Heute Vormittag stand eine ziemlich wichtige Präsentation vor einer mittelgrossen Gruppe mir ganz und gar unbekannter Menschen auf dem Programm und wie es sich vor solchen Auftritten gehört, war die Nacht davor ziemlich unruhig und voller wirrer Träume. Soweit so normal, doch als ich mich am Morgen an den Inhalt meiner Träume erinnerte, wurde mir einmal mehr bewusst, dass ich nicht so ganz richtig ticke. Müsste man in der Nacht davor nicht davon träumen, dass man die Unterlagen zu Hause vergisst, dass man sich verhaspelt, dass das Publikum gelangweilt das Weite sucht, bevor man fertig geredet hat, dass man vor lauter Nervosität keinen Ton über die Lippen bringt? Aber wovon träume ich? Dass ich mich heillos verfahre, dass ich die Eingangstüre nicht finde, dass ich in langen leeren Korridoren herumirre und vor lauter Suchen den Termin verpasse.
Wer mich nun mit dem alten Einwand beruhigen will, Träume hätten nichts mit der Realität zu tun, dem muss ich leider entgegenhalten, dass diese Träume sehr wohl etwas mit meiner Realität zu tun haben. Denn während ich vor dem Reden nicht die geringste Angst habe und während ich jeweils alles bis ins letzte Detail vorbereite, fürchte ich mich zutiefst vor den Bereichen, in denen meine Schwächen so richtig krass ans Licht kommen. Eben zum Beispiel beim Suchen eines mir unbekannten Weges. Und weil ich heute vor der Präsentation noch etwas Wichtiges an einem mir unbekannten Ort abholen musste, malte ich mir in den wüstesten Farben aus, was geschehen würde, was so oft geschieht: Man erklärt mir den Weg hundertmal, ich schaue mir die Karte genau an, merke mir jede wichtige Stelle, drucke mir einen Strassenplan aus, schleppe gar das iPad mit, um nachschauen zu können, ob sich der blaue Punkt auf der Karte dem markierten Ziel nähert und am Ende sitze ich wieder heulend irgendwo in einer Sackgasse und verfluche meine eigene Sturheit, die mich daran hindert, mir endlich ein Navi zuzulegen.
Dies ist meine eine Schwäche, die andere meine Unfähigkeit, die richtige Tür zu finden. In meiner Jugendzeit führte das so weit, dass ich Woche für Woche die Flötenstunde verpasste, weil ich mir nicht merken konnte, welche der vielen gleich aussehenden Türen die Richtige war. In meiner Schüchternheit – ja, ich bin schüchtern, auch wenn mir das keiner ansehen würde – wagte ich nicht, anzuklopfen. Nein, ich tat das nicht mit der Absicht, nicht zur Flötenstunde gehen zu müssen, ich war tatsächlich so. Und tief in meinem Inneren hockt noch immer die Angst, dass ich die Tür verfehlen könnte. Klar, ich habe inzwischen gelernt anzuklopfen, nach dem Weg zu fragen, mich umzuschauen, aber ihr wisst ja, wie das ist mit diesen absurden Kindheitserfahrungen. Aufatmen kann ich deshalb erst, wenn ich ohne namhafte Umwege frühzeitig und entspannt am Ziel angekommen bin.
Jetzt, wo dies erklärt ist, wundert sich wohl keiner mehr, dass ich mich zwar riesig auf die Präsentation freute, den Weg dorthin aber fürchtete. Wie oft habe ich mich perfekt vorbereitet, an alles gedacht, genügend Zeit eingeplant und am Ende war ich doch ausser Atem, weil ich mich mal wieder irgendwo verirrt hatte? Wie durch ein Wunder ging heute aber alles gut und so kam ich vollkommen entspannt zehn Minuten zu früh an meinem Ziel an. Genau so, wie es sein sollte, wie es aber in meiner Realität leider nicht immer ist. Heute lief einfach alles glatt und ich konnte vollkommen entspannt tun, wozu ich gekommen war.
Nun bleibt mir nur noch, diejenigen zu beruhigen, die jeweils von Nervosität geplagt sind, wenn sie vor einer Gruppe von Menschen reden müssen. Ich kenne die Nervosität im Zusammenhang mit dem Reden natürlich auch, bloss kommt sie bei mir nicht vorher, sondern nachher. Denn nachdem alles gesagt ist, was gesagt werden konnte, setze ich mich hin, und kritisiere meinen Auftritt aufs Härteste: Das hättest du noch sagen sollen, dort hätte eine Pause kommen sollen, bei jenem Satz hast du dich nicht klar genug ausgedrückt, in den Notizen hattest du aber noch jenen Punkt aufgeführt… Irgendwann habe ich mich dann mit so vielen Vorwürfen eingedeckt, dass ich mich ähnlich elend fühle wie jemand, der öffentliche Auftritte hasst. Ganz egal, ob mir das Publikum das Gegenteil sagt, ich glaube nur, was ich mir selber an Kritik um die Ohren haue. Und dann erst kommen die bösen Träume über vermeintlich verpatzte Auftritte.
Ihr seht also, ich gönne mir das volle Programm, wenn auch in etwas ungewöhnlicher Reihenfolge.