege, die ich hin und zurück auf mich nehmen muss. Um meine Zeit einigermaßen effektiv zu nutzen, habe ich beschlossen, je nach Gemütslage zumindest einen Tag pro Woche, den Weg nach Haus zu Fuß zurückzulegen. Das ist etwas nervenschonender als Bus und Bahn, dauert fast genauso lang und das Beste: der Effekt von der Radbelastung kann theoretisch ein wenig auf mein Lauftraining wirken. Wir werden sehen!

Nach 90 Minuten Strampeln auf dem Ergometer folgt ein sechzehn bis achtzehn Kilometer langer Lauf heimwärts. So erschummele ich mir einen freien Tag am Wochenende, weil mein lockerer Lauf abgehakt werden kann. Nur leider ist dieser gar nicht so locker, bedenkt man, dass ich neben meiner Trainingsbekleidung natürlich auch noch meine Radschuhe und allerlei Schnickschnack zurückschleppen muss.

Mit ein wenig Schnappatmung der Sauerstoffnot geschuldet, eiere ich durch die City West. Bei strahlendem Sonnenschein kann man so ganz wunderbar weit ‘Unter den Linden‘ entlang schauen. Ab und an kann man die Goldelse glitzern sehen. Wenn es regnet oder diesig ist, flackert wenigstens der graue Asphalt, den ich fast pausenlos anstarre.

Das lenkt aber auch nicht wirklich von den quietschenden Reifen, hupenden Autos, schreienden Radfahrern und weinenden Kindern ab. Zum Glück halten meine Kopfhörer das Gröbste von mir fern. Die wirkliche Herausforderung ist das Umlaufen flanierender Passanten, das Überspringen von Mülleimern, die genauso plötzlich mitten auf dem Ku’damm auftauchen, wie zu weit ausgefahrene Hundeleinen. Im Gewirr der Menschen kann man kaum den Besitzer ausmachen, mal abgesehen vom kleinen Fiffi, der sich hinter irgendeinem Rest von Baum versteckt.

Da bekommt Urbanian Running eine ganz neue Bedeutung. Klar, ich möchte auch mal irgendwann über Motorhauben schlittern, Treppengeländer hinunterrutschen, durch Röhren krabbeln, eine Halfpipe hochgezogen werden und Gerüste entlang hangeln. Als Kind bin ich schließlich von Garagendächern gesprungen und über Zäune gehechtet. Wie ich das veranstaltet habe, weiß ich heute leider nicht mehr. Aber vielleicht findet sich ja mal ein Parkour Trainer, der mir neben der Technik auch wieder den entsprechenden Mut vermittelt. Wie dem aber auch sei – während meiner neulichen Ausflüge durch die tatsächlich nervöse Großstadt, flitze ich bewaffnet mit einer kleinen Wasserflasche und eben meinen Rucksack quer durch Schöneberg, umlaufe rote Ampeln und eile im Zickzack zwischen den Häuserfronten entlang.

Aber nein! Ich renne noch immer nicht einem Bus hinterher, genauso wenig wie an den Morgen, an denen ich mich im Laufschritt zum Schwimmbad begebe. Klar ist es nett, wenn man mir zuruft, dass es bis zur nächsten S-Bahn nicht mehr weit sei und mir sogar per Fingerzeig den Weg weist. Ich muss furchtbar gehetzt oder total unsportlich aussehen, dass viele einfach glauben, ich wäre auf der Jagd nach dem nächsten öffentlichen Verkehrsmittel.

Gut, wenn man etwas Kleingeld mit hat, um Wasser nachzuladen. Das Anhalten, das Loslaufen, das Beschwören von Ampeln kann ordentlich Kraft kosten. Hin und wieder scheint mir etwas kalt zu werden, wenn ich mal einige Sekunden länger auf das erneute Loslaufen warten muss. Schwitzen kann ich nach dem Höhentraining allerdings trotzdem gut. Mein Stoffwechsel scheint auf Hochtouren zu laufen. An meinen Knien sammelt sich langsam immer mehr Salz. Aber meist habe ich dann schon mehr als die Hälfte geschafft. Der Anfall von Hunger lässt sich mit frischem Wasser gut überspielen.

Ich sehe wahlweise die Sonne über Flüsse untergehen oder hinter Häusern verschwinden. Manchmal gehen schon die Lichter an. Dann wird es auch endlich leiser und der tobende Verkehr ebbt ab. Ob es an der Abendstimmung liegt oder weil ich mich weiter stadtauswärts bewege, weiß ich nicht. Auf jeden Fall werden die Wege zwischen den Ampeln immer länger. Mitten in der Stadt lauert ja nach jeder Hausecke ein knallrotes Männchen!

Spätestens jetzt weiß ich auch, dass es nach Hause geht. Die Straßen werden schmaler, hin und wieder tauchen Häuser mit Vorgärten auf. Ein letzte Senke muss ich hinab und natürlich auch wieder hinauf, dann einfach nur gerade aus, ein Mal quer über die Straße und eine letzte Ampel. Ich kann das Land sehen! Das Wochenende kann kommen, aber bis dahin heißt es noch mindestens ein Mal durch die tiefe Nacht zum Schwimmen laufen. Aber das ist eine ganz andere Geschichte mit einer Vielzahl anderer merkwürdiger Gestalten…