La Boum - Die Fete säuft Tee

oder Die Streiter gegen die Diktatur der Gutmenschen.
Die auf Frankreichs Straßen ausgefochtene Homo-Ehe ist mehr als der brutale Übergriff des rechten und konservativen Mobs auf einen gegen ihn und seinen Lebensstil gerichteten Affront. Es ist die Hysterie einer konservativen Reaktion, die meint, sie lebte in einer totalitär linken und gutmenschlichen Welt, in der alle ursprünglichen Werte und Ideale untergraben werden und in der ein neues Menschengezücht nach gutmenschlichen Aspekten geplant sei.
Der linke Gutmenschen-Totalitarismus

Es ist die Paranoia jener Bürgersleut', die sich im multikulturellen Staat ebenso unwohl fühlen, wie im bunten Allerlei möglicher Lebens- und Partnerschaftsentwürfe, die da nun demonstrativ und teils gewaltbereit gegen einen Zeitgeist stehen, von dem sie in der Zeitung gelesen haben, er sei links. Sie glauben die Märchen der neoliberalen PR-Ökonomie, wonach die Früchte des modernen Wohlstandes stetig der Gefahr eines Linksruckes ausgesetzt werden. Hollande, bestenfalls ein gemäßigter Linksliberaler, wird so zum Gesicht des linksextremistischen Politikers, der sich in der Gefühlsduselei linker Lebenslügen eingenistet hat.
Ist es für den rechten Mob in irgendeiner Weise existenziell wichtig, wer mit wem legal zusammen ist? Treibt ihn nur die Sorge um das traditionelle Familienmodell auf die Straße? Es handelt sich schließlich um ein Modell, in dem viele dieser Chaoten vermutlich selbst kaum leben.
Die auf Paranoia bauende Fete, die sich in den Vereinigten Staaten unter dem Label der Tea Party formierte, erlebt auch in Europa immer wieder durchschlagende Momente. Die Fete, la Boum kommt auch hier in Schwung, richtet sich auch hier an das Abstraktum eines angeblich linken und intellektuellen Zeitgeistes. Sie wähnt sich als Auslaufmodell des anständigen Bürgers und Menschen, der noch naturverbunden lebt, schön sortiert in Völker und Rassen, der Partnerschaft zwischen Mann und Frau als natürlich ansieht, der nun aber vom linksextremistischen Zeitgeist abgewickelt, in ein unnatürliches Stadium überführt wird.
Eine sehr kurze Geschichte des Antimodernismus
Fürwahr ist La Boum und Tea Party nicht identisch. Wie auch? Aber beides sind Reaktionen, die auf Massen von ungebildeten oder schlicht ideologisch versauten Fußtruppen bauen, die sich als Widerstand gegen die Diktatur der Gutmenschen betrachten und der Unnatürlichkeit und Gottesferne von aufgeklärten und toleranten Gesellschafts- und Weltbildern den Krieg erklärt haben. Es sind Affekte eines Antimodernismus, der nicht begreifen will, dass sich Biologismus und Rassismus nicht mehr als Grundlage des Zusammenlebens halten lassen. Jedenfalls nicht auf der Ebene der individuellen Privatheit - auf wirtschaftlicher Ebene haben die Eliten weiterhin rege Freude an beiden, benötigen sie zur Aufrechterhaltung ihrer ökonomischen Prädestinationslehre.
Das Antimodernistische kennt jede Zeit. Die Faschismen des letzten Jahrhunderts waren solche Bewegungen. Ihr Clou: Sie gaben ihre reaktionäre Kraft als Fortschritt aus, als Notwendigkeit einer von ihnen verkündeten neuen Zeit. Fascismo und Nationalsozialismus, Acion française und Pfeilkreuzler richteten sich allesamt gegen einen Zeitgeist, den sie für zu progressiv, für geradezu linksextremistisch erfüllt, hielten. Sie bemühten alle auf ihre spezielle nationale Weise, aufbauend auf jeweils nationale Mythen und Eigenheiten, eine Rückschau, die Vorausschau sein sollte. Die neue Zeit sollte an die vernünftige Ordnung der alten Zeit neu anknüpfen. In dieser Form waren diese Antimodernismen antikommunistisch und antikapitalistisch zugleich. Sie waren Bekenntnisse des fortschrittlichen Rückschritts oder andersherum. Es war die massenhafte Paranoia einer Zeit, die mit dem Tempo der Vermassung nicht zurechtkam.
Die Vermassung war das Schlagwort jener Jahre. In ihr erkannten viele (meist elitäre) Intellektuelle die Wurzel des Antimodernismus. Besonders José Ortega y Gasset, ein spanischer Soziologe und Philosoph, behandelte dieses Phänomen. In La rebelión de las masas schrieb er: "Anderssein ist unanständig. Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigenbegabt und erlesen ist. Wer nicht 'wie alle' ist, wer nicht 'wie alle' denkt, läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden." Auch wenn er hier aus der Warte des elitären Soziologen schreibt, so spricht er hier den Mechanismus der Ausgrenzung an, der antimodernistischer Usus ist. Dies war die Wurzel des Antimodernismus seiner Zeit, glaubte Ortega y Gasset. Welche Vermassung treibt heute die Antimodernisten an? Bedarf es einer Analyse der Massenkultur, die sich durch die sozialen Netzwerke manifestiert hat?
Der Rausch des Tees
Diese Auswüchse rabiaten Reaktionismus', den man in den Nachrichten erblicken kann, die Massen von Bürgern, die gegen Multikulturalismus und Gleichstellung, die gegen staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und Umverteilung zugunsten ökonomisch aussortierter Menschen ... all diese Auswüchse sind antimodern und insofern immer auch Basisbewegungen hin ins Faschistoide. Sie kippen ihren Sud, ihren ungenießbaren Tee über Gesellschaften, die mehr und mehr von demokratischen und liberalen Wertvorstellungen abgeschnitten sind, weil in ihnen das Ökonomische nicht nur Primat, sondern mittlerweile auch Ideal geworden ist.
Der Tee, den dieser Antimodernismus braut, berauscht allmählich immer mehr Gesellschaften. Er macht die Trinker rabiat, in jeder Gesellschaft auf andere Weise. Dort will man den reinen Kapitalismus zurückerobern, in Frankreich wehrt man sich gegen homosexuelle Partnerschaften und in Deutschland ist man gegen Multikulturalismus und Schmarotzer, für Richtersprüche voller Härte und ein Ende der Resozialisierung.

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