Mit Hannes Rittig kann man gut über die Zukunft der deutschen Kultur reden.
Allerdings interessiert er sich wenig für die aktuelle Debatte, ob hierzulande ein ‘Kulturinfarkt’ drohe, weil es womöglich zu viele staatliche Theater gebe, die alle die gleichen Stücke spielten, und ob man auch mit der Hälfte dieser Theater ganz gut auskäme. Er denkt über etwas anderes nach. Über etwas, was gar nicht zur Debatte steht: Dass Schauspieler, egal wie viele Theater es in Deutschland gibt und welche Stücke sie aufführen, nur Jahresverträge bekommen und bei jedem Intendantenwechsel austauschbar sind. Unabhängig von ihrer Leistung, ihrem Alter, der Zahl ihrer Kinder.
‘Im Internet lese ich, wir seien fahrendes Volk’, sagt Rittig. ‘Das tut weh.’
Das Drama, das sich am Theater Vorpommern abspielt, spielt sich jedes Jahr irgendwo in Deutschland ab. Es geht um den Widerspruch zwischen dem hohen Kulturgut Theater und dem Konsumgut Theater. Zum hohen Kulturgut Theater gehört, dass das Publikum sich spätestens beim Sekt-Gespräch im Foyer ein wenig elitär vorkommen darf. Zum Konsumgut Theater gehört, dass Schauspieler, die nicht ins Sortiment passen, entsorgt werden wie Tomaten im Supermarkt.
Hannes Rittig und seine Kollegen, Diener der hohen Kunst, werden gerade entsorgt.
Ein Gespräch mit Dirk Löschner, dem neuen Intendanten des Theaters Vorpommern, bietet kaum neue Erkenntnisse. Löschner sagt, Theater müsse sich permanent neu erfinden, sonst drohe Stagnation, wie in der DDR. Er trägt eine Designerbrille und einen gepflegten Bart. An seiner Seite sitzt Geschäftsführer Hans-Walter Westphal. Er sagt: ‘Kreative Menschen wie Schauspieler sind nicht unbedingt leicht im Umgang.’
Eigentlich müssten sich die beiden gar nicht rechtfertigen. Laut Bundesarbeitsgericht hat das Publikum ein ‘Abwechslungsbedürfnis’. Und Intendanten haben das Bedürfnis, ihre künstlerischen Vorstellungen mit dem Bühnenpersonal zu verwirklichen, das sie für geeignet halten. An diese Bedürfnisse werden Schauspieler erinnert, die auf die Idee kommen, mit ihren eigenen Bedürfnissen vor Gericht zu ziehen. / Tim Neshitov, Süddeutsche Zeitung 5.5.