Von Stefan Sasse
In der von Innenminister Friedrich angestoßenen Debatte über Anonymität im Netz zeigt sich die Presse überraschend einig in der Einschätzung darüber, was für ein riesiger Unsinn das alles ist. Selbstverständlich ist diese Information noch nicht voll zur Union durchgedrungen - und wird es auch nicht, da man sich bei einer Stammwählerschaft deutlich über 40 gerne mit der Angstmache vor einem nahezu unbekannten und gefährlich wirkenden Medium profiliert. Zu Friedrichs "Argumenten" hat nun der innenpolitische Sprecher eines draufgesetzt, wie SpiegelOnline berichtet: Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, beklagte hingegen "gravierende Nachteile" der Möglichkeit zu anonymen Äußerungen im Netz. "Erst durch die Anonymität ist die Verbreitung von Kinderpornografie oder extremistischem Gedankengut in einem nie gekannten Ausmaß möglich", betonte Uhl. "Wer in einer Demokratie seine Meinung äußert, sollte dazu stehen." Die von Friedrich angestoßene Diskussion sei zu wichtig, "um sie nur einigen Netzaktivisten zu überlassen".Atemberaubend, wie Uhl den Bogen von der demokratischen Meinungsfreiheit zur Kinderpornographie schlägt. Es wird nicht mehr lange dauern, und die Bevölkerung zuckt bei der Erwähnung von Kinderpornographie nur noch mit den Schultern, so wie sie es jetzt mit Terrorismus tut - wer ständig "Wolf!" schreit, obwohl keiner da ist, braucht sich nicht darüber zu wundern, das lernen bereits kleine Kinder. Davon einmal abgesehen sind Uhls Argumente auch haarsträubend: Jahrzehnte lang verbreitete sich Kinderpornographie auch völlig ohne Internet, ja ohne Computer, und es ist nicht bekannt dass sich die Kunden und Händler auf irgendwelchen Schmuddelmärkten mit Namensschildern ihre Klarnamen deutlich gemacht hätten. Und extremistisches Gedankengut verbreitet sich besonders dank der Anonymität? Genau, deswegen hat Adolf Hitler "Mein Kampf" ja auch unter einem Pseudonym veröffentlicht…
Heribert Prantl kommentiert in der Süddeutschen deswegen ebenfalls gegen Friedrichs Idee und vergleicht sie mit dem Vermummungsgesetz der 80er Jahre, das nur eine rechtliche Unsicherheit und eine ständige Repressionshandhabe gegen Demonstranten gebracht habe, selbst aber kaum einsetzbar ist. Gegen Ende kommt er dann zu folgendem Schluss: Bei Leserbriefen im Internet, den "Postings" zu Online-Artikeln, schreibt bisher jeder unter dem Namen, den er für lustig hält. Auch das muss nicht sein. Unter den Leserbrief in der gedruckten Zeitung wird der Realname gesetzt, nicht der Name "Gurnimaz" oder Ähnliches. Das ist aus rechtlichen Gründen so - und weil es zum Wesen der Zeitung gehört. Im Internet verändert Presse zwar den Aggregatzustand, aber nicht ihr Wesen.Es gehört zum Wesen der Presse, dass unter Leserbriefen der Realname steht? Mal als ernsthafte Frage an diejenigen, die Leserbriefspalten lesen: hat euch der darunter abgedruckte Name (der im Übrigen bei vielen Presseorgangen auch abgekürzt wird, um Idenitifkation zu vermeiden) jemals interessiert? Prantl folgt hier der unseligen Debatte über die Unterscheidung von Print- und Onlinemedien, die bisher nichts Substantielles zutage gefördert hat und das auch nicht wird.
Jens Berger beschäftigt sich auf den NDS mit dem Thema.
Friedrichs „Vorstoß“ ist bei näherer Betrachtung nicht viel mehr sinnlose Dampfplauderei. Ein Klarnamenzwang im Netz ist nicht nur unsinnig, sondern auch undurchführbar. Auch das weiß Friedrich sicherlich nur all zu genau.
Leider irrt Berger hier, denn mit dem elektronischen Personalausweis steht ein Instrument in der Warteschlange, mit dem sich das technisch problemlos umsetzen ließe - und durch die damit gleichzeitig eingeführte Alterskontrolle auch noch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Friedrichs Allmachtsphantasien sind leider viel weniger weit von der Realität entfernt als man hoffen dürfte.
Ebenfalls bei SpiegelOnline wird ein Artikel zum Thema S&P-Rating mit folgenden Zeilen eingeleitet: Eine neue Finanzkrise erschüttert Amerika, Asien, Europa - doch Barack Obama fallen nur Floskeln ein: Die USA würden ein "AAA-Land" bleiben, beteuert der Präsident - während die Börsenkurse erneut abstürzen. Der mächtigste Mann der Welt wirkt seltsam gelähmt. Daran sind zwei Dinge bemerkenswert. Erstens ist die Lähmung des Präsidenten nicht "seltsam", sondern direktes Produkt der Tea-Party-Politik der letzten Zeit, die ihm das Heft des Handelns vollständig aus der Hand geschlagen hat. Seine Lähmung ist direkte Folge des Streits um die Anhebung der Schuldengrenze, nicht mehr, nicht weniger. Seltsam ist daran gar nichts. Und die abstürzenden Börsenkurse widersprechen der - im übrigen richtigen - Einschätzung Obamas, die USA würden ein AAA-Land bleiben, erst einmal nicht. Dieser Absturz spiegelt die Lage der Realwirtschaft eigentlich nicht wieder, denn die Schuldenkrise und das Rating haben objektiv für die Wirtschaft nichts geändert.
Das Problem ist vielmehr ein anderes, das in der New York Times treffend analysiert wird: The Treasury can cry foul all it wants, but the decision by Standard & Poor’s to downgrade America’s credit rating by one notch last Friday, and the subsequent plunge in the stock market, are serious symptoms of a loss of confidence — an assessment that is fundamentally political, not economic. Genau das ist das Problem. Die Tea-Party hat ihr Ziel gewissermaßen erreicht. Der Staat ist vollkommen handlungsunfähig und kann nicht mehr regulierend oder reformerisch tätig werden. Nur ist das Utopia einiger Milliardäre und ihrer willigen Redneck-Helfer für klar denkende Menschen (und auch wenn es manchmal anders aussieht, diese konstituieren immer noch die Mehrheit der Wirtschaftslenker) eine Katastrophe, denn wenn der Staat handlungsunfähig ist, kann niemand mehr regulierend eingreifen wenn etwas schief läuft. Und es läuft vieles schief. Eigentlich müsste der Staat viel mehr handeln als er es tut, aber die künstlichen Beschränkungen, die die derzeitigen Populismuswellen ihm überall auferlegen, halten ihn davon ab.