Wien (Culinarius) Mit einem von dem italienischen Designer Nicola Formichetti entworfenen Kleid aus Fleisch machte die italo-amerikanische Sängerin Lady Gaga bei ihrem MTV-Award (2010) Auftritt Schlagzeilen. Auf ihrer vierten Tournee, „ArtRave: The Artpop Ball“, die sie durch die halbe Welt führt, arbeitete sie u.a. mit einer Künstlerin zusammen, die sich in einer Episode der Performance öffentlich auf der Bühne übergibt. Der Vorfall sollte rein zufällig wirken, aber war natürlich Teil einer gut ausgeklügelten Strategie des „anything goes“: Lady Gaga twitterte im Anschluss an das Konzert ein Nacktvideo aus ihrer Badewanne, wo sie sich die vermeintliche Kotze abwusch. Millie Brown, die selbsterklärte „Vomit Painterin“ aus Texas, hatte aber nur eine grüne Flüssigkeit zum Vorschein gebracht, die natürlich nichts mit gewöhnlichem Erbrochenen gemeinsam hat. Lady Gaga muss sich seither wiederholt den Vorwurf gefallen lassen, Essstörungen zu verherrlichen. Geht Lady Gaga nun wirklich zu weit? Das Konzert in Wien bietet eine Gelegenheit, das selbst herauszufinden.
„This is `Art-Pop´!“
„Die Malerei zerstören“ hatte Joan Miró schon 1927 gemeinsam mit den Surrealisten André Breton und Paul Éluard gefordert und vielleicht ist es das, was Lady Gaga mit ihrer Artpop Tournee auch mit der Popmusik im Sinne führt. Denn auf die Frage ob dies noch etwas mit Popmusik zu tun hätte, antwortete sie unverhohlen: „Fuck pop music! This is `Art-Pop´!“ Der volle Titel der Tournee lautet folgerichtig also „ArtRave: The Artpop Ball“ und ist damit ein klarer Verweis auf die Neunziger, in denen die Gaga sozialisiert wurde. „Raves“ waren in den Neunzigern illegal abgehaltene Partys in leerstehenden Fabrikhallen oder Elektrizitätskraftwerken, die meist zu spektakulären Katz und Maus Spielen mit der Polizei führten. Da sich Lady Gaga seither mit der Camp- und Queer-Szene der Lower East Side in New York – wo sie damals noch im Vorprogramm von Glam- und Garage-Rock-Bands sang – verbunden fühlt, benannte sie ihre vierte internationale Konzert-Tournee kurzerhand nach diesem popkulturellen Phänomen. Die Idee dazu kam ihr übrigens bei einem siebentägigen Konzertmarathon im Roseland Ballroom im Big Apple. Im Rahmen ihres Artpop getauften dritten Albums hatte sie dort nämlich auch Kunstwerke gezeigt und voilà! Fertig war das Konzept! Art-Pop war geboren.
Lady Gaga in Hochform
Seit dem offiziellen Tourstart am 4. Mai dieses Jahres in Fort Lauderdale, Florida tourt Lady Gaga nun schon durch Nordamerika, Europa, Ozeanien und Asien, wobei die Wiener bei ihrem Termin (2.11., Stadthalle Wien) das Privileg haben, einen der letzten Termine auf der Tournee – die Ende November in Paris endet – für sich reserviert zu haben. Die Bühne wird auch in Wien aus einem Laufsteg und einer Bar, an der ausgewählte Gäste während des Konzerts auch Platz nehmen können, bestehen. Dank der modernen Technik werden superschnell aufblasbare Airbags sich beim Konzert in einen überdimensionalen Wald aus 15 Bäumen verwandeln, während Lady Gaga ihren Hit „Venus” singt. Eine 110 Fuß (33,5 Meter) lange Laufstrecke zwischen Hauptbühne und Nebenschauplatz überspannt die Zuschauerarena, unter der man auch durchgehen kann. Für zusätzliche Stimmung sorgen auch 14 Tänzerinnen und Tänzer und fünf Bandmitglieder bestehend aus zwei Gitarren, Bass, Keyboards und Schlagzeug. Lady Gaga absolviert während ihrer Show aus 24 Songs auch ca. 14 Garderobenwechsel. Die Tournee besteht insgesamt aus 78 Auftritten in 68 Städten der Welt. Das Konzert in der Wiener Stadthalle ist der 68. Auftritt seit Mai 2014, also die zehntletzte Station und läutet das Ende einer Ära ein. Denn auch Art-Pop wird nicht mehr sein.
Jazz saved her life
Das Leben der erst 28-jährigen Stefani Joanne Angelina Germanotta aka Lady Gaga könnte sich in naher Zukunft – nach Absolvierung ihrer Marathontournee – grundlegend ändern. Erst kürzlich machte sie Schlagzeilen mit ihrem Geständnis über Angstzustände und schwere Depressionen. Einer deutschen Illustrierten gestand sie sogar, sich im Krankenhaus wie eine Kuh gefühlt zu haben, die nur dann von Interesse ist, wenn sie gemolken werden kann. Die Kuh gab aber keine Milch mehr. Durch ihre Krise lernte sie dann aber den Schnulzensänger Tony Benett kennen, der vor mehr als einem halben Jahrhundert mit Hits wie „I left my heart in San Francisco“ die Charts anführte. Der inzwischen 88-jährige und die sechs Jahrzehnte jüngere Germanotta nahmen anschließend gleich gemeinsam ein Album auf und die Singleauskoppelung „Cheek to Cheek“ schoß Anfang Oktober auf Platz 1 der Hot 100 Single-Charts. Auf diesem quasi inoffiziellen vierten Album von Lady Gaga singt sie altbekannte Lieder des American Songbook wie etwa „Anything Goes“, „Bang Bang“, „Lush Life“ oder „Every Time We Say Goodbye“. Das Konzert von Lady Gaga „ArtRave: The Artpop Ball“ in der Wiener Stadthalle am 2. November bietet also die letzte Gelegenheit, die Lady Gaga zu sehen, die die Welt kennt. Denn die neue Lady Gaga ist nunmehr mehr „Lady“ als „Gaga“ und gibt wieder viel frische Milch.
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