Kritik - No turning back - Locke
Erstellt am 21. Juli 2014 von Tobias Lischka
@tobe781
"I want to know that I´m not driving into one direction." -
Das Leben eines Menschen ist, so sagt man, wie ein erschaffenes Gebäude, das aus unzähligen Einzelteilen besteht, die im Verlaufe der Zeit miteinander verknüpft werden. Damit es stabil genug bleibt, um allen harten Einflüssen bis zu seinem unweigerlichen Ende widerstehen zu können. An dem wieder neue Gebäude von jemand anderem, also der eigenen Nachkommenschaft, errichtet werden. Aber um die persönliche Stabilität im Leben gewährleisten zu können, ist es halt zwingend notwendig, sich hin- und wieder der Fehlerkontrolle zu widmen. Denn kein Mensch ist von Natur aus perfekt, der Mensch entgeht seinem Scheitern, sei es auch noch so gering, nie. Er ist nun mal keine Maschine.
In seinem ambitionierten Drama "No turning back Locke" konfrontiert Regisseur Steven Knight nun das Publikum und seinen Protagonisten Ivan Locke (ordentlich gespielt von Tom Hardy) mit dieser unvermeidbaren Tatsache. Ivan Locke hat eigentlich nie etwas falsch gemacht im Leben, er ist erfolgreich im Handwerk, er hat eine Frau und Kinder. Aber dann meint es das Schicksal nicht gut mit ihm, denn zum einen unterläuft ihm im Alkoholrausch eine Affäre mit einer anderen Frau, die angeblich ein Kind von ihm zur Welt bringt. Und auch auf der Arbeitsstelle droht einiges auf Grund verschiedener Umstände, die er nicht mehr zu kontrollieren vermag, aus dem Ruder zu laufen. Hätte er die Arbeitsstelle mal nicht verlassen, also einen Moment länger aufgepasst, dann wäre nun alles in Ordnung. An einem ausufernden Erzählen einer Geschichte zeigt sich Steven Knight in "No turning back - Locke" im Angesicht seines Protagonisten und dessen Schicksal weniger interessiert. Er bildet lediglich ab, hält also das Leben Ivan Lockes in kurzen, schnell vorbeifliegenden, insgesamt 84 Minuten Laufzeit in einer einzigen Momentaufnahme fest, deren Füllstoff repetitive Telefongespräche sind. Ein Mann im Auto, die anderen Menschen nur noch am Telefon: zwischen sich und anderen existiert durch zwei begangene Fehler bereits eine geschaffene Kluft, die verzweifelt wieder geschlossen werden muss. Aber so wird es nun mal nicht kommen... Wie oft ist uns das schon im Leben passiert? Dieses Schicksal kommt einem doch bekannt vor, ODER? Teilt Steven Knight seinem Publikum also wirklich etwas neues, oder nur abgegriffene Kalender-Weisheiten aus der abendlichen, öffentlich-rechtlichen und der Privat-Programm Soap-Opera -Bilderbackstube mit. Ohne neue Lösungsansätze für die eigene, aufgeworfene Problematik dafür in Gegenzug zu bieten? Die Antwort kann man sich nach Sichtung von "No turning back - Locke" zügig ausmalen.
Denn Steven Knight entlässt sein Publikum am Ende zwar mit einem leichten, morbiden Gefühl der Hoffnung, wenn Ivan Locke mit einer neuen Frau einen neuen Weg beschreiten soll. Aber ein befriedigender Abschluss seiner Geschichte will sich gezwungenermaßen nicht einstellen. Denn was mit Ivan Locke kurz vor Einrollen der Endcredits endgültig passieren wird, das muß halt offen bleiben. Es zählt halt nur, was man bis dato erlebt hat. Es gibt bis auf die typische Leben- und Gebäude Allegorie halt keine gängige Genre-Weisheiten, die in "No turning back - Locke" in den letzten Momenten phrasiert werden. Und so präsentiert Steven Knight mit "No turning back - Locke" einen der ungewöhnlichsten Filme des Sommers 2014 , ja ein triviales, künstlerisches Vakuum, das neben aller dünnhäutigen Aussage am Ende (bewusst?) zwischendurch nachdenklich, irgendwie betroffen als auch ziemlich ratlos macht. Haben wir es etwa hier mit großer, inszenierter Genre-Kunst zu tun, obwohl sich Steven Knights Drama am Ende in all seiner Weisheit beziehungsweise den eigenen auferlegten, tiefenpsychologischen Ansätzen am Ende zügig erschöpft? Suggeriert uns "No turning back Locke" Dank Tom Hardys Schauspielleistung, der seine zu durch leidende Midlife Crisis auf Grund seiner verkniffenen Dauer-Mine entsprechend verkörpert, am Ende daher doch nicht eher weniger, als letztlich hinter allen Ambitionen der Macher steht? Eben. Wie man bereit ist, "No turning back Locke" aufzufassen, hängt zum einen auch maßgeblich von der eigenen Perspektive ab, ob die Leinwand überhaupt die Realität "komplett" widerspiegeln kann beziehungsweise dies überhaupt sollte. Soll Kino also diese Aufgabe überhaupt übernehmen? Nein, das kann es selbstverständlich nicht, aber mittlerweile glauben wir tatsächlich, wie beispielsweise durch"Boyhood", das es halt so sein müsste. Dabei wird zwischen Kino und Realität immer eine maximal dünne Trennlinie gezogen werden. Das Kino kann entsprechende Themen aufgreifen, diese an die Realität anlehnen und zum persönlichen nachdenken, also die Phantasie des Publikums anregen. Was eine wunderbare Sache ist, da die menschliche Vorstellungskraft unerschöpflich ist. Aber was Steven Knight mit "No turning back Locke" versucht in Szene zu setzen, ist halt etwas völlig anderes. Er unternimmt den Versucht, die Realität des menschlichen Kosmos komplett auf der Leinwand widerzuspiegeln. Und dafür ist keine Phantasie, ja keine Anregung zum nachdenken mehr vom Publikum am Ende mehr nötig. Man bekommt nun komplett diktiert, was man einfach zu verstehen hat. Kino bedeutet halt nicht, der Passivität zu fröhnen, sondern sich aktiv am Geschehen auf der Leinwand zu beteiligen.
Zum anderen hängt es aber auch von der persönlichen Toleranzgrenze ab, "No turning back - Locke" entsprechend positiv goutieren zu können. Denn man wird mit Alltagsproblemen, die man ähnlich, wie halt im Falle Ivan Locke dargestellt schon einmal persönlich erlebt hat, nicht nur bildlich konfrontiert. Nein, man wird von diesen in "No turning back Locke" regelrecht überschüttet, Denn in Steven Knights Drama erfolgt halt ein Tiefschlag auf den nächsten. Bis man am liebsten selbst die Flucht aus dem Fahrzeug von Ivan Locke wagen möchte, es aber irgendwie dann doch nicht schafft. Mit "No turning back -Locke" steckt Steven Knight die Grenzen seines aufgezogenen Kosmos einfach zu eng ab, obwohl er viel mehr Möglichkeit gehabt hätte, seinen Protagonisten durch erdachte Up´s and Down´s zu jagen. Warum darf man den Protagonisten nur im Auto sitzen, aber mittels Mobil-Telefon nicht neues Terrain erkunden lassen? Die Bezeichnung Thriller hat "No turning back - Locke" somit in keinster Weise verdient. Steven Knights eher ins Leben gerufenes, ruhiges Midlife-Crisis-Kammerspiel-Drama evoziert Dank Tom Hardy zwar unterschwellig ständig etwas bedrohliches, sich näherndes, also leicht-spannendes. Dennoch vermag sich Steven Knights Drama niemals emotional während diverser, sich ankündigender Höhepunkte zu entladen, wie es nun mal dringend erforderlich wäre. Damit das Publikum vom gespielten Schicksal Tom Hardys am Ende wirklich gepackt beziehungsweise mitgerissen, also nicht nur mit einem leichten Gefühl der Betroffenheit, der dazugehörigen Bitterkeit und Nüchternheit zurückgelassen wird.
Letztere Dinge dürften im Genre auf Grund ihrer dargebotenen Qualität nun wohl ihres gleichen suchen. "No turning back - Locke" offenbart sich somit am Ende weder als packende Tragödie noch als vollständig-positive Katharsis des Helden, also weder als Fisch noch als Fleisch. Steven Knights Drama liegt also lauwarm-dramaturgisch-dahinplätschernd im Mund. Und würde Steven Knight sich nicht voller Ehrgeiz auf die Konflikte Tom Hardys fokussieren, dann wäre am Ende von seinem nicht aufgezogenen Thriller, sondern mit dramaturgischen, aufgewärmten Erzähl-Klischees aufgepepptem Drama (der imaginäre, sehr oft gesehen Vater, der ins Gewissen redet) nicht mehr als ein thematisch-zerzaustes Huhn übrig. Und somit kann mit "No turning back Locke" auch kaum von einer künstlerischen Arthouse-Blaupause am Ende die Rede sein. Sondern nur von einem Drama, das beinahe in seiner Langeweile beziehungsweise der an den Tag gelegten Monotonie ersäuft. Gäbe es Tom Hardy, die bereits angesprochene Konzentration der Regie auf die richtigen, perfekt miteinander zu verschmelzenden Szenen Abläufe und einige zugegebenermaßen unerwartete, an einer Hand ab zuzählende, unerwarteten Anrufe während der inszenierten Autofahrt nicht, um das Publikum aus dem sich im Mittelteil ankündigen Tiefschlaf zu holen, da die vielen Telefongespräche teilweise formal (per Dialog) zwar interessant, nach einer Weile aber irgendwann auch repetitiv-anstrengend und daher einfach ermüdend wirken. So etwas nennt sich dann qualitativ hochwertiger Minimalismus. Und daher darf Steven Knights starr-aseptisches, zumeist auch depressiv wirkendes und gegen Ende dann wieder vorausberechenbar wirkendes Drama (entweder wird der Protagonist erfolgreich sein oder nicht) nun entsprechend gefeiert werden. Dessen eigentlich richtiger, am Ende zu subtil-wirkender Galgenhumor sich innerhalb kurzer Zeit in der überbordenden dramaturgischen Tristesse, ja in aller Monotonie, rasch aufzulösen beginnt.
Hätte Steven Knight dem noch stärker entgegenwirkt, wäre das Schicksal Ivan Lockes zwischendurch noch etwas leichter zu goutieren gewesen. Aber stattdessen fühlt man sich nach 84 Minuten selbst wie der verprügelte Protagonist selber. Beziehungsweise nickt die letzten Momente von Ivan Lockes Reise mit der Langeweile evozierenden Klischee-Phrase "Ja, es gibt halt nichts härteres als das Leben" ab. Und schluckt die bittere Pille, die porträtieren soll, das unser modernes Leben alles andere als rosig ist. Aber über diesen puren Selbstzweck hinaus gibt es am Ende in Steven Knights Drama halt nichts zu entdecken. Man wird halt anders als eine frühere Menschen-Generation öfter im Leben richtig enttäuscht und muss gezwungenermaßen an anderer Stelle weitermachen, da unsere Zeiten härter geworden sind. Babygeschrei und Windeln leisten aktuell auch in einem höheren Alter nun mal ihr übriges dazu. Wer hätte das aktuell jemals gedacht? Wir kennen also die Umstände der Gesellschaft nicht. Und daher bedarf es an der notwendigen Aufklärung. Schön, das jemand auf die Idee gekommen ist, an Hand einer Person zu porträtieren, was mit uns allen in der Gesellschaft mittlerweile immer wieder los ist. Wir müssen also mit uns selbst und nicht alleine mit dem materiellen im reinen sein. Welche für das Publikum nicht zu erahnende, gewollt-weise, am Ende aber doch intellektuelle, zu beschränkt wirkende Erkenntnis. Nur leider vermag das Publikum über den Botschafts-Horizont von Steven Knights gefeierter Momentaufnahme "No turning back - Locke" ohne Probleme hinaus, also halt auf flexible Art und Weise zu denken. Und kennt sich gut mit gesellschaftlichen Strukturen genau so gut, wenn nicht sogar besser als Script und Regie aus. "No turning back - Locke" entpuppt sich also als ein Film, der so tiefsinnig und bewegend wie eine schwierige, vor sich dahinziehende Landfahrt verarmter Menschen in wenig bewohnten Gebieten mit kleinen Höhen und Tiefen daherkommt. Die sinnigerweise in einer Existenzkrise endet, aber halt ohne echte, dramaturgische Schlaglöcher daherkommt. Der auch die ausgeklügelten Bildkompositionen und raffinierte Psycho-Spielchen durch eine zweite, imaginär-hinzuaddierte Rahmenhandlung am Ende nicht wirklich einen entsprechenden Schub verleihen können. Denn ein schön gedeckter Teller ist am Ende nutzlos, wenn der Inhalt mit samt Botschaft darauf in Wirklichkeit, also wie bei einem zu knauserigen 5 Sterne Restaurant, vom Umfang leider zu mager und auch von der Qualität nicht besser als das allseits bekannte von 3 bis 4 Sterne Restaurants ausfällt.
Fazit: Am Ende bleiben halt keine Fragen offen beziehungsweise die um sich greifende Leere soll Intelligenz suggerieren, ja zum nachdenken anstiften? Nicht wirklich. Nein. Aber Danke für die Einladung. Am Ende sollte man dann doch lieber zwecks Drama und Thriller-Konsum ein schönes Restaurant aufsuchen. Beziehungsweise auch auf den obligatorischen Fast-Food-Drive-In zwecks Sättigung verzichten.
Wertung: 5.5/10 Punkte