Wien ist seit wenigen Tagen bis November um eine Attraktion reicher. Ai Weiwei bespielt nicht nur den Garten und das barocke Bassin des Oberen Belvedere sowie den Treppenaufgang der ehemaligen Sommerresidenz von Prinz Eugen. Auch im 21er Haus ist eine im wahrsten Sinn des Wortes raumfüllende Installation von ihm zu sehen. Der chinesische Künstler, der sich in den letzten Jahrzehnten am internationalen Kunsthimmel zu einem Fixstern entwickelte und mit seinem Unternehmen „Fake Studio“ rund um den Globus architektonische Aufträge realisiert, verwirklichte diese erste größere Schau in Österreich in einem Rekordtempo. Innerhalb eines halben Jahres wurde in Zusammenarbeit mit dem Belvedere und dem 21er Haus eine in den öffentlichen Raum übergreifende Ausstellung auf die Beine gestellt, die einen großen künstlerischen Bogen vom Gestern ins Heute spannt.
Ai Weiwei, der von 1981 bis 1993 in New York lebte und dort studierte, wurde in seiner Heimat wegen systemkritischen Verhaltens verfolgt und 2011 ohne Anklage mehrere Monate an einem unbekannten Ort inhaftiert. Danach wurde ihm bis 2015 der Pass entzogen. In dieser Zeit entschloss sich die Berliner Akademie der Künste ihn als Gastprofessor aufzunehmen. Seit Ai Weiwei wieder reisen darf, kommt er dieser Berufung nach. Vertreibung und die damit einhergehenden Erniedrigungen und Repressalien erlitt auch der Vater der Künstlers. Als Kulturfeind wurde dem Schriftsteller Arbeitsverbot auferlegt und er musste mit seiner Familie in die Verbannung in die Mandschurei umsiedeln. Dislozierungen sind ein integraler Bestandteil im Leben von Ai Weiwei und seiner Familie und es ist nicht verwunderlich, dass er sich diesem so schmerzlichen Phänomen in den Werken, die nun erstmals in Wien gezeigt werden, auseinandersetzt.
Die wohl spektakulärste Installation, die Ai Weiwei einem der brennendsten Themen unserer Tage widmete, nennt sich „F Lotus“. In ihr verwendete er 1005 gebrauchte Rettungswesten, die er in das barocke Bassin des Oberen Belvedere-Gartens montieren ließ. Jeweils fünf Westen sind dabei auf einer schwimmenden Kunststoffunterlage so miteinander verbunden, dass sie eine stilisierte Lotusblüte ergeben. Sie verweisen einerseits direkt auf das derzeitige Drama, das sich im Herzen Europas abspielt. Andererseits transportieren sie die Metapher der Lotusblüte, die für absolute Reinheit steht. Die Gesamtmontage der Schwimmwesten ergibt ein großes, kalligrafisch wiedergegebenes F. Das Zeichen, das der Künstler auch für sein in Peking und Berlin befindliches Unternehmen verwendet. „Fake“ wird im Chinesischen wie das englische Wort „fuck“ ausgesprochen und gibt der Installation zugleich mit anderen Assoziationen wie „freedom“ eine enorme Vielschichtigkeit.
Rund um das Bassin ließ Ai Weiwei 12 Bronzen aufstellen. Sie sind eine persönliche Nachempfindung jener Köpfe, die einst im Garten des kaiserlichen Sommerpalasts Yuanming Yuan in Peking standen. Im 18. Jahrhundert erbaut, waren sie Teil einer Wasseruhr mit Menschenkörpern und Tierköpfen, die als Zeitmesser alle zwei Stunden Wasser spien. Nach der Verwüstung durch französische und britische Truppen und der Plünderung des Areals gelangten die Köpfe auf den internationalen Kunstmarkt. Bis auf fünf Stück befinden sich alle wieder in China. Den „Circle of Animals/Zodiac Heads“ hat Ai Weiwei bewusst auf Totem-ähnliche Pfeiler gestellt, um so die Assoziation der barbarischen Zerstörung dieses Kulturgutes zumindest mitschwingen zu lassen. In Wien mutieren sie gerade zu einer unglaublichen, touristische Attraktion.
Mit vielen, wenn nicht sogar allen seiner Arbeiten gelingt ihm die ideelle Transformierung von altem Kulturgut seiner Heimat in die Jetztzeit. Das Anstoßen zum Nachdenken und Informieren über kulturhistorische sowie gesellschaftliche Inhalte, über Philosophie, Moral und Ideologie ist für ihn Teil seiner Arbeit. „Art is a language of communication“ ist ein Zitat von ihm, mit dem er kurz sein Kunstverständnis beschreibt.
Die gesamte Schau trägt den Titel „translocation – transformation“ und präsentiert, erstmals außerhalb Chinas, im 21er Haus die „Wang Family Ancestral Hall“. Es ist eine Ahnenhalle aus der Zeit der späten Ming-Dynastie, ein hölzernes Relikt, das aus 1300 Einzelteilen besteht und in die große Ausstellungshalle mittig eingebaut wurde. Die Familie Wang, bedeutende Teehändler, wurde in der Kulturrevolution vertrieben. Das Relikt der Dynastie wurde in schon halb verfallenem Zustand vom Künstler angekauft und durch seine Verpflanzung in einen Raum, welcher der Kunst gewidmet ist, in einen neuen, spannenden Bezug gesetzt. Dass das 21er Haus selbst nach seinem ursprünglichen Gebrauch als Präsentationsgebäude Österreichs während der Weltausstellung 1958 in Brüssel nicht nur abgebaut und an einem neuen Ort wieder aufgebaut wurde, sondern auch einer neuen Bestimmung zugeführt wurde, zieht eine weitere Interpretationsebene in diese Installation ein. Einige bunt eingefärbte, architektonische Elemente unter dem Dach der Ahnenhalle zeigen einen aktuellen künstlerischen Eingriff Ai Weiweis auf. Es sind Teile, die im Original nicht mehr vorhanden waren und erinnern in ihrer Farbgebung, einem grellen Rosarot, Grün und Gelb an jene bunte Fassung antiker Statuen, die erst im 20. Jahrhundert entdeckt wurden. Die bunten Nachbildungen wollen sich einerseits gar nicht harmonisch in die historische Holzsubstanz einfügen, spannen aber andererseits wieder einen großen Bogen ins Heute.
© Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien
Gepresster „Pu-Erh“ Tee;
Umgeben ist das beinahe 500 Jahre alte architektonische Gebilde von einer aus 2 kleinen Teehäusern bestehenden weiteren Boden-Installation, die auf getrockneten Teeblättern steht. Die Häuser selbst bestehen aus sogenannten Pu-Erh-Teeziegeln und stehen ihrerseits nicht nur in direktem Bezug zur Ahnenhalle der Teehändler, sondern auch zu einem Porzellanteppich vor der Ahnenhalle. Dieser besteht aus 2,5 Tonnen porzellanener Schnäbel von antiken Teekannen. Die weißen bis leicht hellbeigen Bruchstücke erwecken in ihrer Anordnung Assoziationen zu kleinen Knochenteilen. Damit wirkt die Arbeit wie ein subtiler Hinweis, eine Metapher auf das Absterben einer jahrhundertelangen Tradition.
Mit weißen, drachenähnlichen Schwebefiguren im Treppenhaus des Oberen Belvedere verweist Ai Weiwei auf den Shanhaijing, einem „Klassiker der Berge und Meere“, der ältesten überlieferten Sammlung der chinesischen Mythologie. Gefertigt aus Bambusstäben und mit Seide beklebt, erscheinen diese ephemeren Skulpturen wie Geistergestalten aus einer längst vergangenen Zeit, die sich bemüßigt fühlen, die Kunstwerke ihres Schöpfers in Wien schützend zu begleiten. So könnte man sich zumindest eine eigene Assoziationskette zu den gezeigten Arbeiten schaffen.
Ein eigener Blog begleitet die Ausstellung und zeigt interessante Videos, in welchen Ai Weiwei selbst zu Wort kommt. Das umfangreiche Rahmenprogramm ist auf der Homepage des 21er Hauses zu finden.