Kritik - Winter´s Bone

Kritik - Winter´s Bone

"What are we ever gonna do with you, baby girl?"  "Kill me I guess." "That idea's been said already. Got any others?"  "Help me. Nobody's said that idea yet, have they?" -

Independent: mit diesem Begriff wird man immer wieder konfrontiert, wenn man sich im modernen Kino mit mittlerweile vielerlei grassierenden Arthouse-Beiträgen auseinandersetzen muss, z.B. Jason Reitmans charmanter 2007er Komödie "Juno" und aktuell auch dessen 2012er Kinohit, "Young Adult." Und auch Regisseurin Debra Graniks oft gelobtes Drama "Winter´s Bone" aus dem Jahre 2010 muß sich zwangsweise in diese Kategorie einordnen lassen, wobei die Frage mal wieder offen bleibt, wieviel Prozent an "Independent" in "Winter´s Bone" überhaupt vorhanden ist. Darf "Winter´s Bone" als Film denn nun wirklich so radikal in seinen Aussagen und in seiner Thematik, ja im gesehenem gelten, so das man ihn am Ende nur schwerlich kategorisieren kann? Im Grunde genommen ist "Winter´s Bone" ja zu einem hervorragendem Film geraten, welcher eine gewisse Kurzweiligkeit und wohltuende Ruhe als auch Gelassenheit offenbart, welche man irrtümlicherweise vielleicht mit dem Begriff der Langeweile verwechseln kann. Ein Urteil, welches falscher nicht sein könnte, denn Winter´s Bone"  weiß mit einem der intelligentesten Plot der letzten Jahre zu punkten. Neben der am Schluss vorherrschenden Erkenntnis, das dem Publikum kein "vollkommenes" Happyend geboten wird, aber zumindest ein Ende, welches dem Betrachter und der Titelfigur, wunderbar verkörpert von Jennifer Lawrence, in Angesicht der Geschehnisse eine ähnliche, also wenigstens "kleine" und wichtige Befriedigung verschafft.  Denn die mit all ihren Anamnesen in "Winter Bone" skizzierte (Außenseiter)Gesellschaft scheint sich in Sachen moralischen Verhaltens am Schluss doch nicht (?) verändert zu haben. "Winter´s Bone" gerät im Kern zu einem einem der subtilsten / feinfühligsten "Coming Age Dramen" der jüngeren Filmgeschichte, zu einer bemerkenswerten Charakterstudie und zu einem intimen Porträt einer in sich geschlossenen, korrupten, aber höchst authentischen und interessanten Gesellschaft, für welche die Begriffe Familie und Ehre nun mal etwas sehr wichtiges, aber auch recht "dehnbares" sind. Geprägt von verschiedenen, zwar bekannten, aber wichtigen Leitmotiven klassischer Western und Märchen Erzählungen, wenn der entsprechenden Protagonistin eine nahezu unlösbare Aufgabe/Herausforderung gestellt wird, um diese bewältigen, selbst reifen und den eigenen Platz in der Gesellschaft finden zu müssen, malträtiert "Winter´s Bone" den Betrachter von Beginn an mit einer geschaffenen Realität, in welcher kaum noch / sehr wenig Platz für Hoffnungen, zu erreichende Ideale oder zu 100% entsprechender Gerechtigkeit ist.

Kritik - Winter´s Bone

"You know all those people, Teardrop. You could ask."  "Shut up."  "None of them's gonna be in a great big hurry to tangle with you."  "I said shut up once already, with my mouth." -

Regisseurin Debra Graniks führt den Betrachter in "Winter´s Bone" direkt zum Ursprung der archaischen Kernfamilie zurück, wenn Ree Dolly (stark: Jennifer Lawrence) , ihre kranke Mutter und ihre Geschwister Tag für Tag in knallharten sozialen Verhältnissen ums nackte überleben kämpfen müssen. Aber selbst die Nachbarn leben in den gleichen erbärmlichen Verhältnissen und erscheinen relativ undurchsichtig. Selten konnte man Zeuge von authentischeren einfangenen Locations, verrotteten / verkrusteten sozialen und seelischen Strukturen der Menschen werden, zu welchen auch echte, verpflichtete Anwohner aus der entsprechenden Ortschaft in "Winter´s Bone" ihren Beitrag leisteten. Kameramann Michael McDonough zeichnete sich für einige der brillantesten und nachwirkensten Bilder der letzten Jahre im Arthouse Genre verantwortlich, sezierte auch in visueller Hinsicht dank einer gnadenlosen Direktheit eine in sich geschlossene, aber längst zerfallene  Gesellschaft, welche nach ihren eigenen eisernen Regeln, Vorstellungen/Wünschen lebt.

Kritik - Winter´s Bone

Wer in solche eine skizzierte Gesellschaft wie in den Bergen Missouris hineingeboren wird, zieht von Beginn seines Lebens an ein hartes Los.  "Winter´s Bone" offenbart sich als überaus schonungsloses, ehrliches und hartes Drama, welches weder seine "Heldin'", welche erlernt, was es heißt, erwachsen zu werden, übermäßig glorifiziert noch die restliche Gesellschaft als "reine" Barbaren, sondern ebenso als bedauernswerte "getriebene" von Armut, Verbrechen und Gewalt "gezeichnete" subtil skizziert. Auf  naives, schwarzweißes "narratives" und "visuelles" Denken wird in "Winter´s Bone von Beginn komplett verzichtet. Ree´s Suche nach dem eigenem Vater erweist sich als überaus schwierig und führt zu einer wahrhaft bitteren Erkenntnis, welche noch lange im Gedächtnis des Betrachters haften bleibt: Auch die Verantwortlichen für den Tod ihres Vaters sind genau wie sie selbst für den sozialen Erhalt der Familien / sozialen Strukturen nun mal verantwortlich und werden dank ihren erfolgreichen Nachforschungen zu sehr in Bedrängnis gebracht. Sollte natürlich die Wahrheit über Ree´s Vater ans Tageslicht kommen, könnten die Verantwortlichen die eigenen, in erbärmlichen Verhältnissen lebenden Familien auf Grund ihrer aufgedeckten Verbrechen, welche sie auf Grund der Armut begehen mussten, leider nicht mehr in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht erhalten. In Winter´s Bone versorgt jeder einzelne Menschen jeden anderen. Die Gesellschaft würde im Falle des Aufdecken der Taten jeden einzelnen Bewohners, der sprichwörtlich "Dreck am stecken hat", wie in einer Kettenreaktion nach und nach kollabieren. Daher muß in "Winter´s Bone" Dank des sich später vollziehenden, leisen Umschwungs zu subtilen Thriller-Pfaden und der wohl härtesten und ergreifensten Szene des gesamten Filmes ein nachvollziehbarer, "realistischer" Kompromiss / eine moralische Pattsituation her, welcher "allen" Beteiligten, inklusive Ree und ihrer Familie, das weitere soziale und wirtschaftliche Überleben ermöglicht.

Kritik - Winter´s Bone

"Havin' balls is good, boy. Don't let 'em get you hurt." -

Den überaus starken Eindruck, den "Winter´s Bone" in Sachen Inszenierung hinterlässt, unterstreichen auch gekonnt gespielte Momente von entsprechender Heiterkeit / gewollter Empathie für den Betrachter welche die sich anbahnende, schiere Unerträglichkeit und Traurigkeit der Thematik und die düstere Stimmung aufzulockern vermögen. Als auch der niederschmetternden Auflösung am Ende entgegen wirken.  Am Rande des Horizonts darf man also einen Hoffnungsschimmer auf eine "eventuelle" Besserung der Gesellschaft vernehmen. Ebenso lassen sich manche recht einfache Figurenzeichnungen der Drehbuchautoren am Ende verschmerzen, wenn z.B. Rae´s Onkel Teardrop (solide: John Hawkes)  und deren Geschwister Sonny (Isaiah Stone) und Ashlee (Ashlee Thompson)  in den Vordergrund gerückt werden.

Fazit: Winter´s Bone entpuupt sich als kleines dramaturgisches Meisterwerk, welches sich als realistisch endende, und smart vorgetragene Sehnsucht nach einem vernünftigem, US-amerikanischem Mittelstand, "wahrer" Familienehre und eines komplett "gewaltlosen" / korruptionsfreien Lebens offenbart. Also Wünschen, welche die Gesellschaft Dank ihres pessismistischen Denkens schon länst aufgegeben hat. Und dem setzt Regisseurin Debra Granik einen entsprechend langsam heranwachsenden, konzipierten Gegenpol in Form von Ree entgegen, die den starken Willen zum Leben noch nicht ganz aufgegeben hat, nachdem sie von ihrem Vater "seelisch" und entkoppelt wurde. Der aber die eigene Familie selbst einst mit den entsprechenden "Geschäften" wie alle anderen "Sünder" über Wasser hielt, dann unvermeidlich ins Verderben schlitterte, aber seine Tochter dennoch "immer" liebte. "Winters Bone" wird zudem mit einer Mut machenden Botschaft flankiert: Wer seinen verkommenen gesellschaftlichen, unmoralischen Wurzeln "entkommen" möchte und noch jung genug dazu ist (man denken dabei an Ree und ihre Geschwister kurz vor dem Einrollen der End Credits), sollte sich auf seinen eigenen inneren Antrieb, die Stärke, den Willen zum "wirklichen" Zusammenhalt und Überleben besinnen. So lassen sich zumindest am Anfang "kleine" Hebel zum Umbruch in der Gesellschaft zu einem besserem miteinander bewegen, obwohl man von einem gesamtgesellschaftlichem "Happy End" natürlich noch meilenweit entfernt ist.

Wertung: 9/10 Punkte


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