DK Newcomer:
Modell versus Rendering:
Erliegen die Gestalter der Spekulation im virtuellen Raum?
von Annika Frye
In Gestaltungsprozessen sind digitale tools am Werk. Baute man früher noch »reale« Modelle, so helfen jetzt CAD-Modelle, eine Idee auszuformulieren und zu visualisieren. Viele Darstellungen, die dem fertig produzierten Produkt vorausgehen, entstehen am Rechner. Im Gestaltungsprozess findet also ein ständiger Wechsel zwischen analogen und digitalen Werkzeugen statt: dem Modell liegt eine technische Zeichnung zugrunde, die am Rechner angefertigt wurde. Gleichzeitig wird die digitale Darstellung immer wieder den Erkenntnissen, die man im Modellbau gewinnt, angepasst.
Inmitten all dieser Prozesse von Realisierung im »echten« Raum und Digitalisierung im »virtuellen« Raum nehmen Renderings eine merkwürdige Position ein. Renderings, also photorealistische Darstellungen, die auf Basis eines CAD-Modells entstehen, scheinen bereits ein »echtes« Produkt abzubilden: Ein Rendering suggeriert das »Nachher« eines Entwurfs in einem »Vorher«. So kann man sagen, dass Renderings von »spekulativer« Natur sind.
Das Nachher im Vorher
Der Begriff der Spekulation (von lat.: speculum = Spiegel) hat verschiedene Bedeutungsveränderungen durchlaufen. Die Spekulation war zunächst eine erkenntnistheoretische Betrachtungsweise der Reflexion, durch die – wie in einem Spiegel – spiegelndes und gespiegeltes sich gegenseitig verstärken. Des weiteren war die Spekulation – im Gegensatz zur empirischen Praxis – das reine Denken über das Wesen der Dinge und ihre ersten Prinzipien. Später verlor die Spekulation in der Erkenntnistheorie an Bedeutung, wohl wegen der pragmatischen Fokussierung der Wissenschaften auf beobachtbare Tatsachen (Ebbersmeyer, Sabrina, »Spekulation«, in: Ritter, Joachim (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 9, 1972, S. 1355- S. 1372.). Schließlich gibt es noch jene produktive Form der »Spekulation«, die in den empirischen Wissenschaften dazu dient, vorübergehende Hypothesen zu formen, die dann späterer Überprüfung bedürfen, so bei Karl Popper in »Logik der Forschung«.
Im alltäglichen Verständnis jedoch wird der Spekulationsbegriff wesentlich vereinfacht: Die Spekulation bezeichnet das bloß Mögliche, das noch nicht Überprüfte, und schließlich im negativen Sinne auch Phänomene wie die »Börsenspekulation«. Der virtuelle Raum des CAD-Programms, in dem das Rendering entsteht, birgt schließlich beide Formen der Spekulation: Sowohl jene oben beschriebene »produktive« Form der Spekulation aus den empirischen Wissenschaften als auch jene »unproduktive« Spekulation, die nur Möglichkeiten, aber keine Realitäten beschreibt. Die Produktivität des Renderings besteht im virtuosen Umgang damit. Viele Gestalter beherrschen diesen virtuosen Umgang: Sie generieren unzählige Varianten, die bereits Oberfläche, Haptik und Proportion eines ausgearbeiteten Prototypen suggerieren, also das »Nachher« im »Vorher« abbilden. Aus diesen Varianten wird eine Auswahl getroffen, die dann realisiert wird.
So konkretisiert sich im Rendering zunächst einmal ein Gedanke. Man könnte sagen, ein Gedanke wird – im Sinne der Spekulation als Spiegel – verstärkt. Ist das Rendering jedoch alleiniges Mittel der Darstellung, so bleibt ein Entwurf im Stadium der »reinen« Spekulation, die dann nicht mehr produktiv ist. Denn das digitale toolkit verleitet dazu, sich den Restriktionen des Modellbaus zu entziehen, die dargestellten Konzepte werden beliebig, weil im Rendering möglich ist, was im Modell vermutlich noch nicht funktioniert. Von dem Entwurf selbst existiert dann zunächst einmal nur ein Bild, das nur vorgibt, einen »fertigen« Entwurf abzubilden. Man könnte nun argumentieren, der Gestaltungsprozess sei doch ohnehin von spekulativer Natur, denn Gestalter versuchen immerzu, das noch nicht Erprobte mittels Darstellungen übergangsweise sichtbar zu machen. Jedoch gewinnt die Spekulation eine völlig andere Dimension, wenn sie sich nur noch im digitalen Möglichkeitsraum abspielt, also wenn ein Entwurf niemals in der Realität ausprobiert wird.
Ziegel von Hand zeichnen?
Genau diese Problematik bemerkt auch Richard Sennett in seiner Schrift über den modernen Handwerker. Sennett beklagt, dass Architekten, die einen Entwurf am Rechner konzipieren und keine Handzeichnungen anfertigen, wesentliche Aspekte ihres Entwurfs aus den Augen verlieren. So zum Beispiel der Blick aus einem Fenster auf den Parkplatz, der später – in der Wirklichkeit – von Autos ganz verstellt ist. Das CAD-Programm scheint dem Architekten eigentlich nur dazu zu dienen, die Probleme eines Entwurfs zu verdecken, anstatt neue Erkenntnisse daraus zu gewinnen. »Was auf dem Bildschirm erscheint, ist auf eine Weise kohärent und vereinheitlicht, wie dies beim Betrachten eines realen Objekts ganz unmöglich wäre« (Sennett, Richard, Handwerk, Berlin 2009, S.61). In dieser Weise verschwindet schließlich der »zirkuläre Charakter« des Entwurfsprozesses, der sich in vielen Überarbeitungsschritten von Zeichnungen und Modellen vollzieht. An die Stelle dieses zirkulären Prozesses tritt eine virtuelle Darstellung, die niemals fertig ist, weil sie immer wieder verändert werden kann – also bloße Spekulation bleibt.
Sennett schlägt deshalb vor, selbst die mühsamste technische Zeichnung mit allen ihren Details wieder von Hand anzufertigen: »Die Ziegel von Hand zu zeichnen ist sicherlich äußerst langwierig, aber es bringt den Architekten dazu, über deren Materialcharakter nachzudenken und sich auf deren Festigkeit etwa im Unterschied zur leeren Fläche des Fensters auf dem Papier einzulassen.« (Sennett, Richard, Handwerk, Berlin 2009, S.60) Dieser Vorschlag wurzelt in Sennetts romantischer Vorstellung vom Handwerk, und ist deshalb zunächst einmal kritisch zu betrachten. So lautet eine der romantischen Thesen Sennetts, dass der Handwerker nach Qualität strebt und daneben die ökonomische Effizienz seiner Arbeit nicht im Vordergrund steht. Sennett nennt zwar, was den »falschen« Einsatz von CAD-Programmen angeht, einen wichtigen Punkt, nur besteht die Lösung des Problems eben nicht in der Rückkehr zum Zeichnen am Reißbrett. Digitale Werkzeuge stellen eine Erleichterung dar, durch sie wird eine besondere Form von Virtuosität überhaupt erst möglich: Man denke hier an generative Gestaltung.
Foto: www.troika.co.uk
Neue Denkweise der Spekulation
Tatsächlich finden die Gestalter selbst die besten Wege, die Grenzen zwischen »analog« und »digital« auszuloten und das den Werkzeugen selbst schon eingeschriebene spekulative Potential zu nutzen: So das britische Designtrio »TROIKA«, das den virtuosen Umgang mit den digitalen Möglichkeiten pflegt. Deren Arbeit »Cloud« (2008) ist ein Objekt, das zunächst einmal direkt aus dem Rechner zu stammen scheint. Die Oberfläche der »Cloud« ist bedeckt mit tausenden münzenartigen Metallplättchen, die allesamt beweglich sind. Die Bewegung der Plättchen wird, gleich Pixeln auf einem Bildschirm, von einem eigens hierfür geschriebenen Programm gesteuert. Die Plättchen bilden Muster, es entstehen schwarmartige Formationen auf der Oberfläche des Objekts. Der letztendlich realisierten Version der »Cloud« gingen viele Versuche voraus. Nicht nur ist hier der Wechsel zwischen digital und analog gelungen, auch das Objekt an sich ist digital und analog zugleich, es ist gewissermaßen ein dreidimensionaler Screen, der aber auch seinen Platz in der ganz »realen« Welt der Gegenstände hat. Könnte es also sein, dass Gestalter nun eine völlig neue Denkweise der Spekulation praktizieren, die durch die digitalen Werkzeuge ermöglicht wird?