LAG München: Bagatellkündigung bei Betrug gegenüber Arbeitgeber (“Vertuschung von € 20-Forderung) wirksam

Erstellt am 14. März 2012 von Raberlin

Nicht erst seit dem Urteil in Sachen “Emmely” wird die sog. Bagatellkündigung im Arbeitsrecht heftig diskutiert. Die Kündigung wegen “geringfügiger Straftaten”, wie Betrug, Diebstahl und Unterschlagung von geringwertigen Sachen erscheint vielen Arbeitnehmern “systemwidrig” angesichts des Umstandes, das es ansonsten sehr hohe Anforderungen an verhaltensbedingten Kündigungen durch den Arbeitgeber (Kündigungsschutzgesetz) von der Rechtsprechung gestellt werden.

BAG – Emmely und das sog. Vertrauenskapital

Auch nach dem Urteil “Emmely” hat das BAG seine Rechtsprechung zur Bagatellkündigung nicht aufgegeben, sondern nur “modifiziert” und klargestellt, dass – und dies ist eigentlich nichts Neues – immer auf den Einzelfall abzustellen ist und gerade bei langem unbeanstandeten Bestehen eines Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer sog. “Vertrauenskapital” erworben hat, welches im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist.

LAG München und der Betrug des Buchhalters über eine Forderung von € 20

Das Landesarbeitsgericht München (Entscheidung vom 03.03.2011, 3 Sa 641/10) hatte nun einen Fall zu entscheiden, der sich wiederum um eine Bagatellkündigung eines Arbeitgebers wegen € 20,00 drehte.

Ein Buchhalter, der zudem noch schwerbehindert war und kurz vor seinem altersbedingten Ausscheiden stand, hatte seine elektronische Zugangskarte zum Betrieb verloren und schuldete deshalb seinem Arbeitgeber € 20 für eine Ersatzkarte. Der Arbeitnehmer verschleierte aber diese Forderung und nutze dabei seinen Zugang zur Buchhaltung. Als der Arbeitgeber dies herausbekam, kündigte er das Arbeitsverhältnis außerordentlich (verhaltensbedingt) und fristlos ohne vorher abzumahnen. Der Arbeitnehmer erhob gegen die Kündigung die Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht gab dem Arbeitnehmer recht. Der Arbeitgeber war – nach dem er Berufung gegen das Urteil der I. Instanz einlegte – aber erfolgreich. Das LAG München entschied für den Arbeitgeber und sah hier eine wichtigen Grund für eine Kündigung ohne vorherige Abmachung trotz des geringen Betrages und des baldigen altersbedingten Ausscheidens des Arbeitnehmers.

die Entscheidung des LAG München

Das LAG München begründet die Entscheidung wie folgt:

Der Kläger hat eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen, die an sich ge- eignet ist, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB zu bilden.

a) Dabei geht die Berufungskammer von den Grundsätzen aus, wie sie das Bundes- arbeitsgericht in der „Emmely-Entscheidung“ vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – dargestellt hat. Danach verletzt der Arbeitnehmer, der bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – gegebenenfalls strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers begeht, zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sa- chen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise so- gar gar keinem Schaden geführt hat (BAG a. a. O. Rn. 26).

b) Ein solches Verhalten des Klägers liegt hier vor.

Die Berufungskammer geht davon aus, dass der Kläger vorsätzlich die Forderung auf Be- gleichung des Betrags von 20,00 € in zwei Teilbeträge aufgeteilt und auf dem Gegenkonto 65900 „Übrige Sonstige Personalaufwendungen“ zu Lasten des Betriebsrats-Budgets ge- bucht hat, um den Eindruck zu erwecken, die Forderung sei nicht mehr vorhanden, mithin beglichen, und um seine Absicht der Nichtzahlung zu verschleiern.

3 Sa 641/10

aa) Dies folgt zum einen daraus, dass die Behauptung des Klägers, er habe infolge eines Versehens die Aufspaltung in zwei Teilbeträge vorgenommen, bei einem langjähri- gen, einschlägig beschäftigten Arbeitnehmer wie dem Kläger absolut lebensfremd ist, wenn eine entsprechende Korrektur-Software zur Verfügung steht und der Kläger zur Be- hebung des Fehlers unschwer den viel einfacheren Weg eines Einzelstornos hätte wählen können.

………………

Eine vorherige Abmahnung war nach Lage der Dinge entbehrlich.

Das Fehlverhalten des Klägers betrifft den Kernbereich seiner arbeitsvertraglich geschul- deten Tätigkeit.

3 Sa 641/10

Der Kläger hat nach seinem eigenen Vortrag eine fachlich weitgehend selbstständige, eigenverantwortliche Stellung mit einem sehr weitreichenden Kompetenzbereich im Bereich der Buchhaltung. Jedem vernünftigen Arbeitnehmer in dieser Position muss klar sein, dass der Arbeitgeber vorsätzliche Falschbuchungen zum Schaden des Arbeitgebers und zum Nutzen des Arbeitnehmers nicht hinnehmen und lediglich mit einer „letzten Verwar- nung“ in Form einer Abmahnung beantworten wird. Hinzukommt die besondere Vertrau- ensstellung, die der Kläger nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten hat- te. Für einen Mitarbeiter in dieser Vertrauensposition gehört absolute Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit zur schlechterdings unabdingbaren Grundlage des Arbeitsverhältnisses. Wer – wie der Kläger – diese Vertrauensgrundlage missachtet, kann in einer Position wie derje- nigen des Klägers keinen weiteren Vertrauensvorschuss erwarten. Er hat den Vertrau- ensvorrat – auch bei langjähriger Beschäftigung – aufgezehrt.

Nach allem scheitert die Kündigung nicht daran, dass sie unverhältnismäßig wäre. Viel- mehr war sie tatsächlich die der Beklagten zur Verfügung stehende ultima ratio.

3. Die Interessenabwägung ergibt vorliegend, dass unter Berücksichtigung aller Um- stände des Falles das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Lösung des Arbeitsver- hältnisses das gegenläufige Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnis- ses bis zur kurz bevorstehenden Verrentung überwiegt.

a) Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass zu seinen Gunsten vor allem sein Lebensalter, die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses und der nahe bevorstehende Verren- tungstermin – zwei Monate nach Ausspruch der Kündigung – anzuführen sind.

b) Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Kläger sich mit einer beachtlichen Hartnäckigkeit der Forderung der Beklagten „entledigt“ hat, dass er hierbei seine berufli- chen, im Arbeitsverhältnis bei der Beklagten erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen zielgerichtet ausgenutzt und dazu eingesetzt hat, den Vorgang zu verschleiern.

Zu Lasten des Klägers ist weiter anzuführen, dass eine Wiederholungsgefahr – angesichts der buchhalterischen Kompetenz des Klägers und der Bereitschaft, diese auf rechtswidri- ge Art und Weise zu seinen eigenen Gunsten und zu Lasten der Beklagten einzusetzen -

3 Sa 641/10

gerade nicht schlechterdings ausgeschlossen ist. Die Annahme, einer solchen Wiederho- lungsgefahr durch entsprechende Weisungen vorzubeugen, erscheint eher theoretischer Natur. Ein „Genehmigungs-Generalvorbehalt“ erscheint ebenso unzumutbar wie eine To- talkontrolle des Klägers, weil dann eine weitere Mitarbeiterin oder ein weiterer Mitarbeiter die arbeitsvertragliche Tätigkeit des Klägers gewissermaßen ununterbrochen begleiten müsste und in diesem Falle gleich auf die Arbeitskraft des Klägers verzichtet werden könnte.

Schließlich ist zu Lasten des Klägers und zu Gunsten der Beklagten auch anzuführen, dass ein vitales Interesse des Arbeitgebers daran besteht, dass er von einem fachlich weitgehend selbstständig arbeitenden Buchhalter nicht zu dessen eigenem, ungerechtfer- tigten Nutzen hinters Licht geführt wird. An einer klaren Haltung insoweit besteht auch ein berechtigtes Interesse dergestalt, dass es dem Arbeitgeber gestattet sein muss, keine fal- schen Signale in die Belegschaft zu senden, sondern eine klare, berechenbare Linie zu verfolgen, gegebenenfalls auch durch Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung.

Nach allem geht die Interessenabwägung hier zu Lasten des Klägers aus, auch wenn an- genommen wird, dass der Kläger lange Jahre in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne dass es zu vergleichbaren Pflichtverletzungen oder nennenswerten sonstigen Belas- tungen des Arbeitsverhältnisses gekommen wäre. Die für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung der Arbeitsvertragspartner ist hier bereits durch erstmalige Vertrauens- enttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört, der Vertrauensvorrat vollständig aufgezehrt. Denn bei der Pflichtverletzung des Klägers handelt es sich – anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall Emmely (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09) – um ein Verhalten, dass von vornherein auf Heimlichkeit angelegt war.

Schön sind die Ausführungen in Bezug auf die “Aufzehrung des Vertrauenskapitals”, da das Verhaltens des Klägers von vornherein auf “Heimlichkeit” angelegt war. Ob die Entscheidung aber auch inhaltlich richtig ist, darf bezweifelt werden, denn eine “gewisse Heimlichkeit” wohnt fast allen Betrugsdelikten inne und ist nichts besonders Verwerfliches und kann von daher auch nicht zur “Aufzehrung des Vertrauenskaptials” führen. Aufgrund des hohen Lebensalters des Arbeitnehmers und des ohnehin baldigen Ausscheidens und der damit begrenzten Wiederholungsgefahr erscheint die Entscheidung des LAG “falsch gewuchtet”. Im Rahmen der Interessenabwägung wären diese Punkte stärker zu berücksichtigen gewesen.

Eine kleine Übersicht über Kündigungen bei Bagatelldelikten findet man hier.

RA A. Martin