Der junge Srulik beraubt mit anderen Kindern Bauernhöfe um sein eigenes Überleben zu sichern
Ein kleiner Junge versinkt im Schnee, stapft durch eine kalte Winterlandschaft. Er kommt an einen Hof, blickt aus der Ferne auf einen Mann, der seine Jacke neben sich gelegt hat. Der Mann dreht sich Weg, der Junge läuft, läuft so schnell er kann, greift zur Jacke und wird doch erwischt. Nicht nur die Kälte setzt ihm nun zu, sondern auch die harten Schläge des Mannes, der keine Gnade oder Mitgefühl für das Kind zeigt. Er sei noch nicht mit ihm fertig, schimpft der Mann, dreht sich kurz weg. Das nutzt das Kind um wieder davon zu laufen. Immer in Bewegung bleiben, niemals stehen bleiben. Nirgendwo mehr Zeit verbringen als unbedingt nötig. Das hat der etwa neun Jahre junge Srulik (gespielt von Andrzej und Kamin Tkacz) schon mit der Flucht aus seinem Warschauer Ghetto gelernt, als er den deutschen Soldaten entkommen ist, die im Zweiten Weltkrieg erbarmungslos jeden Juden jagen, gleich welchen Alters.
Lauf Junge Lauf basiert auf den authentischen Lebenserfahrungen von Yoram Fridman, dessen Geschichte bereits von dem polnisch-israelischen Jugendbuchautoren Uri Orlev als Roman veröffentlicht wurde, der sich nun Regisseur Pepe Danquart auf filmischer Ebene angenommen hat. Er holte nicht nur Fridman selbst für seinen Film vor die Kamera, sondern erzählt das als Jugendfilm angelegte Weltkriegsdrama mit schonungsloser Authentizität. Danquart macht schnell klar, dass die Kinder in dieser Welt und Zeit kein Erbarmen erfahren haben, sie sich auf sich selbst gestellt durchschlagen mussten. Srulik schleppt sich am Rande seiner Kindeskräfte durch Schneestürme bis er vor Höfen zusammen bricht, wo er sich mal etwas erholen kann, ein anderes mal weg gejagt wird.
Durch Mithilfe auf Höfen versucht sich Srulik etwas Essen zu erarbeiten
Die meiste Zeit verbringt der Junge in den Wäldern. Andere Flüchtlingskinder lehren ihn, dass der Wald sein Freund ist, hier kann er sich vor den Soldaten verstecken, hier findet er Beeren um seinen Hunger zu stillen. Mit diesen Kindern hüpft er schon bald fast fröhlich wirkend durch Kornfelder, belauert Bauernhöfe, die um einige lebensnotwendige Dinge erleichtert werden. Die Warnung lautet dennoch Vorsicht walten zu lassen, dies sei kein Spiel. Das merkt Srulik spätestens dann, als eines der Kinder vom Bauern geschnappt wird, vermutlich dazu verurteilt, den Soldaten ausgeliefert zu werden. Dennoch sind solche spielerisch-kindlichen Szenen mit heiterer Musik von Stéphane Moucha unterlegt.
Aber schon bald fallen auch in den Wäldern Schüsse. Der Junge flüchtet, muss einsehen dass er sich der Zivilisation zu stellen hat. Die anderen Kinder sind fort, er wieder auf sich allein gestellt. Die alleinstehende Bäuerin Magda lehrt Srulik, dass er sich durchschlagen kann, wenn er seine Religion und damit seine Identität verleugnet. Aus dem Juden Srulik wird der katholische Waisenjunge Jurek, eine Realität an der Srulik mit verzweifelter Hartnäckigkeit festhält.
Srulik findet nur wenig wahre Freunde
Lauf Junge Lauf schafft es sowohl die Einsamkeit, die Trauer dieses Jungen einzufangen, dennoch wenige glückliche Momente einzustreuen, ohne dabei die Härte der Zeit fallen zu lassen. Die Bedrohung ist immerzu präsent und schürt auch in den noch so ausgelassen wirkendsten Momenten ein mulmiges Gefühl. Überall könnte ihm ein Soldat auflauern. Ständig muss Srulik in Angst davor leben, dass Menschen ihn verraten, mögen sie ihm noch so nett begegnen. Selbst andere Kinder, die zuerst noch im gemeinschaftlichen Fußballspiel mit Srulik ein wenig Spaß verbreiten, können im nächsten Moment die Stimmung kippen, wenn sie davon erfahren, dass es sich bei ihrem Spielpartner um einen Juden handelt.
Stark spielen Andrzej und Kamin Tkacz diesen Jungen, der eigentlich ein Erwachsenenleben lebt und mit sehr viel Glück und Vorsicht die Zeit des Zweiten Weltkriegs übersteht. Stark überkommt er die Ungnade der Nazis, aber auch den Verrat und das Misstrauen, das zu dieser Zeit herrscht. Nur wenige Menschen trauen sich ihm wirklich zu helfen. Regisseur Danquart macht keinen Halt davor, den Jungen auf der Flucht vor Gewehrschüssen zu zeigen, wie er sich Tränen unterdrückend unter Brücken verstecken muss, durch sumpfige Gebiete watet oder durch hohes Gras flüchtet. Deutlicher könnte der Titel des Films Lauf Junge Lauf nicht visualisiert werden. Es ist ein panisches Lauf Junge Lauf, kein Ansporn sondern ein Ausruf von mit Angst erfüllter Verzweiflung.
”Lauf Junge Lauf„
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: D/ F/ PL, 2013
Länge: ca. 107 Minuten
Regie: Pepe Danquart
Darsteller: Andrzej Tkacz, Kamin Tkacz, Jeanette Hain, Rainer Bock, Itay Tiran, Elisabeth Duda, Zbigniew Zamachowski, Sebastian Hülk, Grazyna Szapolowska
Kinostart: 17. April 2014
Im Netz: laufjungelauf-derfilm.de
Bilder © NFP/Filmwelt