Der Bürgerkrieg in der Ostukraine droht beständig, auf den Rest der Welt überzuschwappen. Der Ruf nach immer härteren Sanktionen gegen das nominell unbeteiligte Russland, der sich verstärkende ökonomische Druck bestehender Sanktionen und die völlig außer Kontrolle befindliche militärische Situation, die weder von Russland noch vom Westen mehr eingedämmt werden kann, sind nur einige der Faktoren, die wie Brandbeschleuniger wirken. In der öffentlichen Diskussion florieren gerade historische Vergleiche, besonders mit 1914 und 1938. Erstere sind unter den vorsichteren Diplomaten beliebt, die vor einer Kettenreaktion mit anschließendem Weltkrieg warnen, während 1938 gerade besonders bei den Falken in Mode kommt, die vor "Appeasement" gegen Russland warnen. Was aber ist an diesen Vergleichen, und besteht eine tatsächliche Kriegsgefahr?
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Beschäftigen wir uns erst mit den Vergleichen. Der besonders auf der Seite der amerikanischen Neocons aufkommende Vergleich mit 1938 entbehrt jeglicher Grundlage. Russland ist nicht Nazi-Deutschland und ist auch nicht Iran oder Nordkorea. Atomwaffen haben die Russen seit 1949, und ein Rogue State sind sie auch nicht. Dazu kommt, dass niemand bereit ist, ihnen etwas zu geben, anders als Chamberlain 1938. Die russische Annexion der Krim ist vom Westen nicht anerkannt (und wird das sicher auch nicht), ganz egal wie viele russischsprachige Menschen dort wohnen. Es gibt keinen Vertrag mit Putin, wie es in München einen mit Hitler gab. Die Parallele ist daher völliger Unsinn. Ernstzunehmender ist da schon der 1914-Vergleich. Ein Konflikt an der Peripherie Europas bringt die Großmächte zu immer schärferen Statements, Truppen werden mobilisiert und rote Linien gezogen. Formelle Kriegserklärungen und wie Dominosteine fallende Allianzsysteme allerdings suchen wir vergebens. Die Ukraine ist nicht Mitglied in NATO oder EU, und Putin dürfte clever genug sein, seine Hände von den baltischen Staaten und Polen zu lassen. Die größte Gefahr entsteht daher aus einer Eskalation des lokalen ukrainischen Konflikts, der sich bislang eher wie ein klassischer Stellvertreterkrieg des Kalten Krieges als wie der Erste oder Zweite Weltkrieg verhält. Die eigentliche Gefahrenquelle ist das perverse Anreizsystem für die beiden ukrainischen Kriegsparteien. Sowohl die Separatisten als auch die ukrainische Regierung in Kiew haben nämlich ein Interesse an der Eskalation, wenngleich dieses bei den Separatisten grundsätzlich größer ist. Eine Eskalation des Konflikts bedeutet Unterstützung durch den jeweiligen Partner - und diese Unterstützung können beide Seiten gut gebrauchen. Die Separatisten benötigen vor allem die militärischen Mittel, die es ihnen erlauben, den Krieg gegen die Ukraine nicht zu verlieren. Je länger sie aushalten, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Status Quo irgendwann anerkannt wird und Kiew sich aus Erschöpfung auf die Forderungen einlässt. Kiew seinerseits muss diese Unterstützung so begrenzt wie möglich halten, was nach dem Beispiel der Krimkrise faktisch bedeutet, dass der Westen seine Grenzen garantiert und dem Gesamtstaat Legitimität verschafft. Jede weitere Hilfe ist Kiew natürlich willkommn, aber die Legitimation bleibt der zentrale Punkt, weil sie Russland von einer offenen Unterstützung und eventuell sogar Intervention abhält. Beide Parteien, der Westen wie Russland, geben diese Unterstützung. Westliche Truppen sind in den Nachbarländern (vor allem Polen und den baltischen Staaten) stationiert worden, eine eindeutige Drohgeste gegen Putin, und die westlichen Nachrichtendienste arbeiten eng mit Kiew zusammen (bis hin zum Legen einer Echtzeitleitung von Satellitenbildern). Russland dagegen versorgt die Separatisten mit Waffen und dem nötigen Know-How sie zu benutzen und bietet ihnen vermutlich auch einen Rückzugsort im Grenzgebiet. Diese Situation bietet gewaltigen Spielraum für Eskalationen. Die Ukraine hat bereits russisches Territorium beschossen (und umgekehrt), eine Zivilmaschine wurde versehentlich abgeschossen und NATO Truppen patroullieren direkt im Grenzgebiet (von den erwähnten Basen in Polen und im Baltikum aus). Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenst0ßes massiv. Auf der anderen Seite wirken aber auch deeskalierende Kräfte, wie es sie 1914 überhaupt nicht gab. Der Westen bereits mehrfach verkündet, keine militärischen Optionen zu verfolgen. Diese Botschaft dürfte weniger an Russland denn an die Regierung in Kiew gerichtet sein und ist auch dringend notwendig. Kiew darf keinesfalls die Hoffnung haben, die Belgrad 1914 hatte: dass seine großen Freunde schon helfen würden, wenn man die Lage eskalieren lässt. Sollte der Konflikt seitens der Ukraine weiter eskalieren, darf es keinesfalls zu einer automatischen Verwicklung des Westens kommen. Diese Aussage sollte in aller Klarheit formuliert werden. Andererseits aber ist es auch nicht möglich, eine westliche Intervention kategorisch auszuschließen, denn in diesem Fall würde nichts mehr Putin von einer Intervention abhalten. Der russische Präsident droht bereits jetzt unverhohlen mit einem weiteren Engagement und verwendet dazu genau die Waffen, die bisher der Westen hatte: er erklärt einen humanitären Notstand in der Ostukraine, dem abgeholfen werden müsse, um eine Katastrophe zu vermeiden. Nicht nur aus dem Kosovokrieg kommt einem diese Argumentation bekannt vor. Und hier befinden wir uns denn auch im Nebel des Krieges. Wenn der Konflikt weiter eskaliert - werden Russland oder der Westen intervenieren? Der Ball liegt hierbei in Putins Seite des Spielfelds. Der Westen hat ausgeschlossen, unter den gegebenen Umständen Truppen in die Ukraine zu entsenden, Putin nicht. Der Westen hat kein existenzielles Interesse an der Ukraine, Russland inzwischen schon. Der Einsatz für Russland, zumindest der wahrgenommene, ist höher als für den Westen. Der kann aber eine Zerstückelung der Ukraine auch nicht einfach hinnehmen. In der Unsicherheit darüber, welche Seite wie weit zu gehen und was zu tolerieren bereit ist, liegt die große Gefahr.
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Beschäftigen wir uns erst mit den Vergleichen. Der besonders auf der Seite der amerikanischen Neocons aufkommende Vergleich mit 1938 entbehrt jeglicher Grundlage. Russland ist nicht Nazi-Deutschland und ist auch nicht Iran oder Nordkorea. Atomwaffen haben die Russen seit 1949, und ein Rogue State sind sie auch nicht. Dazu kommt, dass niemand bereit ist, ihnen etwas zu geben, anders als Chamberlain 1938. Die russische Annexion der Krim ist vom Westen nicht anerkannt (und wird das sicher auch nicht), ganz egal wie viele russischsprachige Menschen dort wohnen. Es gibt keinen Vertrag mit Putin, wie es in München einen mit Hitler gab. Die Parallele ist daher völliger Unsinn. Ernstzunehmender ist da schon der 1914-Vergleich. Ein Konflikt an der Peripherie Europas bringt die Großmächte zu immer schärferen Statements, Truppen werden mobilisiert und rote Linien gezogen. Formelle Kriegserklärungen und wie Dominosteine fallende Allianzsysteme allerdings suchen wir vergebens. Die Ukraine ist nicht Mitglied in NATO oder EU, und Putin dürfte clever genug sein, seine Hände von den baltischen Staaten und Polen zu lassen. Die größte Gefahr entsteht daher aus einer Eskalation des lokalen ukrainischen Konflikts, der sich bislang eher wie ein klassischer Stellvertreterkrieg des Kalten Krieges als wie der Erste oder Zweite Weltkrieg verhält. Die eigentliche Gefahrenquelle ist das perverse Anreizsystem für die beiden ukrainischen Kriegsparteien. Sowohl die Separatisten als auch die ukrainische Regierung in Kiew haben nämlich ein Interesse an der Eskalation, wenngleich dieses bei den Separatisten grundsätzlich größer ist. Eine Eskalation des Konflikts bedeutet Unterstützung durch den jeweiligen Partner - und diese Unterstützung können beide Seiten gut gebrauchen. Die Separatisten benötigen vor allem die militärischen Mittel, die es ihnen erlauben, den Krieg gegen die Ukraine nicht zu verlieren. Je länger sie aushalten, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Status Quo irgendwann anerkannt wird und Kiew sich aus Erschöpfung auf die Forderungen einlässt. Kiew seinerseits muss diese Unterstützung so begrenzt wie möglich halten, was nach dem Beispiel der Krimkrise faktisch bedeutet, dass der Westen seine Grenzen garantiert und dem Gesamtstaat Legitimität verschafft. Jede weitere Hilfe ist Kiew natürlich willkommn, aber die Legitimation bleibt der zentrale Punkt, weil sie Russland von einer offenen Unterstützung und eventuell sogar Intervention abhält. Beide Parteien, der Westen wie Russland, geben diese Unterstützung. Westliche Truppen sind in den Nachbarländern (vor allem Polen und den baltischen Staaten) stationiert worden, eine eindeutige Drohgeste gegen Putin, und die westlichen Nachrichtendienste arbeiten eng mit Kiew zusammen (bis hin zum Legen einer Echtzeitleitung von Satellitenbildern). Russland dagegen versorgt die Separatisten mit Waffen und dem nötigen Know-How sie zu benutzen und bietet ihnen vermutlich auch einen Rückzugsort im Grenzgebiet. Diese Situation bietet gewaltigen Spielraum für Eskalationen. Die Ukraine hat bereits russisches Territorium beschossen (und umgekehrt), eine Zivilmaschine wurde versehentlich abgeschossen und NATO Truppen patroullieren direkt im Grenzgebiet (von den erwähnten Basen in Polen und im Baltikum aus). Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenst0ßes massiv. Auf der anderen Seite wirken aber auch deeskalierende Kräfte, wie es sie 1914 überhaupt nicht gab. Der Westen bereits mehrfach verkündet, keine militärischen Optionen zu verfolgen. Diese Botschaft dürfte weniger an Russland denn an die Regierung in Kiew gerichtet sein und ist auch dringend notwendig. Kiew darf keinesfalls die Hoffnung haben, die Belgrad 1914 hatte: dass seine großen Freunde schon helfen würden, wenn man die Lage eskalieren lässt. Sollte der Konflikt seitens der Ukraine weiter eskalieren, darf es keinesfalls zu einer automatischen Verwicklung des Westens kommen. Diese Aussage sollte in aller Klarheit formuliert werden. Andererseits aber ist es auch nicht möglich, eine westliche Intervention kategorisch auszuschließen, denn in diesem Fall würde nichts mehr Putin von einer Intervention abhalten. Der russische Präsident droht bereits jetzt unverhohlen mit einem weiteren Engagement und verwendet dazu genau die Waffen, die bisher der Westen hatte: er erklärt einen humanitären Notstand in der Ostukraine, dem abgeholfen werden müsse, um eine Katastrophe zu vermeiden. Nicht nur aus dem Kosovokrieg kommt einem diese Argumentation bekannt vor. Und hier befinden wir uns denn auch im Nebel des Krieges. Wenn der Konflikt weiter eskaliert - werden Russland oder der Westen intervenieren? Der Ball liegt hierbei in Putins Seite des Spielfelds. Der Westen hat ausgeschlossen, unter den gegebenen Umständen Truppen in die Ukraine zu entsenden, Putin nicht. Der Westen hat kein existenzielles Interesse an der Ukraine, Russland inzwischen schon. Der Einsatz für Russland, zumindest der wahrgenommene, ist höher als für den Westen. Der kann aber eine Zerstückelung der Ukraine auch nicht einfach hinnehmen. In der Unsicherheit darüber, welche Seite wie weit zu gehen und was zu tolerieren bereit ist, liegt die große Gefahr.