"But I don't wanna hate people. I don't wanna be like you. Look at you.” -
Die eigenen Kinder auf un(freiwillige) Art zu verlieren, wenn sie durch fremde, gesellschaftliche Instanzen der eigenen Obhut auf Grund diverser, persönlicher Umstände entrissen und dann in Pflege beziehungsweise Adoption gegeben werden, ist eine schlimme, also alles als leicht zu verkraftende Sache. Und zwar für in erster Linie für erziehungsberechtigte Mütter. Mit dieser täglichen, existenten und immer noch nicht zu einhundert Prozent gelösten Problematik unserer Gesellschaft, die Schere zwischen Reichtum und Armut driftet auch aktuell kontinuierlich auseinander und fördert daher diese Tragik herbei, beschäftigt sich Martin Sixsmiths Bestseller Roman " The lost child”, der als Grundlage die wahre Geschichte von Stephen Frears ambitioniertem Drama "Philomena” mit Hauptdarstellerin Judi Dench als Philomena Lee erzählt, die als junge Mutter ihr Kind auf verstörende Weise verliert. Auf präzise und interessante Art werden dem Publikum in "Philomena” nun die skrupellosen Machenschaften all derjenigen offenlegt, die Adoptionen fremder Kinder für die eigenen Zwecke mißbrauchen, sei es zum Beispiel zum eigenen wirtschaftlichen und sozialen Vorteil, wenn ärmere Gesellschaftsschichten ausgebeutet werden, aber auch aus kulturell-religiösen, ideologisch-verblendeten Gründen, sprich aus einer antiquiert-fanatischen Weltanschauung heraus.
"And after I had the sex, I thought anything that feels so lovely must be wrong.” - Philomena Lee (Judi Dench) wächst im Verlaufe von 98 Minuten Laufzeit als leicht trutschige, nicht gerade mit viel Intellekt, aber einem großen Herzen und entsprechender Klappe gesegneter Heldin, die einfach nur das richtige möchte, über sich selbst hinaus. Also wenn es darum geht, die wahren Gründe hinter dem verschwinden ihres Sohnes aufzudecken, der ihr als junges Mädchen in einem Kloster weggenommen wird. Sie reift also zu einem universellen, Empathie fähigen, überlebensgroßen Charakter heran, der wie in einer Art metaphorischem Gewand die Lasten aller Menschen der Gesellschaft auf dem Rücken tragen darf, die ihren Nachwuchs auf Grund erdrückender Normen, auferlegter Zwänge beziehungsweise daraus resultierender, mangelnder gesellschaftlicher Selbstbestimmung verlieren. Philomena Lee wird also DIE bitter-gemeine Wahrheit über das gesellschaftliche System, in welchem wir leben, genauso wie dem Publikum zu Teil: die Freiheit beziehungsweise die Akzeptanz des Individuums sind trotz entsprechender, persönlich-geistiger Willenskraft, Herz, Leidenschaft und körperlicher Stärke in unserer Welt auch für die moderne Frau heutzutage immer noch alles andere als selbstverständlich: wer bis zu einem gewissen Alter zum Beispiel ein sozial und kulturell leicht bis auch komplett ungebildeter Mensch bleibt und sich dennoch dazu entschließt, auf Grund der Liebe oder mit anderen Worten Dank der eigenen Gefühle gegenüber jemanden, die sich nun mal nicht unterdrücken lassen, ein Kind zur Welt zur bringen, der offenbart sich somit am verwundbarsten und wird einfach ausgegrenzt. Das Herz am rechten Fleck hin oder her. Und was gibt es da passenderes in diesem Moment als die gut- und treuherzige Kirche als Zwangs-Institution, die immer zum rechten Zeitpunkt vor ungewollter Schwangerschaft und Abtreibung warnt. Und auch zwecks Einnahme der Pille in gegen Ende von "Philomena” in aller Scheinheiligkeit den mahnenden Zeigefinger wie ein Self-Made-Millionär mit Zahnpasta-Lächeln in einem dreißig Sekunden langen Espresso-Werbespot erhebt: wen kümmern denn dann wirklich Schicksale wie Philomena Lee, wenn auch deren Kind, das als soziale, ungewollte Last einfach nicht sein darf, flugs unter den Teppich gekehrt wird, damit keine Unruhe unter dem einfachen Steuerzahler zu entstehen braucht. Und somit sind alle gesellschaftlichen Unduldsamkeiten somit dann WIEDER EINMAL aus dem Weg geräumt. Wer möchte in solchen Momenten, also an dieser Stelle jetzt, nicht gerne die Faust ballen und dann einmal in das entsprechende Ziel treffen?
"My Dad went to Catholic school and got my Mom pregnant. He married her. She hated me. She beat me. I wish she would have given me up for adoption.” -
Weil dieses halt nicht den eigenen Normen beziehungsweise gesellschaftlichen, erzkonservativen, kirchlichen Wertvorstellungen, stellvertretend für all unseren mittlerweile transparenten High-Society, Mittel- bis Unterklasse-Schichten entspricht. Ebenso erahnt man im Verlaufe von 98 Minuten Laufzeit auch fast, wie "Philomena” zwangsläufig in Sachen Erzählung enden muss, nämlich in Form einer griechischen Tragödie, die mit ihrer Auflösung überrascht und beim Publikum, also genau wie den Menschen gegenüber kritischen Journalisten Martin Sixsmith zunächst das entsprechende Maß an Wut über unseren nun offen gelegten, eigenen Unzulänglichkeiten im Umgang mit unser liebsten Form der eigenen Zukunft, unseren Kindern also, evoziert. Aber dann müssen wir Dank Philomena Lees menschlicher Größe am Ende doch feststellen, das nicht der reine Hass beziehungsweise die Rache gegenüber aller Ignoranz und verkrustetem, gesellschaftlichen Denken und damit verbundenen, stellvertretenden Mitmenschen uns weiterhilft. Sondern das uns nur das eigene erkennen wollen unserer eigenen Fehler im Angesicht unserer Mitmenschen, die irrtümlicher weise glauben, immer das richtige zu tun, uns die Chance bietet, unseren Kindern wieder eine bessere Zukunft geben zu können. Nur Ruhe, Gelassenheit, wirtschaftliche, soziale Balance, Freundschaft, Zusammenhalt, ein daraus resultierender, innerer Frieden und damit verbundenes, gewisses Maß an Selbsterkenntnis können am Ende dazu beitragen, den Teufelskreislauf aus Verlust, Schmerz und der damit einher gehenden Anonymität unserer Kinder gegenüber uns selbst, als Erwachsenen also, ein für alle mal zu durchbrechen. Damit sich auch Schicksale von Philomena Lee einfach nicht wiederholen müssen: hat sie ihren Sohn denn wirklich nur einziges einmal verloren? Das wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Stephen Frears Drama "Philomena” offenbart sich einfach als ein zutiefst aufrichtig humanes, positiv-kulturelles Manifest, das dem Publikum am Ende einfach genügend Raum und Zeit dafür lässt, um über das gesehene nachdenken zu können. Und das der vollmundigen Ankündigung diverser Filmvorschauen, zu berühren, wirklich gerecht wird. Uns also alles andere als kalt lässt. Beziehungsweise das über tiefer gehende Fragen, die im Verlaufe der Handlung gestellt werden, richtig gut funktioniert. Ein kleiner Wermutstropfen: "Philomena" wirkt am Ende lediglich eine Spur zu abrupt endend. Und der Sprung zum Meisterwerk bleibt Stephen Frears Drama deswegen versagt, da die zum Grunde liegendem Thema passenden, gesellschaftlichen Grau-Schattierungen gerade im erzählerischen Mittelteil hätten noch stärker herausgearbeitet werden müssen. Sei es drum. Fazit: Denn "Philomena” ist trotz kleiner Schwächen nämlich zu genau im richtigen Maße anspruchsvollem Futter für den Geist und zu einem der schönsten Filme 2014 geraten, der eine Auflösung bietet, die man nicht mehr vergisst. Wertung: 8/10 Punkte