Kulturfest der Enthinderung

Von Walter

Das Festival Wildwuchs macht Behinderungen des Lebens zum Thema.

Alle zwei Jahre herrscht in Basel und Umgebung Wildwuchs – genauer das Festival Wildwuchs. Mit seinen über 40 Produktionen aus Theater, Tanz, Musik, Film, Performance und bildender Kunst bespielt es so unterschiedliche Plätze wie das Kasernenareal und das Männerwohnheim Rheinblick, das Roxy Birsfelden und die Kreativwerkstatt des Bürgerspitals Basel sowie weitere Schauplätze in und um Basel. Im Zentrum stehen körperlich-seelisch-geistige Behinderungen aller Art sowie Flucht und Migration.

Die Idee dahinter: Das Festival «für alle» bietet eine künstlerische Plattform für Themen und Produktionen jenseits des gewöhnlichen, auf Meisterschaft und Perfektion getrimmten Kulturbetriebs. Auch das Sperrige ist willkommen, das Bruchstückhafte, Vorläufige. Statt es auszugrenzen, wird ihm eine Bühne geboten, damit es hervortreten kann, ganz im Sinne der Inklusion, die davon ausgeht, dass erst die Vielfalt – und deren Anerkennung – eine menschliche Gemeinschaft lebendig und stark macht. Das Wildwuchs-Festival will hier Brücken bauen und «kulturelle Zugehörigkeit trotz Verschiedenheit» ermöglichen. Wer nun glaubt, unter einer so offenen Anlage müsse die künstlerische Qualität leiden, kann das gerne am diesjährigen Festival überprüfen. Das Organisationskomitee rund um die künstlerische Leiterin Gunda Zeeb möchte das Gegenteil beweisen.

Verwirrende Vielfalt

Es beginnt mit einem Schwerpunkt zu Flucht und Migration im Theater Roxy. Übers ganze Haus verteilt und während zweier Tage wird dazu ein Feuerwerk mit Bühnenproduktionen und Performances gezündet. Zum Beispiel: Wie fühlt es sich an, wenn man Asyl braucht? Fünf Sans Papiers geben dazu Antworten in Form des Live-Hörspiels «Homeradio wildwuX: Zimmer Frei!». Für einmal müssen sie sich nicht verstecken, sondern zeigen sich, treten auf die Bühne. Mehr noch: Sie sind es, die für einmal die Fragen stellen und entscheiden, wer aufgenommen wird und wer nicht. Denn sie haben in ihrer Wohngemeinschaft ein Zimmer zu vergeben. Das Bühnen-Hör-Stück über Rollentausch und Perspektivenwechsel entstand in Zusammenarbeit mit Radio X, welches das Hörspiel auch ausstrahlen wird.

Danach verschiebt sich der Schwerpunkt des Festivals zum Thema Be- und Verhinderung – und vom Roxy hin zur Kaserne Basel. Da lässt z.B. der Club Ritalin (s. Abb.) eine energiegeladene Open Air-Performance rund um das Thema ADHS krachen. Das im Volksmund «Zappelphilipp» genannte Syndrom wird mit Hilfe von Tanz, Performance, Sprache und Klangkunst auf seinen Gehalt abgeklopft, und siehe da: ADHS ist die wahre Natur des Menschen, verbindet die Problemjugendlichen mit den Multitasking-erprobten Eliten unseres Landes. Mit solch provokativen Thesen im Hintergrund wird – gleichsam im Hyperaktivitätsmodus – gemeinsam mit dem Publikum ein ADHS-orientiertes Training absolviert. Und am Schluss ist die Frage unausweichlich: Wer ist hier eigentlich gestört: die Betroffenen oder die Gesellschaft – oder alle? Der Club Ritalin entlässt uns ohne Antwort, aber um einige Erfahrungen reicher.

So bunt wie die Themen, so bunt sind auch die Formate zu deren Darstellung. Neben Bühnenproduktionen gibt es Publikumsinterventionen, Podiumsgespräche, eine rollende Wandzeitung, Gesprächsinstallationen etc. … Eine Vielfalt, die geradezu verwirrt. Wildwuchs eben!

Wildwuchs-Festival: Do 4. bis So 14.6, diverse Orte, www.wildwuchs.ch

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Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe der «ProgrammZeitung» erschienen.


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