Das Landesarbeitsgericht Hamburg hatte sich mit Zahlung von Weihnachtsgeld durch den Arbeitgeber zu beschäftigen.
Die Arbeitnehmerin war als Datenverfasserin beim Arbeitgeber zu einem Gehalt von rund € 1.600 brutto pro Monat tätig. Im Arbeitsvertrag fand sich folgende Regelung zu den Sonderzahlungen:
Zusätzlich zum Grundgehalt wird nach Ablauf der Probezeit – als freiwillige Leistung eine Weihnachtsgratifikation gezahlt, deren Höhe jeweils jährlich durch den Arbeitgeber bekanntgegeben wird und deren Höhe derzeit ein halbes Monatsgehalt nicht übersteigt. Sofern das Arbeitsverhältnis vor dem 01. April eines Jahres begonnen hat, soll auf die vorstehende Gratifikation im Juni dieses Jahres ein Vorschuß in Höhe von bis zu einem halben Monatsgehalt gezahlt werden. Sofern zwischen Beginn des Arbeitsverhältnisses und dem 30. November eines Jahres weniger als 11 Monate liegen, beträgt die Gratifikation 1/12 für jeden Monat des Arbeitsverhältnisses.
Der Arbeitnehmerin wurde bis einschließlich 2013 jedes Jahr ein volles Bruttomonatsgehalt hälftig mit der Abrechnung im Mai und hälftig mit der Abrechnung im November als Sonderzahlung ausgezahlt.
Im Mai 2014 erhielt die Arbeitnehmerin einen Betrag von € 784,00 brutto von ihrem Arbeitgeber (1. Teil der Sonderzahlung), welcher in der Gehaltsabrechnung als „Abschl. J-Gratifikation“ bezeichnet wurde. Später informierte der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin, dass eine weitere Zahlung (2. Teil der Sonderzahlung) für das Jahr 2014 aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage (im November) nicht erfolgen wird.
Die Arbeitnehmerin klagte auf Zahlung des 2. Teils der Sonderzahlung in Höhe von € 784,00 brutto und führte dazu aus, dass durch die Abrechnung eines halben Monatsgehalts als Abschlag im Mai habe der Arbeitgeber bekannt gegeben, dass die Gratifikation im Jahr 2014 insgesamt ein volles Monatsgehalt betragen werde. An diese Erklärung sei der Arbeitgeber gebunden. Nach Ansicht der Arbeitnehmerin/ Klägerin bestehe der Anspruch auch unter dem Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung.
Das Arbeitsgericht Hamburg wies der Klage ab. Dagegen legte die Klägerin Berufung zum LAG Hamburg ein.
Das Landesarbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 12.12.2016, 8 Sa 43/15) urteilte, dass die Berufung zulässig und begründet ist und führte dazu aus:
Allgemeine Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Zwecke gelten (BAG v. 17.04. 2013 – 10 AZR 281/12 – juris).
Bei Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze ergibt sich für das Verständnis von § 3 des Vertrages der Parteien insgesamt Folgendes:
a. Nach der Rechtsprechung des BAG kann ein Freiwilligkeitsvorbehalt zweierlei bedeuten: Einerseits kann er das Entstehen eines Rechtsanspruchs auf eine künftige Sonderzahlung wirksam verhindern (BAG v. 08.12.2010 – 10 AZR 671/09). Der Arbeitgeber kann – außer bei laufendem Arbeitsentgelt (vgl. BAG v. 25.04.2007 – 5 AZR 627/06) – einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich ausschließen und sich eine Entscheidung vorbehalten, ob und in welcher Höhe er zukünftig Sonderzahlungen gewährt. Der Begriff „freiwillig“ im Zusammenhang mit einer Sonderzahlung bringt andererseits regelmäßig lediglich zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber nicht bereits durch Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zur Zahlung verpflichtet ist. Er genügt für sich genommen nicht, um einen Rechtsanspruch auf die Leistung auszuschließen (BAG v. 13.05.2015 – 10 AZR 266/14 – juris).
b. Sodann ist geregelt, dass die Beklagte jährlich zu einem nicht mitgeteilten Zeitpunkt die Höhe der Weihnachtsgratifikation bekannt gibt und damit – unausgesprochen – auch über deren Höhe entscheidet, wobei es nur hinsichtlich der Maximalhöhe eine Regelung gibt, nämlich – im Falle der Klägerin anders als in den meisten Parallelfällen – (bis auf weiteres) mindestens ein halbes Gehalt. Ob damit auch eine vollständige Streichung der Gratifikation vereinbar wäre, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
………..
Ob § 3 des Arbeitsvertrages mit diesem durch Auslegung ermittelten Inhalt – insbesondere der Kombination der verschiedenen Bestandteile (vgl. BAG v. 14.09.2011 – 10 AZR 526/10 – juris) – einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhält, kann offen bleiben, denn auch bei unterstellter Wirksamkeit der Klausel ist der Anspruch der Klägerin begründet. Die Beklagte könnte sich nämlich als Verwenderin nicht auf eine etwaige Unwirksamkeit der Klausel berufen. Die Inhaltskontrolle schafft lediglich einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender, sie dient aber nicht dem Schutz des Klauselverwenders vor den von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen (BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 3/05 – juris). Soweit der Beklagten ein Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt ist, hat sie dieses also für das Jahr 2014 gemäß § 315 II BGB ausgeübt und sich zur Zahlung eines ungekürzten Gehaltes verpflichtet.
a. Insoweit ist von folgenden Rechtsgrundsätzen auszugehen: Die Leistungsbestimmung gemäß § 315 II BGB erfolgt durch empfangsbedürftige Willenserklärung. Als Willenserklärung ist sie so auszulegen, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von seinem Empfängerhorizont aus verstehen musste. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des Inhalts der Erklärung, sondern auch hinsichtlich der Frage, ob eine Erklärung überhaupt als Willenserklärung und somit als Leistungsbestimmung zu werten ist (LAG Hessen v. 20.09.2010 – 7 Sa 2082/09 – juris). Die Wirksamkeit der Gestaltungserklärung setzt nach § 315 keine Begründung der Leistungsbestimmung voraus. Aus sich heraus nachvollziehbar muss die Erklärung des Berechtigten zwar sein – aber nur insofern, als sie nach gebotener Auslegung das Bestimmtheitsdefizit des bestimmungsoffenen Rechtsgeschäfts auffüllen muss. Das aber heißt: Die Willenserklärung muss allein die zu bestimmende Leistung (oder andere Vertragsinhalte) angeben – nicht aber die „Billigkeitsgrundlagen“, also die Entscheidungsmotive des Leistungsbestimmers.
Eine Teilleistungsbestimmung ist nur zulässig, wenn das ausbedungen ist (BAG v. 26.09.2012 – 10 AZR 370/11 – juris; Staudinger/ Rieble (2015) BGB § 315, Tz. 299).
b. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze bedeutet dies – dem LAG Hamburg in der Sache 7 Sa 42/15 folgend -, dass die Beklagte im Jahr 2014 gegenüber der Klägerin durch die Gehaltsabrechnung im Mai 2014 – und entsprechende Zahlung – bekannt gegeben hat, dass sie wiederum eine Gratifikation wie in den vergangenen Jahren zahlen wird, nämlich in Höhe eines ganzen Gehalts, indem – wie seit Anfang der Neunzigerjahre, also seit über 20 Jahren – im Mai ein halbes Gehalt als (hälftige) Gratifikation abgerechnet und gezahlt wurde, ohne dass ein Vorbehalt dahingehend erklärt worden war, dass eine Leistungsbestimmung für das Jahr 2014 noch nicht erfolgt sei und man sich vorbehalte, hierüber endgültig erst Ende des Jahres zu entscheiden. Aus diesem Verhalten der Beklagten konnte die Klägerin – als Empfängerin der konkludenten Erklärung – schließen, dass sich die Beklagte wie in den vergangenen Jahren verhalten und am Jahresende die zweite Hälfte der Gratifikation entsprechend der Höhe der ersten Hälfte der Gratifikation aus Mai 2014 zahlen werde und von ihrem Leistungsbestimmungsrecht für das Jahr 2014 vor der Zahlung im Mai 2014 bereits Gebrauch gemacht hat.
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht