Kurz kommentiert

"Gerade mal vier Tage nach der Bundestagswahl ist die CDU womöglich bereit, mit der SPD über Steuererhöhungen zu verhandeln. Was für ein Irrweg! Der deutsche Staat hat kein Einnahmeproblem, sondern ein Gerechtigkeitsproblem."
- Christian Rickens, Spiegel Online am 26. September 2013 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Lassen wir mal kurz Rickens' These so stehen. Es ist ja nicht mal seine, sondern der übliche angebotsorientierte Schmu nach der Formel Höhere Steuern (für Besserverdienende) = Stagnation = Rezession = Untergang der Welt, wie wir sie kennen und schätzen. Wie sich die Anhänger dieses Mantras Gerechtigkeit denken, zeichnet Rickens recht ansehnlich nach. Für ihn ist das Gerechtigkeitsproblem eine Angelegenheit zwischen Arbeitenden und Nicht-Arbeitenden. Zitat: "Das deutsche Steuersystem bestraft all jene, die jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen, egal ob Facharbeiter oder Manager." Der Feind steht im Lager derer, die sich den Wecker nicht zu stellen brauchen. Aha!

Facharbeiter und Manager und womöglich gar der Pizzabote leiden demnach unter demselben staatlichen Zugriff - und alles nur für die Faulpelze, für die Privatiers und den Sozialhilfeadel. Gut,das schreibt Rickens momentan mal nicht. Das ist derzeit nicht opportun. Mittlerweile erwischt es ja auch viele Journalisten mit der Arbeitslosigkeit, da hält man lieber mal den Mund. Ein Gerechter ist für Rickens dennoch jemand, der arbeitet. Ganz gleich was. Und diese Gerechten werden vom "deutschen Staat" (sein O-Zitat) ungerecht behandelt. Dieser "deutsche Staat" ist die wohlweislich gewählte rhetorische Distanz, die immer dann gewählt wird, wenn nationaler Taumel nicht nötig ist. Bei Steuerfragen eben. Der "deutsche Staat" zeichnet das Gemeinwesen als ein Ungeheuer, als den steuerfressenden Leviathan.
Klar, einige Punkte die Rickens auflistet stimmen ja sogar. Was die Kapitalertrags- oder Erbschaftssteuer betrifft etwa. Aber ist es nicht Augenwischerei, Steuererhöhungen für Besserverdienende zu einer Art Kampfbund der Fleißigen gegen die Nichtstuer zu deuten? Klar ist es das. Und nicht nur. Es ist beabsichtigt, denn es soll die Debatte umlenken, auf Abwege führen und die Wut von denen, die mehr Steuern abführen könnten, auf die, die nicht aktiv arbeiten umsteuern.
Auch wenn Rickens behauptet, dieser "deutsche Staat" hätte kein Einnahmeproblem. Warum sind dann die öffentlichen Kassen chronisch leer? Verschwendungssucht? Wohin verschwenden denn die Kommunen, die eigentlich immer blank sind, ihre Einnahmen? Oder sind die etwa nicht Teil des "deutschen Staates"? Teilweise reicht es nicht mal mehr für Schwimmbäder und Büchereien. Das Kulturangebot strauchelt. Kann man also zu viel einnehmen?
Wenn Rickens die Gerechtigkeitsfrage stellen will, dann sollte er mal in den Raum werfen, wie man die Gelder zwischen Bund, Länder und Kommunen gerechter verteilen könnte. In dieser Frage steckt mehr Potenzial für eine Gerechtigkeitsdebatte als in der Spaltung zwischen Arbeitenden und Nicht-Arbeitenden. Und die Frage, warum jemand, auch wenn er arbeitet, ein Gehalt beziehen muss, dass er nicht mal unter größter Mühe monatlich aufbrauchen kann, sollte natürlich auch mal aufgeworfen werden. Denn die Diskrepanz zwischen Viel-Besitzenden und Kaum-Besitzenden ist die eigentliche Grundlage einer solchen Debatte.
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