LAG München: Aufhebung der Prozesskostenhilfe bei nicht mitgeteilter Adressänderung und höheres Einkommen!

Erstellt am 16. Juli 2017 von Raberlin

Einem Arbeitnehmer wurde mit Beschluss vom 03.11.2014 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für eine Kündigungsschutz- und Zahlungsklage bewilligt.

Wer Prozesskostenhilfe (PKH) bekommt, muss 4 Jahre lang nach Abschluss des Klageverfahrens und zwar 1 x pro Jahr Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse erteilen. Zudem muss er von sich aus jeden Adresswechsel und ein dauerhaft höheres Einkommen (von mehr als 100 Euro pro Monat) dem Gericht anzeigen.

Mit Schreiben vom 04.11.2015 wurde der Arbeitnehmer vom Arbeitsgericht aufgefordert mitzuteilen, ob und ggf. in welchem Umfang eine Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist. Der Arbeitnehmer reichte über seinen Anwalt sodann eine neue Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (siehe Formular hier) beim Arbeitsgericht ein. Aus der Erklärung ging hervor, dass der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit umgezogen war und mittlerweile ein (viel höheres) monatliches Einkommen in Höhe von 1.977,- € brutto bezieht.

Der Arbeitnehmer hatte weder sein nun höheres Einkommen, noch seinen Umzug dem Gericht (selbständig) angezeigt.

Mit Beschluss vom 28.01.2016 hat das Arbeitsgericht München die Prozesskostenhilfe-Bewilligung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufgehoben.

Dagegen legte der Arbeitnehmer / Kläger Beschwerde ein, welche das Arbeitsgericht nicht abhalf und dem Landesarbeitsgericht München vorlegte.

Der Arbeitnehmer macht in seiner Beschwerdebegründung im Wesentlichen geltend, dass ein Fall grober Nachlässigkeit nicht vorliegt, jedenfalls ein atypischer Fall gegeben sei und sich im Übrigen die Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegend auf die Prozesskostenhilfe-Bewilligung nicht auswirke.

Das Landesarbeitsgericht München (Beschluss vom 16.06.2016 – 9 Ta 77/16) half der Beschwerde nicht ab und führte dazu aus:

Das Arbeitsgericht hat die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu Recht aufgehoben.

Nach § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO soll das Gericht die Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120a Abs. 2 S. 1 bis 3 ZPO dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

Nach § 120a Abs. 2 S. 1 ZPO hat die Partei innerhalb von vier Jahren nach Ende des Verfahrens dem Gericht unverzüglich mitzuteilen, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei wesentlich ändern oder sich ihre Anschrift ändert. Diese Pflichten hat der Kläger verletzt, indem er sowohl eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse als auch seine Adressänderung nicht, bzw. erst auf Aufforderung und mit einer Verspätung hinsichtlich der Änderung des Einkommens von zehn Monaten und hinsichtlich der Adressänderung von mindestens vier Monaten mitgeteilt hat.
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Es kann hier dabei dahinstehen, ob die Veränderung der wirtschaftlichen Situation des Klägers zu einer Änderung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung führt. § 120a Abs. 2 ZPO stellt für die Frage, ob eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegt, an keiner Stelle auf die Frage ab, ob die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation kausal für die Prozesskostenhilfe- Bewilligung ist. Der Gesetzgeber hat vielmehr bei der Neuregelung in § 120a Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO das, was unter einer wesentlichen Änderung zu verstehen ist, durch Benennung eines konkreten Betrages definiert. Bei einer Erhöhung des Bruttomonatseinkommens um 100,- € oder bei einer Entlastung um 100,- € handelt es sich dabei keineswegs um eine Veränderung der wirtschaftlichen Situation, die regelmäßig zu einer Änderung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung führt. Insbesondere in den Fällen, in denen mehrere Unterhaltspflichten erfüllt werden oder sonstige Belastungen bestehen, wird die Prozesskostenhilfe-Bewilligung nicht beeinflusst werden. Gleichwohl hat der Gesetzgeber auch in diesen Fällen angeordnet, dass dem Gericht eine Überprüfungsmöglichkeit eröffnet werden muss.

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Ob sich die Tatbestandsmerkmale „absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit“ allein auf die Fälle einer unrichtigen Mitteilung oder auch auf Fälle der unterlassenen Mitteilung einer Änderung beziehen, ist umstritten.

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Betrachtet man den Wortlaut von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO so ergibt sich, dass ein Entzug der Prozesskostenhilfe bereits dann möglich ist, wenn die Partei die Änderungen nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Auf Vorliegen von Vorsatz und grobe Nachlässigkeit kommt es nur bei unrichtigen Angaben an. Hätte der Gesetzgeber den Verschuldensmaßstab der groben Fahrlässigkeit und des Vorsatzes auch für die Fälle des Unterlassens einer Mitteilung einführen wollen, wäre das „unverzüglich“ in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO n.F. überflüssig. Der Gesetzgeber hätte formulieren können „absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht mitgeteilt hat.“ Die Regelung wäre einfacher gewesen und hätte den hier unterstellten gesetzgeberischen Willen klar und deutlich zum Ausdruck gebracht. Der Gesetzgeber hat sich aber dafür entschieden, bei der unterlassenen Mitteilung darauf abzustellen, ob die Partei die Änderung nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

Anmerkung:

Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits entschieden, dass die Aufhebung der PKH nur bei Absicht oder grober Nachlässigkeit erfolgen dürfe. Dabei verlangte das BAG für die grobe Nachlässigkeit mehr als nur Fahrlässigkeit, sondern eine „grobe Sorglosigkeit“.

Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht