DK Newcomer:
Warum gestalten
– ein Bericht vom HFBK Symposium am 9. Februar 2012
von Matthias Friederich
Die Ausgangsfrage des Symposium an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg am 9. Februar 2012 erscheint vage. „Warum gestalten?“ fragt der Titel der Veranstaltung. In gedrängter typographischer Anlage gliedern die Schriftzeichen in rötlich-oranger Einfärbung vollflächig die Flyer und Plakate. Das Zentrum des grafischen Entwurfs markiert ein Fragezeichen, welches um 90° gekippt und auf die ganze Seitenbreite skaliert unverhältnismäßig groß erscheint. Werden so Fragen hinterfragt? So erfährt die Fragestellung im Gestus des Schriftbildes einen appellhaften Ausdruck, doch den Kontext des Appells sucht man im Text zur Veranstaltung vergebens: „Warum Gestalten? – Weil Design die Welt verändert“ steht dort als ‘vorläufige Antwort’.
Auf eine heute im Design weit verbreitete Unsicherheit, was die Aufgaben und die gesellschaftliche Rolle von Design betrifft, beziehen sich auch die Worte Friedrich von Borries, Professor für Designtheorie und kuratorische Praxis in Hamburg, der die Einführung zu dem Symposium im eigenen Hause hält. Während noch der modernistische Geist der 1950er Jahre von einem Glaube an unangefochtene Tatsachen geprägt war und eine ausgesprochene und auszusprechende Klarheit dessen, was Design will und kann, ermöglichte, scheint eine geradlinige Übereinkunft dieser Art heutzutage weder möglich noch glaubhaft.
Ebenso groß sind die von Borries’ Zweifel an einer definitorischen Einordnung dessen, was als Design verstanden wird. Seiner Meinung nach begründet sich die Frage nach dem Wesen von Design nicht im Design selbst, sondern lässt sich einzig von den Aufgaben, die es in der Welt bearbeitet, herauslesen. Im Zuge dieser Erkenntnis fragt das Hamburger Symposium statt „Was ist Design?“ die Frage „Warum gestalten?“ Sechs Vorträge und Gespräche zwischen Referenten und Lehrenden der HFBK stehen auf dem Programm.
Effiziente Emotionen
Andrej Kupetz, Geschäftsfüher des Rat für Formgebung, präsentiert ein Designverständnis, welches die Aufgaben von Design im Wesentlichen von einem ökonomischen Effizienzbegriff ableitet. In seinem Beitrag verschmelzen Errungenschaften des Design in geradliniger Abfolge zu einem Zeitraffer eines linearen Fortschrittkonzepts: Präsentiert wird ein Kanon von Design-Klassikern, die Kupetz zu einer Demonstration wirtschaftlicher Leistungssteigerung verdichtet. Die Grundthese seines Vortrags beschäftigt sich mit der Aufwertung der Oberfläche: Produkte konstituieren Projektionsflächen für Marken, die Oberfläche des Produkts agiert als dessen wichtigster Bedeutungsträger. Kupetz betont, dass wir uns heutzutage in einer “Wirtschaft der Begierden und der Emotionen” bewegen, die sich von einer “Wirtschaft der Grundbedürfnisse” längst schon verabschiedet hat. Doch in einer Gesellschaft der Leidenschaften sei Design als Verbündeter der Industrie umso wichtiger, so Kupetz. Denn wenn die Grundbedürfnisse gedeckt sind, gehe es darum, Differenzierungen an der Oberfläche zu leisten. Nach Kupetz fängt Design dort an, wo die Ingenieursarbeit endet.
Man kann sich gut vorstellen, wie Andrej Kupetz mit einem Vortrag dieser Art vor Industrieverbänden und in Managementabteilungen zahlreicher Unternehmen auf applaudierenden Zuspruch stösst. Denn er verspricht, dass ein ökonomisches Wachstum unbegrenzt sei – der Margenerfolg lasse sich fortdauernd durch sukzessive oberflächliche Veränderungen an Grundprodukten erzielen. Gefragt ist hierzu eine Designkompetenz, welche Modifikationen an der Aussenhülle – der Fassade eines Produkts – leisten kann.
In dem Hörsaal der Hochschule für bildende Künste Hamburg stößt Kupetz Argumentation auf weitreichende Skepsis. Einige kritische Fragen werden gestellt, zum Beispiel ob die Verantwortung des Designers nicht auch im Gesellschaftlichen zu suchen sei und ob Design nicht mehr als oberflächliche Veränderungen des Grundprodukts bewirken kann. Doch Kupetz Reaktionen verdeutlichen aufs Neue, wie er den Designer primär im Auftrag der Industrie und vorrangig als Agent des wirtschaftlichen Wachstums begreift. Bereits in den einleitenden Worten seines Vortrags stellte Kupetz seinen Blickwinkel auf die utopisch gestimmten Worte des Einleitungstextes von Friedrich von Borries zum Symposium vor: In zweifelndem Tonfall bemerkte er, dass Designer wohl die einzigen Dienstleister seien, die glauben, mit ihrer Dienstleistung die Welt verändern zu können.
Stadt als Fabrik
Auch in Christoph Schäfers Vortrag, der kurzfristig eingesprungen war um den fehlenden Markus Miessen zu ersetzen, geht es um die “Thematisierung einer Wirtschaft der Leidenschaften und des Imaginären”. Anhand von Ausschnitten aus seinem Bildessay „Die Stadt ist unsere Fabrik“ (Spector Books, Leipzig 2010) zeichnet er eine Veränderung des Städtischen nach und nimmt dabei insbesondere Begriffslandschaften des französischen Soziologen Henri Lefebvre (1901-1991) in den Blick. Die These „Die Stadt ist unsere Fabrik“ beschreibt die Vorstellung dass die Stadt selbst zum zentralen Produktionsort geworden ist. In seiner Argumentation bezieht sich Schäfer auf Henri Lefebvre, der schon frühzeitig die Bedeutung des Imaginären als Produzent des urbanen Raumes erkannte. Während noch in einer traditionellen Fabrik die Herstellung materieller Produkte geleistet wurde, gehe es in der Konzeption des städtischen Produktionsortes als kreative Fabrik vorrangig darum nicht-materielle Produkte zu erschaffen, die Schäfer als Haltungen, Leidenschaften oder kommunikative Netzwerke bezeichnet. Der Kreative avanciert in diesem Zuge zu einem „Held der immateriellen Arbeit im Feld des Postfordismus“. So wird ja gerade vom Designer oftmals erwartet, auf Basis seiner subjektiven Wahrnehmung das Individuelle und Einzigartige aus der gegenwärtigen Umgebung zu destillieren. Der Designer versucht in diesem Tätigkeitsfeld die Übersetzung einer subjektiven Haltungen in eine Warenform zu leisten.
Während Andrej Kupetz die postindustrielle Form der Wirtschaft im Zeichen der Leidenschaften, Emotionen und hybriden Konsumenten durchaus positiv begutachtet, eröffnet Christoph Schäfers Auseinandersetzung einen völlig anderen Blickwinkel. Er hinterfragt die “kapitalistische Ausschlachtung des Imaginären”. Denn von dem Mehrwert, welcher aus einer zunehmenden Vereinnahmung des ‘Eigenartigen’ (Lefebvre) ensteht, profitieren vor allem private Unternehmen, die neuartige Haltungen und Ideen in Waren transformieren. “Das Eigenartige verwandelt sich hierbei in Folklore”, wie es Lefebvre formulierte. Eine der Herausforderungen, welchen sich der Designer stellen könnte, würde laut Schäfer auf eine Produktion von kollektiven Räumen abzielen, die aufgrund ihrer spezifischen Beschaffenheit nicht so einfach durch den Markt zu vereinnahmen seien. In der halben Stunde seines Vortrags konnte Christoph Schäfer leider seine Erörterung neoliberaler gesellschaftlicher Ordnungsprinzipien nicht vertiefen – so blieben die Fragen nach den konkreten Auswirkungen oder gar Alternativen zu diesem Modell noch weitgehend ungelöst.
Bilderflut und Neues Deutsches Design
Der Vortrag des spanischen Designers Jaime Hayon, den er zusammen mit seiner Frau Nienke Klunder hält, gleicht einer Bilderflut, zu der Hayon im Plauderton ein paar Randbemerkungen zu einzelnen Projekten macht. Spannungsreicher gestaltet sich der Vortrag der beiden Designer Axel Kufus und Andreas Brandolini – Mitbegründer und Vertreter des „Neuen Deutschen Design“.
Der Vortrag von Andreas Brandolini erfolgt in Form eines Gesprächs mit Jesko Fezer, der erst seit kurzem die Professur für experimentelles Design an der HFBK inne hat. Andreas Brandolini gründete 1982 zusammen mit Joachim B. Stanitzek „Bellefast – Werkstatt für experimentelles Design“ und eröffnete Ende der 1980er Jahre zusammen mit Axel Kufus und Jasper Morrison das Büro „Utilism International“. Beide Arbeitsgemeinschaften verstand er nicht als die Anlage eines Planungsbüros im herkömmlichen Sinne, denn im Mittelpunkt stand jeweils die Realisierung von selbstinitiierten Projekten. Brandolini berichtet von einer Zeit, in welcher es schwierig war überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden, der mit den eigenen gestalterischen Interessen korrespondierte und er und seine Mitstreiter einen Weg suchten sich von den Ansprüchen der Industrie zu distanzieren. „Wir wollten damals anfangen und aktiv werden und nicht in Büros gehen und Projekte machen, zu denen man keine Lust hat.“
Es entstanden Entwürfe in Kleinserien, bei welchen der Arbeitsprozess nicht in einzelne, stark spezialisierte Arbeitsschritte zerstückelt wurde, sondern die Designer die Kontrolle über den gesamten Entwurfs-, Produktions- und Vertriebsvorgang inne hatten. Zwischen verschiedenen Bild- und Videoeinblendungen der damaligen Zeit, liest Jesko Fezer immer wieder pamphletartige Texte von Brandolini und dessen Umfeld der 1980er Jahre vor. Zwar zeugt Brandolinis Reaktion deutlich von seiner Distanz zu seiner damaligen Praxis, doch ebenso betont er, wie wichtig die Abgrenzungen vom damals herrschenden Dogma des Funktionalismus für die Akteure waren.
Der Begriff des Experimentellen ist ein wiederkehrendes Motiv Brandolinis, z.B. wenn er das Konzept von einem Designer als Dienstleister kritisiert, dessen Tätigkeit sich in der Abhängigkeit von einem Auftraggeber erschöpft. „Es geht nicht um Produzierbarkeit oder Vermarktung, sondern um das Ausloten neuer Möglichkeiten“, zitiert Jesko Fezer aus einem Text Brandolinis. Im ‘Neuen Deutschen Design’ ging es Brandolini nicht darum seine Rolle mit der eines Künstlers zu tauschen, sondern den Versuch zu wagen als Gestalter mittels experimenteller Entwurfsstrategien den üblichen festgelegten Aufgabenstellungen und vorhersehbaren Lösungen entgegenzutreten. Auch den Ausstellungsbeitrag zur Documenta 8, „Deutsches Wohnzimmer“, entwarf er aus dieser Überzeugung heraus.
Auch ein jüngeres Projekt, der Entwurf eines Gemeindeplatzes im lothringischen Raucourt veranschaulicht Brandolinis Selbstverständnis. Betrachtet man den Gemeindeplatz, der nach Brandolinis Entwurf erbaut wurde, so fällt es zuerst einmal schwer, augenfällige “Designentwürfe” ausfindig zu machen. Brandolini beschreibt, wie aufgrund eines sehr eng gespannten finanziellen Korsetts die Herausforderung, den Gemeindeplatz überhaupt zu realisieren in den Mittelpunkt seiner Aufgabenstellung rückte. Erst eine stark partizipatorische Anlage des Entwurfs- und Realisierungsprozesses ermöglichte die Verwirklichung des Projekts. Die Bewohner wurden in den Gestaltungsprozess eingebunden, das führte zu einer so starken Identifizierung mit dem Bauvorhaben, so dass sich viele Bürger eigenhändig an den Arbeiten am Gemeindeplatze beteiligten. Brandolini reflektiert, wie er von der Rolle als Designer in die Rolle eines Moderators gelangte und seine gestalterischen Vorstellungen letzlich eine ziemlich untergeordnete Rolle spielen.
Auch Axel Kufus, ein weiterer Protagonist des „Neuen Deutschen Design“, plädiert in seinem Vortrag für das Konzept, den Designer weniger als genuinen Formentwerfer, sondern eher als kreativen Moderator von kollektiven Arbeitsprozessen zu verstehen. Laut Kufus könnte eine Herausforderung von Design zunehmend in der Qualifizierung von Prozessen bestehen, anstatt die gestalterische Tätigkeit einzig an den Entwurf neuer Produkte und an wirtschaftliches Wachstum zu koppeln. Ein Fokus der gestalterischen Tätigkeit im Angesicht eines prozessualen Zugriffs richtet sich darauf, Produkte als Aggregatzustände zu begreifen, deren Funktion sich in der Initiierung weiterführender Prozesse begründet. Eines der wesentlichen Potentiale des Design liegt laut Kufus in seiner Methode, Vorstellungen schnell in Modelle übertragen zu können. „Eine der Mächtigkeiten des Designs sehe ich darin, dass wir relativ schnell und treffend Vorstellungen als Modelle erzeugen können, die nicht nur etwas darstellen, sondern vor allem Arbeitstool sind. Das steht im Kontrast zur klassischen wissenschaftlichen Vorgehensweise. Während dort ein Modell auf Basis einer Theorie erzeugt wird, ist es im Design möglicherweise genau anders herum. Ein Modell wird erzeugt und dadurch entsteht eine Theorie.“
Kufus betont weiter, dass Modelle, die im Gestaltungsprozess als Werkzeuge dienen, häufig aus intuitiven, interpretativ oder spielerisch geprägten Situationen entstehen. „Nicht der Zweck heiligt die Mittel, sondern die Mittel heiligen den Zweck“, wie Axel Kufus Bazon Brock zitiert.
In seinem Vortrag beschreibt Kufus diese Vorstellungen anhand Beispielen seiner Lehre an der UdK Berlin. Im Mittelpunkt steht dabei das Projekt „Designreaktor Berlin“, welches er 2007 initiierte. Ziel des Designreaktor Berlin war, eine temporäre Kooperationen zwischen kleinen und mittelständischen Unternehmen und Gestaltern zu etablieren, um die Strategien und Perspektiven postindustrieller Standorte am Beispiel Berlin zu erforschen. Kufus betont, wie dabei Design als ein Instrument des Verknüpfens dient – sowohl von Aufgaben und Ansprüchen, als auch von Materialien, Funktionen, Produktion und Form. Mit der Bezeichnung der „multiperspektivischen Entwicklung“ formuliert Kufus eine Kernkompetenz des Designers. Während ein lineares Modell der klassischen Forschung darauf ausgerichtet ist, unerwartete Fehler durch Filter zu korrigieren und zu verhindern, sollten Designer dazu ausgebildet werden auf das Unerwartete zu reagieren und auftretende Fehler als Potentiale zu verstehen.
Fazit
Man wünscht sich öfter Veranstaltungen, wie das Symposium in Hamburg. Natürlich ist und bleibt es schwierig auf die weitreichende Frage „Warum gestalten?“ eine klare Antwort zu finden – und das muss man auch gar nicht. Doch wo das modernistische Konzept vermeintlicher Tatsachen schon längst gescheitert ist, geht es vielleicht eher darum unterschiedliche Positionen – sprich Behauptungen – miteinander zu vergleichen. Dies gelang dem Symposium in Hamburg. Es trafen Praktiker und Theoretiker aufeinander, die durchaus verschiedenartige Blickwinkel auf Design erörterten. Die Vorträge reflektierten ebenso die unterschiedlichen Positionen der Designlehre an der HFBK, so waren die Gäste jeweils von einem der Lehrenden eingeladen worden. Dies ermöglichte lebhafte Diskussionen, die aber den festgelegten Zeitplan sprengten. Deshalb befand ich mich während des letzten Vortags von Peter Kubelka leider bereits im Zug – auf der Rückreise nach Berlin.
Matthias Friederich
Matthias Friederich, Jahrgang 1986, studierte Visuelle Kommunikation an der Universität der Künste Berlin und an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam.
In seiner Diplomarbeit entwarf er zusammen mit Philipp Graf und Julian von Klier das Publikationsformat A-Maschine, welches sich mit der Förderung von Diskurs im Grafikdesign beschäftigt. Realisierungen in unterschiedlichen Aggregatszuständen befinden sich derzeit in Bearbeitung.
Matthias Friederich lebt und arbeitet in Berlin und München. Ihn interessiert die Debatte von Prozessen im Vor- und Umfeld des Entwerfens, die Frage des Gebrauchs, der Aneignung und Transformation von Design. Zusammen mit Julian von Klier gründete er Anfang 2012 das Designbüro MFJVK.
HFBK Hamburg