Über den Inhalt und die Ausrichtung der Tagung geben die unten verlinkten Dokumente genaue Auskunft. Vor allem über das die Konferenz vorbereitende Paper: “Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen” sollte an anderer Stelle noch zu reden sein.
Dieser kurze Artikel geht in einigen Worten auch auf die Rede von Mina Ahadi ein, die als Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime davor warnte, an deutschen Hochschulen Lehrstühle für islamische Theologie einzurichten. Sie begründete das damit, dass ihrer Meinung nach Religion Privatsache bleiben muss und “jede Form der Einmischung der Religion in die Gestaltung der Politik und auch in die Bildungspolitik” ein Fehler sei.
Ich möchte ganz besonders darauf hinweisen, dass Frau Ahadi hier von jeder Religion spricht und nicht allein von einer islamischen Religion, welcher Ausrichtung auch immer.
“Alle Religionen sind frauen- und menschenfeindlich. Ich versuche seit mehreren Jahren, das hier in Deutschland zu erklären, [...] der heutige Islam [ist] eben nicht nur eine reine Religion, sondern ein Political Movement, eine politische Bewegung.”
Dies auszusprechen und deutlich zu machen scheint Grund genug gewesen zu sein, dass nicht nur Herr Lau, sondern auch die Vertreter genau des angeprangerten politischen Islams den Saal verließen.
Jörg Lau schreibt dazu in seinem Artikel lapidar: “Mina Ahadi von den Ex-Muslimen hielt eine etwa 10minütige Rede [...]Es wurde wieder einmal vor der Islamisierung gewarnt.”
Ich weiß nicht genau, welche Meinung Herr Lau darüber hat, was “Islamisierung” bedeutet. Nach Wikipedia bedeutet es eine “Einführung des Islam als vorherrschende Religion in zuvor mehrheitlich nicht islamisch geprägten Regionen oder Länder”. Diese Definition erscheint mir korrekt zu sein. Und ebenso korrekt, dass die Gefahr einer generellen, nicht nur islamischen Religionisierung tatsächlich besteht. Und so wie auf der einen Seite christlich-fundamentalistische Strömungen erstarken, trifft das auch auf islamische zu. Davor die Augen zu verschließen ist gefährlich. Und wundert mich bei Jörg Lau, der meiner Meinung nach einen relativ differenzierten Blick auf den (vor allem politischen) Islam hat, wie er in Europa in Erscheinung tritt. Insofern hat mich dieser Nebensatz in dem Artikel schon ein wenig irritiert.
Letztlich ging es in Lau’s Artikel jedoch darum, zu berichten, dass er es beachtenswert findet, dass in Europa offen über diese Fragen diskutiert werden könne. (Allerdings versäumt Lau tatsächlich, einen Satz darüber zu verlieren, weshalb das in “islamischen Ländern” nicht möglich ist.)
Interessant ist folgende Aussage:
Frau Stroumsa [Rektorin der Hebrew University in Jerusalem] hatte vieles Kritische zu den Plänen des Wissenschaftsrats zu sagen. Sie ist eine große Bewunderin der deutschen Orientalistik und Islamwissenschaft und möchte nicht, dass akademische Freiheit durch eine Theologisierung dieser Fächer eingeschränkt wird. (Warum dies nicht zu befürchten ist, werde ich ein andermal darlegen.)
Wenn ich jedoch den Inhalt der Konferenz richtig verstanden habe, ging es jedoch vor allem um eine “Theologisierung” des Islam (etwas, das mir erst einmal sehr unsinnig vorkommt da der Islam – anders als das Christentum – eben nicht eine Sammlung, eine einheitliche Lehrmeinung ist.) Da bin ich jedenfalls sehr gespannt, wie Jörg Lau begründen will, dass die Befürchtung unbegründet sei.
Für mich sind Orientalistik und Islamwissenschaft jedenfalls etwas sehr anderes als (islamische) Theologie; so wie Religionsgeschichte und (christliche) Theologie zum Teil etwas sehr unterschiedliches sind (man denke an Deschner!).
Frau Ahadi legt in dem Artikel noch einmal dar, was sie dazu bewegt, sich vehement gegen die Einführung jeglicher Theologie auszusprechen:
In Köln lag ein Buch der Organisatoren vom WR [siehe den Link am Ende des Artikels] aus, in dem festgestellt wird, dass die Menschen in unserer Zeit wieder mehr Sehnsucht nach Religiosität und religiöser Rechtleitung haben. Damit will man der Bevölkerung klar machen, dass Islamische Studien an die Universitäten gehören, um religiöse Autoritäten kompetent auszubilden. Als ob ein Molla oder ein Pastor „Religion“ propagieren und „erfolgreich“ verbreiten könnte. Was die christliche oder islamische Geistlichkeit im Angebot hat, ist ein System der Macht und der Abhängigkeit. Die Toleranz oder inzwischen die Begeisterung für das Religiöse, auch für den Islam, wird weitergehen, bis die brutale Scharia vollumfänglich kommt. Wenn CDU und CSU die Einmischung der Religion in Politik und Schulpolitik fordern, dann erstarken auch die Islamisten. Eine ungehemmt proreligiöse Deutsche Regierung wird kein Problem damit haben, die rechtsspaltende Scharia auch hierzulande zu akzeptieren
Es geht Frau Ahadi eindeutig um den auch von mir beobachteten Schulterschluss zwischen Christen und Muslimen in Deutschland. Die beiden “C”-Parteien erkennen seit geraumer Zeit einige – ihnen genehme – Organisationen an, die sich anmaßen, den Islam in Gänze zu vertreten. Sie tun alles, um diesen Gruppen und Gruppierungen eine Quasi-Kirchengleichheit zu bescheinigen. Lieber teilen sie die Pfründe als sie völlig aufzugeben!
Und genau das fordert Mina Ahadi! Weder christliche Theologie noch eine neu zu erfindende, staatliche “islamische Theologie” haben an Schulen und Universitäten eine Berechtigung. Damit vertritt sie eine dediziert säkulare Position. Und wenn sie schreibt:
Wir sind Menschen, die aus verschiedenen so genannten islamischen Ländern hierher gekommen sind, um frei zu leben. Wir möchten nicht erleben, dass auch hier das Schariagesetz die Menschen, zumal die Frauen, unmündig und unfrei hält. Wir möchten hierzulande kein Shariah Law. Ich betone: Frauenrechte sind Menschenrechte und Menschenrechte sind universal. Es darf also keine Kooperation mit den Islamisten geben, dem politischen Islam darf keine Macht gegeben werden…
darf auch Jörg Lau die Warnung in den Worten nicht unbeachtet lassen.
Unbeachtet ließ er diesen Artikel von Mina Ahadi nicht. Er reagierte am 19. Juli; dem Tag, da ich den Artikel veröffentlichte, mit “Warum Islamische Theologie? Antwort auf Mina Ahadi” – ebenfalls in seinem Blog.
Einmal abgesehen von den verbalen Tiefschlägen und persönlichen Angriffen (aber da nehmen sie sich beide nichts), erhellt der Artikel einige Dinge, die mir schon beim ersten Lesen des ursprünglichen aufgefallen waren. (Ich halte den ersten Artikel eher für eine Notiz, denn für ein journalistisches Meisterwerk.)
Jörg Lau betont, dass er – anders als Mina Ahadi das formulierte - “implizit die mangelnde Debattenkultur in der muslimisch-arabischen Welt anprangere“ … “indem ich Frau Stroumsas Schwierigkeiten beim Dialog mit Muslimen erwähne”. Das habe ich ebenso verstanden.
Was er aber definitiv nicht begreift, ist die (oben erwähnte) säkulare Einstellung Mina Ahadis. Wenn er im Weiteren begründet, weshalb er für eine islamische Theologie an deutschen Hochschulen plädiert (das darf, kann und soll er natürlich) ist das keine Antwort auf Frau Ahadi’s Warnung.
Immerhin aber gibt er zu verstehen, dass es bei der Islamkonferenz des WR kontroverse Diskussionen um die Rolle der islamischen Verbände gab:
Welche Rolle haben die islamischen Verbände in Köln gespielt? Nun, sie waren nicht allzu glücklich. Denn zwar sollen sie eine Rolle spielen bei der Einrichtung von Lehrstühlen für Islamische Theologie. Aber es ist eindeutig, dass man ihnen dabei keine den Kirchen analoge Rolle zumessen will. Sie sollen in Form von Beiräten an den Lehrstühlen beteiligt werden, weil das deutsche Religionsverfassungsrecht dies aus Gründen der Religionsfreiheit vorsieht: Der Staat darf bei uns nicht die Inhalte der Theologien vorgeben. Und das ist gut so! Weil die Verbände aber weder repräsentativ genug sind noch die theologische Kompetenz besitzen, hier allein als das Gegenüber des Staates bei der Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie aufzutreten, werden sie in den Beiräten von anderen Mitspielern ergänzt werden.
So kenne ich Jörg Lau als Autoren: deutlich machend, dass der Islam keine Religionsgemeinschaft in dem uns bekannten Sinne einer Amtskirche ist. Nicht einmal den Anspruch darauf erhebt; sondern vielmehr dazu gemacht werden soll von deutschen und europäischen Regierungen denen die Erfahrung im Umgang mit eben dieser dezentralen Struktur einer Glaubensgemeinschaft fehlt.
Die darauf folgenden Argumente kenne ich, habe ich oft genug gehört oder gelesen aber kann sie noch immer nicht akzeptieren:
Warum nun “Islamische Theologie” an deutschen Universitäten? Mina Ahadi sollte mit ihren iranischen Erfahrungen ein Motiv verstehen können: Es geht um die Unabhängigkeit der islamischen Diaspora von den Autoriäten daheim (Ghom, Al-Azhar, Ankara). Zweitens, und dieses Argument wird sie als überzeugte Atheistin nicht verstehen können [...] : Es geht darum, eine religiöse Sprache des Islam (auf Deutsch!) zu entwickeln, die zum Leben hier und jetzt in einer religiös pluralen und säkularen Gesellschaft passt.
Letztlich geht es doch darum, dass sich der Staat sehr wohl in die Belange und Lehren der Religionsgemeinschaft einmischen möchte (oder muss). Und es geht um die Frage, ob überhaupt noch irgendeine Religion in eine plurale und säkulare Gesellschaft passt. Diese Frage umgeht Jörg Lau beflissentlich. Aber damit ist er nicht allein.
Solange es gläubige Menschen gibt, muss ihnen das Recht auf Religionsausübung gewährt sein. Da wir in einer pluralen (in einer säkularen ganz sicher nicht) Gesellschaft leben, bedarf es Mittel und Methoden, die Religionsfreiheit sowohl als positive als auch als negative Freiheit aufrecht zu erhalten. Ob dazu unbedingt eine “wissenschaftliche” theologische Ausbildung an deutschen Universitäten zählt, mag dahingestellt sein. Meiner Meinung nach kann das unter dem Dach einer Universität passieren; aber finanziert werden sollte das zu 100% von den Glaubensgemeinschaften und nicht von den Steuerzahlern.
Warum dann Islamische Theologie an staatliche Unis? Die Ansprüche und Grundsätze des deutschen Wissenschaftssystems sollen eben dafür garantieren, dass die Standards gewahrt werden, was Kritikfähigkeit, Wissenschaftsfreiheit und Methodentransparenz angeht. Es geht, wie in den Empfehlungen des Wissenschaftsrats ausgeführt, um die “reflexive Selbstvergewisserung der pluralen islamischen Tradition im Dialog mit den anderen Universitätsdiziplinen” – in anderen Worten um eine kritische islamische Theologie.
Wie gesagt: Man mag Zweifel daran haben, ob das Ziel sinnvoll ist, ob es erreichbar ist mit den vorgeschlagenen Strukturen – und sogar, ob es überhaupt ein erreichbares Ziel für die islamische Theologie ist.
für Jörg Lau und den Wissenschaftsrat scheint das eine Notwendigkeit zu sein, um einen unpolitischen oder gemäßigten Islam in Deutschland zu etablieren. Während Mina Ahadi die Auffassung vertritt, das der Islam nicht reformierbar sei und daher nicht “gemäßigt” werden kann.
Dieser Streit findet – von uns selten wahrgenommen – noch deutlicher, noch vehementer – auch innerhalb der islamischen Welt statt. Das kann man gut bei Katajun Amirpur nachlesen. In Deutschland – und zumal in den Medien – ist diese Streitkultur unbekannt. Umso mehr freut es mich, dass ich hier einen Dialog anregen konnte. Ich hoffe, er wird fruchtbar sein. Und nicht nur beleidigend.
Nic
Programm der Konferenz: “Islamische Studien in Deutschland” (pdf)
Paper des WR zur Konferenz: “Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen” (pdf)
Empfehlung des WR: “Religiöse Pluralisierung verlangt Weiterentwicklung des theologischen und religionswissenschaftlichen Feldes” (pdf)
Gepostet am Mittwoch, Juli 21st, 2010 um 11:52 in Christentum, Islam, Politik, Religionen, Säkular | RSS feed | Antworten | Trackback URL
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