Kurz hat Masern, kauft keine Bananen, verweigert die Ökosteuer und ist zu jung - Vermischtes 01.06.2019

Von Oeffingerfreidenker

Die Serie „Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Lidls fair gehandelte Banane floppt

Der Discounter Lidl hat seine Pläne aufgegeben, nur noch fair gehandelte Bananen zu verkaufen. Das bestätigte Lidl am Freitagabend. Es sei nicht gelungen, die Kunden vom Produkt zu überzeugen. Erst im Herbst vergangenen Jahres hatte der Discounter ankündigt, als erster Einzelhändler in Deutschland nur noch fair produzierte Bananen zu verkaufen. Die Ziele waren groß: Lidl sollte der nachhaltigste Discounter in Deutschland werden. Dafür erntete der Discounter sogar Lob vom Bundesentwicklungsminister Müller auf der „Grünen Woche" in Berlin. Damit soll nun Schluss sein: Schon am Montag kommentierte Klaus Gehrig, Chef der Schwarz-Gruppe, auf einer Pressekonferenz die Sortimentsumstellung im vergangenen Jahr: „Der Kunde kauft anders ein, als er redet", sagte Gehrig. Mit der fairen Banane würde Lidl kaum Gewinne machen. Rund 90-Prozent des Umsatzes würde noch immer über die konventionelle Frucht erwirtschaftet. (Stefanie Diemand, FAZ)

Das obige Ergebnis ist nicht sonderlich überraschend. Wenn wir uns zum Schutz von Klima und Umwelt auf solche individuellen Verhaltens- und Konsumänderungen stürzen - da bin ich auch völlig bei meinem Kollegen Stefan Pietsch - ist alles, was wir erreichen, ein Scheitern im Kleinen und ein Aufbringen der Leute gegen die Idee generell. Der amerikanische Blogger Kevin Drum hat da in der letzten Zeit auch in diese Kerbe geschlagen und mehrere Studien aufbereitet, die klar zeigen dass die Aufforderung, nachhaltiger zu konsumieren und zu leben, eher kontraproduktiv ist. Andere Studien zeigen auch, dass es für's Klima eh praktisch nichts ausmacht. Nur, und da werde ich mit Stefan sicherlich über Kreuz liegen, zeigt das für mich nur eins: Freiwilligkeit funktioniert nicht, was es braucht, ist klare Regulierung von oben. Die Leute kaufen freiwillig keine ökologisch und ethisch unbedenklichen Bananen und die Dinger bestehen gegen die von blutigen Kinderhänden gepflückten aber billigen "Standard"-Bananen nicht. Gut, dann wird das eben reguliert und es gibt nur fair gehandelte Bananen. Danach kann im freien Spiel der Marktkräfte wieder gezeigt werden, wer nachhaltige Bananen am günstigsten heranschaffen und verkaufen kann. Darin ist die Marktwirtschaft unübertroffen spitze. Diese Produkte zum Standard zu machen, darin ist sie unübertroffen schlecht. Wir sollten endlich die entsprechenden Konsequenzen ziehen.

2) "Hatespeech" gegen die Ökosteuer

Als die rot-grüne Koalition im Bund 1999 begann, in mehreren Stufen eine moderate Ökosteuer auf Kraftstoffe, Strom und - nur geringem Ausmaß - Heizstoffe einzuführen, lief eine Allianz aus Opposition, Boulevardpresse, ADAC und BDI zu rhetorischer Höchstform auf: Die "Abzock-Steuer" treffe die kleinen Leute, hieß es, führe zur Deindustrialisierung Deutschlands und zeige einmal mehr die klebrigen Finger des Staates. Das Argument, Preise hätten die ökologische Wahrheit zu sagen, um echte Anreize fürs Energiesparen und für Klimaschutz zu bieten, drang ebenso wenig durch wie die empirisch gut belegte These, die Verwendung der Einnahmen aus der Ökosteuer - am Ende rund 18 Milliarden Euro - für die Absenkung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen zur Rentenversicherung führe zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dass eher ökologisch ausgerichtete Unionspolitiker wie Wolfgang Schäuble der populistischen "Anti-Abzock-Kampagne" ihre Unterstützung verweigerten, änderte an der vergifteten Atmosphäre nichts. Der "Hatespeech" der Ökosteuergegner trug bald Früchte: Bundeskanzler Gerhard Schröder von den Sozialdemokraten knickte früh ein und erklärte, mit ihm seien weitere Ökosteuern nicht zu machen. So war 2003 nach ihrer fünften Stufe Schluss - obwohl das Gros ökologisch orientierter Ökonomen empfahl, auf dem Pfad zu bleiben, die Steuer- und Abgabenlast vom Faktor Arbeit auf den Faktor Energieverbrauch umzuverteilen. Denn nur so seien beide Effekte zu erreichen: Verbesserung der Energieeffizienz und des Klimaschutzes hier - sowie nachhaltige Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme und aktive Beschäftigungsförderung dort. (Reinhard Loske, Klimareporter)

Die hier aufgezeigte Dynamik ist auch interessant. Hier wurde eine große Chance vertan, einerseits aus ideologischer Motivation heraus (der Verweigerung einer "Vergrünung" und dem Hass gegenüber allem, wo Steuer draufsteht) und andererseits aus einer politischen Motivation, weil man glaubte, hier billige Punkte machen zu können. Was einen dabei die Haare raufen lässt ist, dass eine Umverteilung der Abgabenlast weg von der Arbeit hin zu anderen Faktoren ja eigentlich grundsätzlich voll auf Linie mit der schwarz-gelben Opposition ist - die ganzen Agenda-Reformen waren ja von diesem Wunsch getragen, ebenso die Ruck- und Reformrhetorik der 1990er Jahre. Ohne zu sehr in die Details gehen zu wollen - die Ökosteuer war sicherlich nicht die perfekte Lösung, die alle Probleme beseitigt hätte. Aber wie ich im Zusammenhang um Klima- und Umweltschutz nicht zu betonen müde werde kommen CDU und FDP ihrer Verantwortung hier einfach null nach. Sie stauben politische Punkte ab, wo sie sich anbieten ("Vernunft statt Fahrverbote", my ass) und blockieren ansonsten einfach alles. Eigene Konzepte kommen überhaupt nicht, weder seinerzeit unter Rot-Grün noch heute. Das ganze Debakel sehen wir jetzt, wo sie dastehen wie der Kaiser ohne Kleider. Es ist auch, bevor der Einwand kommt, wahrlich nicht so als ob sie damit alleine wären. Ich würde die genau selbe Dynamik für das gesammelte linke Lager bei der Außen- und Sicherheitspolitik unterstellen, wo man zwar immer gerne bereit ist, mit markigen Parolen bei der Bevölkerung billige Punkte zu holen wenn es um Rüstungsexporte, Interventionen und Co geht, wo aber kein Konzept existiert, wie man Krisen lösen sollte, außerdem dem Schwingen des Verhandlungszauberstabs. Es wäre wünschenswert, dass hier mehr Verantwortung beweisen wird. Gerade von den Parteien, die diese Worte - genauso wie "Vernunft" und "Pragmatismus" - so inflationär im Munde führen.

3) Why Older People Have Always Trashed Young People

This is a refrain as old as time. But these dispeptic fogies who love to sound alarms about the fatal defects of the youth always seem to forget how the story turns out: The next generation is fine. Capable. Better, even. Some of its members will slouch off, sure, but others will step up and carry the world forward. Look around: Everything we know - everything we have ever relied upon, or been impressed by, or adored, or treasured, or desired - was created by a generation who had been dismissed by the one before it. If we worsened over generations, rather than improved, we'd have nothing. We'd be banging our heads against the ruins of the pyramids. Instead, we built the modern world. [...] So why do they keep saying it? And why can't we stop the cycle - each generation being unfairly dismissed, only to grow old and repeat the same mistake? Simple: Because we're afraid. [...] Youth bashing isn't the exclusive province of older people. Young people get into it too, especially those inclined to sentimentality. [...] We talk of children in terms of continuation. They carry on our traditions. They take our names. We delight in how they look like us, act like us, think like us. We want our kids to adopt our politics, our causes, our sense of meaning. In our children, we seek immortality. But then they grow up, and we discover they're not us. They are their own people. They'll find their own politics, their own causes, their own sense of meaning. They're more interested in the future than the past. (Jason Feifer, Medium)

Dieser Artikel stammt vom Jason Feifer, der den großartigen und nur empfehlenswerten Podcast Pessimists Archive betreibt. Es ist ja mittlerweile ein Bonmot, dass schon Sokrates sich über "die Jugend von heute" beschwerte, und ich habe an dieser Stelle auch bereits beschrieben, dass die ganzen Kassandrawarnungen von der ach so schrecklichen Jugend vollkommen überzogen sind. Interessant ist da in diesem Zusammenhang Feifers Erklärung, woher das eigentlich kommt. Ich weiß nicht, ob ich die Idee von "Kinder erinnern uns an unsere Sterblichkeit" so kaufe, aber sie ist zumindest mal interessant. Ein Phänomen, das Feifer zwar erwähnt, aber (noch) nicht gesondert behandelt, ist dass die junge Generation genau dasselbe macht. Feifers Erklärung ist effektiv Nachahmung - das Bashing der jeweils Jüngeren wird von den Älteren vorgelebt und einfach übernommen. Das ist durchaus möglich, aber auffällig ist es definitiv. Ich erlebe das in der Schule dauernd. Die Zehntklässler erklären, wie schrecklich die Achtklässler wären, und die Sechstklässler beklagen sich über die nachrückenden Fünftklässler. Ich kann darüber nur lachen. Meine Generation hat das auch schon gemacht, und ich würde wetten, dass schon die Fortgeschrittenen im Grammatikkurs bei Cicero sich über die mangelnde Reife der Anfänger beklagt haben (oder wie auch immer die Klassen bei den Römern hießen). Und es bewahrheitet sich nie. Never ever.

When Mr. Kurz brought the Freedom Party into government in 2017 as the junior coalition partner, he claimed - and many believed - that doing so would "civilize" the party, which was founded by ex-Nazis and which regularly trafficked in racist and anti-Semitic tropes. (In 2012, Mr. Strache posted a cartoon on Facebook depicting a hooked-nose banker wearing Star of David cuff links, which he claimed was a critique of "greedy bankers" rather than anti-Semitic.) The argument was that by bringing the far right into mainstream politics, its leaders would have to tone down their radicalism and learn to appeal to a broader section of voters. With parties similar to - and allied with - the Freedom Party on the rise across Europe, this seemed to some like a sensible strategy. It was an unmitigated disaster. Not only did the Freedom Party fail to move away from its hard-right positions, it pulled the center right closer to its own extreme ideas on immigration and Islam. But the latest revelations demonstrate even more why Mr. Kurz should never have trusted the Freedom Party in the first place. Other mainstream European politicians facing threats from a growing far right should take heed: pandering to them doesn't work. For all the rhetoric of national sovereignty routinely espoused by Marine Le Pen, Matteo Salvini and other populist leaders, Mr. Strache's fall shows how these supposedly lofty ideas are a cover for opportunism and hypocrisy. (Alina Polyakova, New York Times)

Und es ist wahrlich nicht so, als ob es vorher an Warnungen und Warnzeichen gefehlt hätte. Dass die Konservativen immer damit liebäugeln, die Rechtsextremen zu spalten oder durch Regierungsarbeit zu zähmen ist zwar elektoral verständlich, aber es führt nur zu einer weiteren Legitimierung und einem Rechtsrutsch. Kurz und seine Apologeten können natürlich argumentieren, dass ihre hart rechte Politik, die sie in der Koalition machen konnten, das wert war. Die Republicans haben ja auch kein Problem damit, die Demokratie gegen ein paar Richterposten aufzurechnen. Aber es bleibt halt widerwärtig, und dafür müssen sie sich kritisieren lassen. Deswegen ist es auch wichtig, dass die CDU und CSU weiter hart darin bleiben, die AfD als Kooperationspartner kategorisch auszuschließen. Der verdächtigste Kandidat ist da ja die CDU Sachsen, die aber selbst soweit rechts ist, dass sie innerhalb der Partei einen absoluten Ausnahmefall darstellt. So wie das aktuell aussieht, ist schwarz-blau nur in Sachsen eine realistische Option, und im Rest des Landes ist die CDU ziemlich immun gegen die Logik, die die FPÖ so hochgebracht hat. Aber man wird sehen.

5) Rassistische Bachelorarbeit an FH Joanneum approbiert

Der Autor, der bereits in einschlägigen rechten Medien präsent war und mit einem führenden Wissenschafter des Institutes für Sprachwissenschaft an der Universität Graz publizistisch kooperiert, beschäftigt sich vordergründig mit der menschlichen Stimme. Diese sei, so schreibt er eingangs, "auch von der Rasse des jeweiligen Sprechers geprägt". "Negride und Mongolide" Es folgt ein pseudowissenschaftlicher Exkurs in die Intelligenzforschung: "Es ist das eine, nach wissenschaftlichen Kriterien festzustellen, dass der Intelligenzquotient von Europiden (Europäern) im Durchschnitt höher ist als der von Negriden (Afrikanern) (...) und gleichzeitig niedriger als jener von Mongoliden (Ostasiaten) (...)". Weiter heißt es: "Der Mensch ist in seiner individuellen Gestalt gleichzeitig auch Teil eines Volkes (z. B. des deutschen Volkes)." Der Rektor der Fachhochschule, Karl Peter Pfeiffer, verteidigt im STANDARD-Gespräch die Approbation der Bachelorarbeit: "Das Dokumentationsarchiv hat uns bescheinigt, dass die Arbeit zwar grenzwertig ist, aber strafrechtlich in der Substanz nicht angreifbar. Wir haben keine Basis gesehen, sie wieder abzuerkennen." In einer Rückmail an das DÖW wird noch ein Grund nachgeliefert: Man befürchtete offensichtlich Attacken aus der rechten Szene. Es sei davon auszugehen, heißt es, dass der Autor "im Falle einer Konsequenz über ein gutes Netzwerk in juristische wie mediale Richtung verfügt und dies möglicherweise noch unangenehmere Folgen hätte als eine stille Akzeptanz der Arbeit". (Walter Müller, Der Standart)

Wo sind sie, die rechten Bedenkenträger der gefährdeten Meinungsfreiheit an den Unis? Permanent wurde die Gefahr beschworen, den die Proteste radikalisierter Studenten gegen diesen oder jenen Vortrag seitens eher rechtsmoderater bis rechter Intellektueller und Politiker an den Unis oder die Forderung nach Safe Spaces hatten (nicht zu Unrecht, by the way). Aber die reale Drohkulisse für die Meinungs- und Forschungsfreiheit, die von rechts aufgebaut wird, wird von diesen angeblichen Kämpfern für das Prinzip dann nicht thematisiert. In den USA ist das ja noch wesentlich schlimmer, wo dieser ganze rechte Rand massiv die Meinungsfreiheit eingreift und es gegenüber den (linken) Studenten nicht thematisiert wird - unter anderem, weil das moderat progressive Spektrum massiv die eigene Seite dafür angreift (erneut: nicht zu Unrecht), aber eine solche politische Hygiene auf der Gegenseite überhaupt nicht existiert. Da muss man sagen: die Lage ist in Deutschland deutlich besser als in Österreich und den USA, aber das hängt einzig und allein an der CDU. In dem Moment, in dem die Partei diesen Konsens aus wahltaktischen Motiven aufkündigt, haben wir ein Mordsproblem.

6) Der Mythos der sozialen Marktwirtschaft

Auch das Silicon Valley, gemeinhin mythischer Inbegriff des kreativ-schöpferischen Privatunternehmertums, ist nicht ohne massive staatliche Unterstützung denkbar. Nicht nur in Form universitärer Grundlagenforschung, staatlicher Aufträge und üblicher Steuervergünstigungen und Subventionen, von denen allein Elon Musks Tesla-Unternehmen bis 2015 rund fünf Milliarden Dollar erhielt. Ebenso durch industriepolitische Investitionen und Partnerschaften, allen voran in Gestalt der National Science Foundation (NSF). Wurde etwa Googles PageRank-Algorithmus, dem das Unternehmen seinen Aufstieg verdankte, mit dem Geld der NSF entwickelt, so bekam Apple anfangs nicht nur Unterstützung durch staatliche Fördermittel, sondern profitierte auch maßgeblich vom Zugang zu Technologien aus zivilen wie militärischen Forschungsprogrammen. Mazzucato konstatiert in ihrem Buch pointiert: "Tatsächlich steckt im iPhone nicht eine einzige Technologie, die nicht staatlich finanziert wurde." [...] So lässt sich für aktuelle Debatten schlussfolgern: Nicht nur in praktischer, sondern auch ideengeschichtlicher Hinsicht greift die gängige Gegenüberstellung von Markt und Staat zu kurz. Mehr Markt und Wettbewerb bedeuten eben nicht zwangsläufig weniger Staat, sondern anderer Staat; nicht unbedingt weniger Intervention und Kontrolle, sondern andere Intervention und andere Kontrolle. Und in diesem Zusammenhang bekommt auch Kühnerts Appell für mehr Wirtschaftsdemokratie, der seiner zugespitzten und wenig plausiblen Forderung nach einer Vergesellschaftung von BMW innewohnte, eine praktische Dringlichkeit. (Nils Markwardt, Zeit)

Es ist ein langes Essay, ich wollte nur diesen häufig unterschlagenen Punkt besonders beleuchten. Tatsächlich ist es so, dass staatliche Subventionen viele Technologien überhaupt erst möglich gemacht haben. Im Energiesektor etwa ist kaum vorstellbar, dass ohne staatliche Anschubinvestition jemals Kohlekraft Atomkraft wirtschaftlich interessant gewesen wäre. Ich finde deswegen das Argument gegen erneuerbare Energien, dass diese ohne staatliche Unterstützung nicht überlebensfähig sind, für vorgeschoben. Die anderen Energieformen sind das auch nicht. Unsere Gesellschaften haben schon immer den Deal gemacht, dass wir mit massiven Steuersubventionen niedrige Strompreise kriegen. Das ist rechte Tasche linke Tasche, aber das ist wahrlich nichts, was EEG-spezifisch wäre. Hätte man in den 1970er Jahren eine Bestandsaufnahme gemacht, ob Atomenergie nun wirklich so günstig und tragfähig ist, hätte man ein noch viel vernichtenderes Fazit als für die heutige EEG-Umlage finden müssen. Und das gilt für viele Erfindungen und Geschäftsmodelle, die zu mehr oder minder großen Teilen von staatlichen Investitionen abhängig sind, ob Eisenbahn oder Auto, Ausbildung oder Strom. Wir haben ein Mischsystem, und diese ständige von ideologischen Beißreflexen zwischen "Verstaatlichung von gewinnorientierten Unternehmen" auf der einen und "der Markt kann alles besser" auf der anderen Seite ist nur noch nervig. Es gibt keinen Markt ohne Staat, und ist der staatliche Rahmen gesetzt, produziert der Markt innerhalb dieses Rahmens üblicherweise bessere Ergebnisse als wenn der Staat es täte (vorausgesetzt es gibt eine Bereitschaft, die realen Kosten des Produkts zu zahlen, was in manchen Bereichen schlicht nicht der Fall ist).


7) Pelosi's Strategy Is Working, and Trump Is One Step Closer to Being F*cked

I've been a deep skeptic of impeachment as a political strategy, putting me solidly in the Nancy Pelosi go-slow camp. I've argued time and again that the smart play is IIABN: Impeachment in All but Name, but the great beast of Washington shambles ever forward, its ponderous, inexorable tread leading it toward the inevitable impeachment proceedings against Donald John Trump, 45th president of the United States. Can you make an impeachment case for obstruction based purely on the released information in the Mueller Report? Absolutely. Are you there yet politically? Nope. [...] This isn't the Watergate era. Not a single Republican vote beyond Justin Amash can be guaranteed in the House, and the Senate landscape is entirely bleak. Until you can get to two-thirds of the Senate for a conviction, impeachment means nothing. For all that, the Democrats chomping at the bit to hold Trump to account are having a good week already, whether they know it or not. It's so good, they'd be fools not to keep doing the things that are starting to work-the exercise of congressional power, the use of the courts to uphold the law, and the momentum building in the public mind for an accounting of Trump's full-spectrum lawbreaking, contempt, obstruction, and corruption. [...] The Pelosi-Nadler strategy is starting to shift that political battlefield, and the legal landscape is breaking in their favor. The judicial branch isn't yet a wholly owned subsidiary of Trump, Inc. Yet. Trump's own mistakes are helping move the investigation strategy forward and are beginning to ensure that when Congress does start getting testimony and documents from the White House and Department of Justice, Trump will have painted himself into a corner he can't tweet his way out of. Even without impeachment proceedings on deck yet, here's why this week is shaping up well for the Resistance. (Rick Wilson, The Beast)

Rick Wilson ist republikanischer Wahlkampfmanager und Autor von " Everything Trump touches dies", weswegen seine Analyse immer aus einem anderen Blickwinkel kommt als wenn liberal-progressive Autoren schreiben, wie ungeheuer wichtig die jeweilige vernichtende Entdeckung über einen Trump Skandal de jour ist. Trotzdem bleibe ich skeptisch. Die nächste Wahl ist 2020. Der Senat ist fest in der Hand einer ideologisch eingemauerten GOP. Ich sehe schlicht nicht, welchen Effekt ein impeachment haben soll. Man kann natürlich darauf hoffen, dass Pelosi irgendein fünfdimensionales, hochkomplexes Politschach spielt, aber ich glaube eher, sie versucht sich zwischen lauter ähnlich unattraktiven Positionen durchzulavieren und auf Zeit zu spielen (nennen wir es mal das Modell Merkel). Ich wage daher die Vorhersage, dass wenn nicht doch noch eine "smoking gun" auftaucht, die Trumps Schuld in einem schwerwiegenden Tatbestand vor aller Augen glasklar belegt (so es denn eine gibt), wonach es wahrlich nicht aussieht, der politische Rückhalt für ein impeachment schlicht nicht existiert und es für die Democrats ein reines lose-lose-Szenario darstellt. Und ich kaufe auch nicht das Argument, dass man es alleine aus demokratiehygienischer Sicht tun müsse, weil ein erfolgloses impeachment genau den gegenteiligen Effekt haben kann. Ich denke schlicht dass Pelosi genau diese Kalkulation ebenfalls angestellt hat und keine realistische Option sieht als Trump 2020 durch eine Wahl abzulösen. Und da ist das hyperventilierende impeachment- Gerede eher wenig hilfreich.

Der frühere BND-Chef August Hanning vertritt die These, die Videoaufzeichnung sei eine "sehr aufwendige Operation, wie wir das eigentlich nur von Nachrichtendiensten kennen". Der Videoclip von Hanning wird auf Facebook als Ergänzung zu Adams Artikel geteilt. Hanning erklärt die Motivation: "Offenkundig wird versucht, Wahlen zu manipulieren." Dann geht er in eine absurde Offensive: "Selbst gravierende Straftaten rechtfertigen keine Wohnraumüberwachung", sagt er, und sorgt sich sehr um die "politische Kultur". Ein Geheimdienstmann, dessen wichtigste Aufgabe sein sollte, Landesverrat zu verhindern und der dafür Abertausende Menschen hat abhören lassen - sorgt sich plötzlich um Wohnraumüberwachung? Exakt als es laut Ex-BND-Vize Adam um ein Verhalten geht, das "halb mafiös, halb landesverräterisch" wirkt? [...] Ja, tatsächlich - genau in dem Moment, als es wirklich um Landesverrat, um den Ausverkauf von Österreich geht, entdeckt ein ehemaliger BND-Chef sein Herz gegen Überwachung. Ich wette um meinen Irokesenschnitt, dass er linke Verschwörer niemals derart gnädig umpuschelt hätte. [...] Auch der rechte Geheimonkel und frühere Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen ist perfekter Stichwortgeber für die FPÖ-Fans in sozialen Medien. Nicht nur, dass er "linke und linksextreme Aktivisten" ins Spiel bringt. Er sieht den eigentlichen Skandal in der "Videofalle" und damit offenbar nicht in den Äußerungen der rechtsextremen FPÖ-Führung. Das bedeutet: Bis letztes Jahr war ein Mann Chef des deutschen Geheimdienstes, für den die Vermutung über eine linke Videofalle größer ist als der nachgewiesene Versuch eines späteren Vizekanzlers, sein Land zu verraten und zu verkaufen. Zusammen mit seiner Einlassung über "linksextreme Kräfte" in der SPD wird hier aus meiner Sicht überdeutlich: Maaßen lehnt die heutige liberale Demokratie ab. Er hätte nie Verfassungsschutzchef sein dürfen, er ist der rechtsextremen FPÖ näher als der harmlosesten Partei Deutschlands (SPD). (Sascha Lobo, SpiegelOnline)

In diesem Artikel finden sich noch sehr viel mehr belastende Informationen zu diesem Themenkomplex. Die Quintessenz ist die: Die Geheimdienste sind ein rechter Sumpf, ein Punkt, auf dem ich bekanntlich schon seit längerem beharre und der vor allem von Erwin hier im Blog massiv angezweifelt wird. Aber man muss schon extrem wohlmeinend sein, um all das als Einzelfälle und nicht systemisch zu sehen. Es ist aber systemisch. Die Geheimdienste sind konsequent rechts ausgerichtet, begreifen sich als politische Akteure und untergraben Demokratie und Rechtsstaat, und das schon seit Jahrzehnten. Wie viel Verteidigungsreden wurden hier in den Kommentaren für Maaßen geschwungen, als er behauptete, das Video sei gefälscht gewesen? Ich habe damals schon gesagt, dass das bedenklich ist. Wie viele dieser Einzelfälle braucht es noch, bis es endlich zu einem Einsehen kommt?

Der größte Irrtum der zornigen Spötter auf Twitter: Natürlich kann man auch im Jahr 2019 ohne Kontakt zu sozialen Medien sinnvolle Politik machen. Aber nicht ohne Kontakt zur Wirklichkeit. Soziale Medien haben zwar den Diskurs verändert, der jetzt nach anderen Regeln funktioniert. Was auch den Furor vieler Traditionsjournalisten über Rezo erklärt: Sie spüren, dass ihnen etwas entglitten ist. Wenn man jedoch genauer hinschaut, war das Problem der CDU nicht, dass sie keine Ahnung von Social Media hat. Sondern - fast im Gegenteil - dass via Social Media klar wurde, wie wenig Ahnung sie von allem anderen hat, was die Jugend interessiert. Es geht nicht um das Medium, sondern um politische Inhalte, um das Fortbestehen des Planeten etwa. Aber auch um das Vertrauen, das die Union zerstörte durch ihre komplette Missachtung einer digitalen Generation, indem sie ohne Rücksicht, ohne Dialog, ohne Sachverstand oder auch nur Respekt die Urheberrechtsreform durchgeprügelt hat. Von Artikel 13 handelte übrigens auch das erste große politische Video von Rezo. Victory, Axel Voss, Victory. Das hat die Jugend politisiert. Jetzt betrachten sie alles aus der Perspektive dieses Verrats durch die Union. Und verwenden ihre Instrumente und ihre Reichweite für die politischen Themen, die ihnen am Herzen liegen. Digitalisierung und Klima, die beiden Großbereiche, in denen die CDU über eine Dekade im besten Fall wenig, im schlechtesten Fall gefährlichen Unfug tat. (Sascha Lobo, SpiegelOnline)

Ich bin immer noch beeindruckt davon, dass die CDU so gewaltigen Pushback von Artikel 13, Rezo und Co bekommen hat (und die CDU, ihrem blindwütigen Umsichschlagen nach zu urteilen, auch). Ich muss die entsprechenden CDU-Politiker hier auch ein wenig in Schutz nehmen. Ihre Strategie, diese Themen und Wählergruppen nicht ernst zu nehmen und sich auf ihre Kosten bei der eigenen Stammwählerschaft zu profilieren, hat Ewigkeiten so funktioniert. Es gab keine Anzeichen, dass es dieses Mal nicht wieder funktionieren würde. Und Leute wie Sascha Lobo, meine Wenigkeit und andere auf dieser Seite des Spektrums haben, ebenso wie beim Klimaschutz, ja jahrelang orakelhaft gesagt wie wichtig es ist ohne dass es wichtig gewesen wäre. Umso interessanter fände ich, was da denn jetzt eigentlich diesen Umsturz gebracht hat. Beziehungsweise, warum, denn das "was" war Artikel 13. War es einfach nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte? Oder interpretieren wir das immer noch über, und es geht schlichtweg um strukturelle Probleme der Volkspartei? Meine aktuelle Arbeitsthese ist, dass die CDU die unter 40jährigen schon seit langer Zeit verliert (strukturell bedingt) und durch Artikel 13 und Rezo das Ganze quasi sichtbar gemacht und brandbeschleunigt hat. Quasi wie die Agenda2010 für die SPD schon seit langem gärende strukturelle Prozesse offengelegt hat. Aber was meint ihr?

Overwhelmingly white, affluent, and well educated, Waldorf parents identify as cultural creatives and nonconformists. [...] Apart from certain religious or ethnic groups particular to certain geographic regions - pockets of the ultra-Orthodox in Brooklyn and Rockland, say, or pockets of the survivalist right - Waldorf kids have some of the lowest vaccination rates in America. In California, Waldorf schools, along with home schools, have some of the lowest vaccination rates - many as low as 20 or 30 percent, and some as low as 7 percent. [...] How and when did liberal parents travel so far from Dr. Spock? The measles vaccine was approved in 1963, six years before Americans landed on the Moon, at a moment when technological progress was a joyride Americans took en masse. But in one generation, the kids of those Spock-raised kids have seemingly lost faith in progress and in the wisdom of the conventional wisdom, regarding every figure along that formerly congenial hierarchy - the scientists, the pharmaceutical companies, the government approvers, the politicians, even the wise and gentle pediatricians - as an object of suspicion and a plausible agent of the systemic harm that is being done, unconscionably, to kids. And in place of faith in experts, they have developed an alternative parenting culture built on anxiety about all the ills that might befall children (sickness, damage, death) and a sense that they, and only they, know how to protect the specialness, and purity, of their kids. To preserve that sanctity, parents have to begin to regard the material world - everything from movies to memes to vaccines - as contaminating. In some circles, at least, liberal American parents have evolved from emulating the Jetsons to emulating the Amish in one generation, always with the insistence that they're doing it for the kids. (Lisa Miller, The Cut)

The Congressional Research Service, a kind of in-house think tank for Congress, has a new paper analyzing the effects of the Trump tax cuts. It finds that none of those secondary effects have materialized. Growth has not increased above the pre-tax-cut trend. Neither have wages. After a brief and much smaller than expected bump, repatriated corporate cash from abroad has leveled off. The passage of the plan was met with a coordinated wave of corporate public-relations announcements of worker bonuses. But the paper finds no widespread increase in bonuses or worker compensation. When assessing these arguments, keep a close eye on the number of Republican officials or conservative policy-makers who revise their position on the Trump tax cuts in light of the data. If their true primary goal was to increase business investment, then the complete failure of a highly expensive program to achieve its stated goal would lead them to question their support. Why not cancel the Trump tax cuts and use the couple trillion dollars in lost revenue to fund a more effective growth-promoting policy? So far, the number of Republicans reassessing their support for the Trump tax cuts is, give or take, zero. What this suggests is that the alleged growth-incentivizing secondary effects of the plan were rationales, and the primary effect - giving business owners more money - was the hidden main goal all along. (Jonathan Chait, New York Magazine)