Krokodilstränen

Deutschland geht es gut, hat Mutti gesagt und Millionen Menschen auf der ganzen Welt glauben das zu gern. Besonders wenn es ihnen nicht so gut geht. Bei den Imagekampagnen der deutschen Politik wird im Ausland wohl kaum mit den Bildern von den Pennern geworben, die auf deutschen Parkbänken oder unter deutschen Brücken schlafen müssen. Oder mit den Armen, die bei den Tafeln für ein paar abgelaufene Lebensmittel Schlange stehen. Oder mit Ansichten von verlassenen Betrieben und verwaisten Plattensiedlungen in Ostdeutschland. Oder tristen Wohnblocks in Westdeutschland, heruntergekommenen Schulen, geschlossenen Stadtbädern, maroden Autobahnbrücken, mageren, blassen Kindern, die ohne Frühstück in die Schule müssen oder von Rentnern, die in ungepflegten Parks Pfandflaschen einsammeln.

Ja, auch hierzulande gibt es eine Menge Armut und Elend, aber über das reden diejenigen, denen es tatsächlich gut geht, nicht so gern und wenn, dann verweisen sie darauf, dass in unserem wunderbaren freien Lande ja jeder die Chance hätte, ein besseres Leben zu haben, wenn man sich nur ein bisschen zusammenreißen und entsprechend anstrengen würde.

Aber andererseits ist gerade diesen “Wer-sich-nur-anstrengt-der-kann-im-Leben-auch-was erreichen”-Besserwissern wieder klar, dass “unser” Wohlstand nicht für alle reicht, deshalb darf auch nicht jeder hierher kommen und sein Glück versuchen. Die anderen sollen gefälligst bleiben, wo sie sind und dort mit ihrem Elend fertig werden. Hin-und-her-jetten zwischen London, New York und Barcelona ist cool, aber das reicht dann auch mit der Weltläufigkeit. Die ganzen Hungerleider aus Afrika, Asien oder Osteuropa sollen bleiben, wo sie sind. Es sei denn, sie können sich ein ordentliches Hotel und das Rückflugticket leisten. Touristen sind schließlich gut für die Wirtschaft und sie hauen wieder ab, wenn der Urlaub vorbei ist.

Aber die dummen Hungerleider im Rest der Welt kapieren das leider nicht und versuchen massenhaft, ins gelobte Land zu kommen, also in die Festung Europa. Ja klar sind da auch kriminelle Schlepperbanden am Werk, die den Leuten das Blaue vom Himmel versprechen, um ihnen ein kleines Vermögen für einen zweifelhaften Trip abnehmen, der häufig in den Tod führt. Oder in die Abschiebehaft. Oder in eine Sklavenexistenz als Illegale. Deshalb kotzt mich diese Vorführung ritueller Betroffenheit angesichts des aktuellen Flüchtlingsdramas vor Lampedusa so an.

“Zuflucht Suchende sind Menschen – und die gestrige Tragödie zeigt das – besonders verletzliche Menschen. Sie bedürfen des Schutzes. Wegzuschauen und sie hineinsegeln zu lassen in einen vorhersehbaren Tod, missachtet unsere europäischen Werte”, sagte unser Obergauck. Ja verdammte Hacke, warum schaust du denn weg, wenn unsere europäischen Werte missachtet werden? Was hast du denn getan, lieber Joachim, du bekennender Christ und Staatsoberhaupt, um den Mensch im Flüchtling zu achten?

Ach Leute, spart euch eure Krokodilstränen und die verlogenen Vorschläge, im Mittelmeer einen Seenotrettungsdienst zu organisieren, der die Leute vor dem Ertrinken rettet (und sie umgehend wieder nach Afrika zurück bringt). Und es genauso verlogen ist es, den Bewohnern von Lampedusa, die den Menschen, die täglich an ihren Küsten stranden, Suppe und Decken geben, auf die Schultern zu klopfen und ihnen zu versichern, dass sie einen echt guten Job machen, während man sie eiskalt im Regen stehen lässt, weil Italien ja zu den “sicheren Drittländern” gehört, in die Deutschland Flüchtlinge zurückschicken kann, die es irgendwie geschafft haben, über weitere Grenzen zu kommen. Deutschland geht es gut, weil es euch schlecht geht, das ist die eigentliche Botschaft an die Flüchtlinge. Und leider wollen sehr viele, dass das so bleibt.



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