Kritik: "The private life of Sherlock Holmes"

Erstellt am 7. Oktober 2010 von Mariakaefer

Der Sherlock-Holmes-Schwerpunkt flacht jetzt langsam wieder ab, aber ein paar Filme haben wir noch. So wie diesen Film von 1970, mit wenig bekannten Schauspielern, aber dafür Drehbuch und Regie vom wunderbaren Billy Wilder.
Der Titel klingt ein wenig nach Klamauk, das DVD-Cover macht dagegen auf geheimnisvolle Schauer-Atmosphäre – der Film selbst bietet letztlich keines von beiden, sondern vielmehr einfach sehr schöne, empfehlenswerte Unterhaltung. Und ein schönes Beispiel, wie eine Romanze für Sherlock Holmes tatsächlich gut funktionieren kann.

Regisseur: Billy Wilder
Drehbuch: Billy Wilder, I.A.L. Diamond
Darsteller: Robert Stephens, Colin Bakely, Geneviève Page, Christopher Lee
Erscheinungsjahr: 1970

STORY
Sherlock Holmes (Robert Stephens) bekommt ein ungewöhnliches Angebot von einer russischen Balletttänzerin und löst die Angelegenheit auf eine Weise, die Dr. Watson (Colin Bakely) wenig gefällt. Einige Zeit später wird Mme. Valladon (Geneviève Page) in 221B Baker Street abgeliefert – sie ist auf der Suche nach ihrem Ehemann, und anscheinend hat es jemand auf ihr Leben abgesehen. Die Lösung dieses Rätsels führt Holmes und Watson nach Schottland zu Loch Ness…

REVIEW
Als 165-Minuten-Epos angelegt wurden gute drei Stunden Material gedreht – und schließlich auf 125 Minuten zusammengekürzt. Es ist ein kleines Wunder, dass “Private Life of Sherlock Holmes” dabei immer noch so rund wirkt und ein guter Film geworden ist. Die Kürzaktion funktionierte hauptsächlich, weil der Film episodisch angelegt war, und man einfach ganze Handlungsblöcke herausnehmen konnte. Übrig bleiben zwei relativ unabhängige Geschichten – und etwas Wehmut, weil man die aufgegebenen Geschichten doch sehr gerne gesehen hätte (zwei weitere Fälle und ein Universitäts-Flashback).

Aber nun das, was wir haben. Eigentlich bietet die Handlung nichs unglaublich herausragendes: Ein paar Rätsel, etwas Romantik, etwas Humor. Aber in Billy Wilders Händen wird daraus eine wunderbar unterhaltsame Mischung; eine Verbeugung gegenüber den Originalgeschichten und gleichzeitig ein leicht ironischer Blick darauf.

Was mich vielleicht am meisten überrascht hat, ist der ganze “private life”-Aspekt des Films. Weil er mir sehr gut gefallen hat, und weil er problemlos zu Arthur Conan Doyles Holmes passt. Ich hatte etwas eher albernes und respektloses erwartet, aber es war alles richtig unterhaltsam und absolut stimmig. Die Einbindung in den “Buch-Kanon” funktioniert einerseits damit, dass wir erfahren, dass Watson gern mal Aspekte verschönt in seinen Aufzeichnungen, andererseits ist aber auch wirklich kein zu großer Widerspruch zwischen dem Buch-Holmes und diesem hier.

Das eigentliche Abenteuer ist dann etwas herkömmlich, aber dabei mit einigen sehr hübschen Ideen gespickt. Die ganze Loch-Ness-Monster-Sache ist sehr unterhaltsam1, der leichte Steampunk-Hauch passt schön und ein später Gastauftritt einer gewissen Majestät ist herzig. In mancher Hinsicht gibt es auch Parallelen zu dem neuen Guy Ritchie Film, teils sehr vage Ähnlichkeiten (die Zielobjekte der Untersuchungen haben Gemeinsamkeiten), teils sehr speziell (in beiden Filmen bekommt Holmes den Auftrag, verschwundene Zwerge zu finden), so dass ich mal davon ausgehe, dass hier Guy Ritchie ein paar Verbeugungen vor diesem Film vorschwebten.

Die Schauspieler sind auch ziemlich gut – Robert Stephens, Papa von unserem werten Toby Stephens, macht sich gut in der Holmes-Rolle, er ist sehr äußerst sympathisch und charmant, nimmt seinen Holmes nie allzu ernst ohne ihn lächerlich zu machen. Und mit der Zeit gewöhnt man sich auch daran, dass er mehr geschminkt ist als die Dame an seiner Seite. Die wird von Geneviève Page ganz solide dargestellt – da freut man sich eher über die ordentliche Figurenzeichnung, da haben andere Holmes-Filme mit Frauen mehr Probleme (siehe Young Sherlock Holmes oder zum Teil auch den Guy Ritchie Film).
Blakelys Watson ist jetzt nicht der Allerhellste, und für einen Watson auch erstaunlich wenig sympathisch, aber trotzdem deutlich besser als ein trotteliger Dödel ala Nigel Bruce. 2 Aber er ist ein ganz eigener Charakter mit einer guten Mischung aus offener Bewunderung für Holmes, aber auch keiner Scheu ihn zu kritisieren, und hält sich in seinen Comic Relief Szenen ganz gut.
Daneben bekommt man noch Christopher Lee als Bruder Mycroft – keine besonders herausragende, aber doch eine sehr erfreuliche Leistung. Überhaupt ist die Interpretation des Diogenes Club dieses Films ziemlich schick.

“The Private Life of Sherlock Holmes” gehört kaum zu Billy Wilders besten Filmen, und hätte noch viel mehr sein können – aber auch so bleibt ein äußerst unterhaltsamer und absolut empfehlenswerter Film, der es nicht verdient hat, zwischen bekannteren Wilder- oder Holmes-Filmen zu verschwinden. Also: unbedingt mal ansehen.

  1. wenn auch anachronistisch
  2. Ich weiß, es ist ein bisschen langweilig in jeder Holmes-Kritik auf Nigel Bruce herumzuhacken. Aber ich bin einfach immer noch genervt von seinem Watson, und kann das gar nicht oft genug erwähnen.