Kritik - Biutiful

Erstellt am 14. November 2013 von Tobias Lischka @tobe781

"A la muerte, ni temerla ni buscarla, hay que esperarla." - (Den Tod braucht man weder zu fürchten noch zu suchen, man muss darauf warten).

Es gibt wohl einen kaum vergleichbareren, zeitgenössischen Regisseur wie Alejandro González Inárritu, der es versteht, die von uns unbemerkten Geschehnisse des Alltags, welche vor allem unsere Mitmenschen betreffen, dem Publikum in all ihren Facetten und der damit verbundenen Tragik zu verdeutlichen. So das diese sich ins kollektive Gedächtnis brennen. Schon in seinem Ensemble - Drama "Babel" verstand es Alejandro González Inárritu in meisterhafter Art und Weise dem Publikum zu schildern, welche erschreckend-kausalen Zusammenhänge bzw. Wechselwirkungen in unserer Gesellschaft durch die unüberlegte Wahl unserer Mittel zum täglichen miteinander für uns selbst oder unsere Mitmenschen entstehen können. Die Menschen wurden in "Babel" durch äußere Einflüsse der Gesellschaft als auch durch ihr eigenes Seelenleben allmählich unfähig dazu, richtig miteinander kommunzieren zu können.  Und  weil Alejandro González Inárritu auch mit "Biutiful"auf die Eröffnung so mancher Handlungsstränge wertlegt, sind die inszenatorischen Parallelen zu seinem meisterhaften Episoden-Drama "Babel" unübersehbar.

"A cada cerdo le llega el San Martín." -  (jeder Missetäter bekommt einmal seine Strafe).

Leider trifft das auch auf den Protagonisten Uxbal (grandios: Jarvier Bardem) zu, der zwar das Herz am sprichwörtlichen, rechten Fleck trägt, aber in seinem Leben vielleicht unüberlegt gehandelt hat, als er einst eine Karriere  als Kleinkrimineller einschlug, um seine Familie über die finanziellen Runden bringen zu können. Vielleicht ließ ihm das Schicksal auch einfach keine andere Wahl, vielleicht hat er nie einen anständigen Beruf erlernt. Oder falls er einen vernünftigen Beruf ausgeführten hat, hat er diesen irgendwann verloren. Und danach keine Arbeit mehr gefunden, so dass er ins kriminelle Milieu abrutschte... Alejandro González Inárritu lässt das Publikum in "Biutiful" bewusst im Unklaren darüber, was mit Uxbal geschehen ist, appelliert also stets an die Mündigkeit des Publikums, die gestellten Fragen adäquat beantworten zu können.  Und somit offenbart sich die thematische Komplexität des zu Grunde liegenden Stoffes, mit welchem wieder einmal das schon in "Babel" zu spürende, emotional- schwere Gewicht verbunden ist. Welches das Publikum sukzessive, je weiter man der Erzählung voranschreitet, erdrückt. Bis man am Ende nach aller Tristesse und wahrer, zwischenmenschlicher Tragik keine Gelegenheit mehr dazu erhält, tief Luft zu erholen. Außer Uxbal selbst, wenn dieser im Prolog und vor Einrollen der Endcredits eiseskalt ein- und ausatmen darf. Und erlöst ist.  

"Cosecharás tu siembra." - (Man erntet was man sät).

Schicksale wie das des Kleinkriminellen Uxbal sind in unserer Gesellschaft keine Ausnahme. Wir verschließen leider allzuoft die Augen vor Armut, Krankheiten, sozialem Elend  unserer Mitmenschen  Wir wollen diese Dinge einfach nicht "bewußt" wahrnehmen. Viele Menschen haben einfach niemals richtig gelernt, mit der stetig präsenten Angst vor dem Schicksal Uxbals, mit dem auch ein sozialer Niedergang verknüpft ist, umzugehen. Alejandro González Inárritu entwirft, um diesen Niedergang zu verdeutlichen, eines der wohl faszinierensten und gleichzeitig abstoßensten Untergrund-Alltags-Porträts der modernen spanischen Gesellschaft. Und die spanische Haupstatdt Barcelona wird zu diesem Zweck in den Mittelpunkt gerückt. Verschiedene Teile dieser Stadt wirken eher wie der entworfene, inszenierte Vorort zur Lebenshölle. Die mit dieser zwischenmenschlichen Hölle verbundenen Lebensphilosophien, ethischen Werte, die zu erlebende Manipulierbarkeit einzelner Person wie beispielsweise Ana (Hanna Bouchaib), Mateo (Guillermo Esterella), Marambra (Maricel Álvarez) ), Tito (Eduard Fernández) , welche alles dafür tun würden um zu überleben als auch die damit verbundenen Emotionen, welche in "Biutiful" zum tragen kommen, zeugen von einer enormen Bandbreite, Wechselwirkung und Anziehungskraft auf das Publikum. Denn auch den hässlichen Seiten des Lebens ist eine gewisse Schönheit immanent.




"Aus dir Uxbal, strömt Blut hervor. Du hälst den Schmerz kaum noch aus. Und du hast nicht mehr lange zu leben, empfindest dies aber irgendwie als ausgleichende Gerechtigkeit.  Du hast das Leben vieler Menschen zerstört, sie auf dem Gewissen. Ihre gequälten Seelen suchen dich im Schlaf heim. Und wenn du die Augen aufmachst, siehst du sie an deiner Zimmerdecke. Aber eigentlich bist du doch kein schlechter Mensch, Uxbal. Das Leben ist schlimm und meinte es nicht gut mit dir. Du würdest deine Taten gernen rückgängig machen, kannst es aber nicht. Und mußt dich mit deiner Schuld abfinden und alles dafür tun, das es deinen Kindern an nichts mangeln wird. Sie sollen deine Fehler im Leben nicht wiederholen. Mit der hässlichen Seite des Lebens ist auch die Schönheit verbunden. Von der deine Kinder alles abbekommen sollen.  Und deswegen beseitige das vorhandene Chaos deines Lebens. Streng dich an, auch wenn dein Körper nicht mehr richtig dazu in der Lage ist. Dann hast du alles richtig gemacht. Und so kannst du auch mit dir selbst deinen inneren Frieden schließen. Und endlich von dieser zerrissenen Welt gehen, das letzte Rauschen vernehmen, dort wo die Zeit aufgehört hat zu existieren." - 

In seiner ganzen Trostlosigkeit und den stärksten Momenten offenbart sich "Biutiful" als Angst einflößender und mitreißender Film, der sich entgegen einigen  landläufigen Meinungen nicht als zu "konstruiert" / reißbrettartig inszeniert erweist. Denn für jeden Missetäter folgt die Strafe auf dem Fuße, jeder ist für sein Tun und Handeln selbst verantwortlich und wird von seiner Vergangenheit in Form des Schicksals irgendwann wieder eingeholt. Egal ob gesundheitlich oder wirtschaftlich. Man muß bei verantwortungslosem Handeln mit den entsprechenden Konsequenzen rechnen, Uxbals trägt ja z.B. eine schwere Verantwortung für eine große Anzahl an eingeschleusten Gastarbeitern.  Alejandro González Inárritu stellt sein Existenzial-Drama "Biutiful" mit bis zum Rande gefüllten Lebensweisheiten aus , welche bei mehrfacher Sichtung nach und entdeckt werden müssen.

Fazit: Auf Grund eines feinen Darsteller-Ensembles, welches die auf das Publikum einstürzenden schwierigsten, härtesten und emotionalsten Passagen scheinbar mühelos meistert als auch brillanter Bilder von Rodrigo Prieto, einem erstklassigem Schnitt und dem Drehbuch, das Alejandro González Inárritu zusammen mit Armando Bo und Nicolás Giacobone entworfen hat, das eine realistische Geschichte über Verlierer, Lebenslügner, Betrüger, Betrogene und trotz aller Widrigkeiten am Leben festhaltende Menschen erzählt, darf man mit einem hevorragendem Charakter-und Existenzialdrama vorliebnehmen, welches lediglich kleine Schwächen auf Grund einiger weniger Längen und der Vorhersehbarkeit des finalen Ausgangs aufweist. 

Wertung: 9/10 Punkte