Dennoch. Statt zu schimpfen, bekamen sich die Qualitätsmedien danach gar nicht mehr ein: Die ekelhafteste Inszenierung seit der quotenklebrigen Beerdigung des früheren Popstars Michael Jackson wurde als Sternstunde des Guten und Schönen im verlogenen Medium Fernsehen bejubelt. Der Offenbarungseid fand sich plötzlich als Offenbarung gefeiert. Nicht eine Stimme im ehemals multiplen Medienchor erhob sich, die das Vorführen prominenter Leiden einen ekelhaften Kummerstriptease nannte, nicht ein scharfzüngiger Kommentator verwies auf den unübersehbaren Hang der Fernsehanstalten, die gähnende Blutleere der immergleichen Aufführungen mit den immergleichen anämischen Akteuren aufzuhübschen durch immer höhere Dosen an echtem Schmerz, an wirklichem Leiden, an ungeschminktem Tod.
Es ist nicht mehr so, dass es einen Unterschied macht, was wirklich ist und was wirklich inszeniert. Auf Bühne und Saal spielen alle ihre Rolle, als bewegendes Schicksal oder bewegtes Publikum. Monica Lierhaus, gesetzt den Fall, sie weiß selbst noch, was sie tut, fügt sich hier logsich ein in eine Medienwelt aus Halbinszenierungen: Das Dschungelcamp eine Versuchsanordnung, bei der eingebildete Prominenz zu echten Qualen führt. Die Verleihung der Goldenen Kamera ein Experiment, bei dem mit Michael J. Fox und Lierhaus erstmals zwei kranke Menschen als Tearjerker aufgeboten werden.
Beide sind sie willig dabei, Fox beherrscht, Lierhaus, die seit 760 Tagen nichts mehr verdient, mit einem Seelenstriptease, der im Heiratsantrag an den Lebensgefährten gipfelt. Abgründe, Entsetzen, die restlose, ratzekahle Vermarktung der Trümmer eines innersten Selbst, die keine Schonung mehr kennt: Werden die Fernsehzuschauer bei der nächsten Gehirn-OP dabeisein dürfen? Übertragen ZDF, ARD, n-tv und alle Dritten die Hochzeit wirklich wieder parallel? Vor der Tür der Sendeanstalt, die Vorgucker auf das schicksalhafte Geschehen per Pressemitteilung über das Land gestreut hat wie britische Flieger 65 Jahre zuvor Aufforderungen zur Kapitulation, lechzen die C-Prominenten nach Mikrophonen, in die sie ihre Erschütterung verklappen können. Was für ein "rührender Auftritt" (Der Stern), was für eine "Traumquote" (Deutsche Welle), was für ein "großes TV-Comeback" (Bild).
Von wegen Ansagerin. Monica Lierhaus entpuppt sich als wandlungsfähige Charakterdarstellerin, abgebrüht genug, noch in die tiefsten Seelenkeller hinunterzusteigen um Gefühle zu fördern. Nichts kommt besser an als eine sorgfältig inszenierte Realität, die den Anschein erweckt, sie sei ein Stückchen Wirklichkeit. Jede Woche braucht ihre Cora im rosa Sarg, jede Preisverleihung ihren Tattergreis, der im Rolli eingefahren wird, um sich für sein Lebenswerk zu verantworten. Tod ist gut, Sterben aber ist besser, das weiß auch die Rheinische Post, die eine neue, kritische Serie anbietet: "Lierhaus, Fox, van der Vaart - Prominente und ihr Kampf gegen Krankheiten". Wer besiegt sein Leiden am öffentlichsten? Wer lässt am tiefsten blicken? Wessen Bekenntnisbuch schockiert am meisten? Lierhaus wird jetzt das neue Werbe-Gesicht der Lotterie "Ein Platz an der Sonne" . Dafür verzichte sie "künftig auf die Moderation der ARD-„Sportschau“.
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