Küken 4.0

Seit letztem Herbst haben wir eine neue Auszubildende, stets ein Quell der Freude und des Einblicks in die Jugend-von-heute ™. Letztens habe ich mit ihr Blutdruckmessen geübt.
Küken: “Hat mir Moni schon gezeigt.”
Ich: “Na, dann, machen Sie mal.”
Sie läuft los und holt das vollautomatische Hightech-Quadrupel-Messgerät.
Ich: “Ne, Ne, das kommt später. Messen Sie mal mit der Hand.”
Küken (nebst Fragezeichen): “Am Arm?”
Ich: “Ja. Klar. Aber aus der Hand. Also mit dem Handgerät.”
Küken: “Aber schon am Arm?”
Ich: “Ja. Die Manschetten liegen auch da im Schrank.”
Küken: “Kenn ich, Kann ich, hat mir mein Bruder schon mal beigebracht, der ist bei den ASBlern.”
Und die Arzthelferinnen zeigen das auch von Anfang an. Grundprinzip bei allem: Zuschauen, Einweisen, Selbermachen, Alleinemachen.
Sie läuft los und kommt mit der Handmanschette wieder. Wir bewegen uns zu unserem Opfer – ein vierzehnjähriger schlanker Mann zur Sportuntersuchung, sicher gute Kreislaufwerte – und weihen ihn in unsere Absichten ein. Erlaubnis erteilt.

Das Küken legt die Manschette korrekt an, findet auch die Innenseite des Ellenbogens, platziert die Markierung “Arteria” korrekt und fängt an zu pumpen. Pffft, die Luft entweicht. Nochmal pumpen. Pffft, die Luft entweicht. Ich lasse erstmal machen, sage nichts. Kenn ich, kann ich.
Sie entdeckt das Rädchen zum Schließen des Ventils und dreht. Erstmal so rum. Pffft, die Luft entweicht. Also andersrum. Erfolg.
Die Nadel steigt auf 120, 130, 140… 180, 200. Sie hat ein Erbarmen.
Dann schaut sie den Arm an, die Manschette, das Manometer.
Küken: “Oh, ich glaube, ich brauche noch ein Stethoskop.”
Ich nicke und reiche ihr meins. Details später, denke ich mir.

Sie hört. Macht das Rädchen auf, die Luft rauscht ab, der Zeiger auch. Binnen Sekundenbruchteile auf 40 mmHg. Das ist nicht einfach, ich weiß.
Sie pumpt wieder auf. Sie lässt wieder ab. Sie pumpt wieder auf, sie lässt wieder ab.
Am Ende bekommen wir einen Wert von 120/80 – das dachte ich mir schon – , Details kommen später.

Küken: “Gut. Das war´s”, sprach´s zum Vierzehnjährigen.
Ich: “Fehlt noch was?”
Küken: “Aufräumen!”
Richtig. Predige ich jeden Tag. Aufräumen. Wann immer eine Arbeit getan ist.
Ich: “Schon, sehr gut! Noch was? Was gehört immer zum Blutdruck dazu?”
Küken: “Ah! Puls!”
Ich nicke.

Sie sucht verzweifelt nach einer Uhr, der Vierzehnjährige kann aushelfen. Sie sucht nach dem Puls, zwei Finger, sehr gut, Innenseite radialseitig, sehr gut. Prima. Sie schaut auf die Uhr, sie tastet den Puls, sie schaut auf die Uhr. Schaut auf die Uhr.
Ich: “Soll ich Ihnen die Zeit ansagen?”
Küken: “Auja.” Es ist eine Digitaluhr mit Ziffern statt Zeigern.
Ich: “OK, wie möchten Sie das machen?”
Küken: “Fünfzehn Sekunden.”
Machen wir. Ich sage “Start!”, sie zählt den Puls und zählt den Puls, ich sage “Stop!”, sie zögert und sagt “Siebzehn!”
Ich: “Gut. Und nun?”
Küken: “Ähm. Jetzt pro Minute.”
Ich: “Also? Wie geht das?”
Küken… zögert … (vorsichtig): “… mal vier?”
Ich: “Richtig! Und wieviel ist das?”
Küken…: “…”
Küken?
Ich: “Können Sie ja draussen rechnen, ich frag Sie nachher, ok?”
Sie nickt.
Ich: “Wunderbar, bis dahin. Vielen Dank. Das üben sie jetzt bei jedem Jugendlichen, ok?”

Ich widme mich dem jungen Mann, mache meine Untersuchung, verabschiede ihn und gehe wieder an die Anmeldung, um meinen Befund zu notieren. Sie kommt mir strahlend entgegen.
“Siebenundsechzig!”



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