WEIMAR. (fgw) Wer wie der Rezensent einige Jahre nach dem Ende des II. Welkrieges geboren und in der Zeit deutscher Zweistaatlichkeit aufgewachsen ist, der ist zum Glück von Kriegen und staatlich befohlenen Kriegseinsätzen fern in fremden Landen verschont geblieben. Erst mit dem Übergang ins 21. Jahrhundert ist das nun doch wieder deutsche Normalität geworden. Über das Leiden der Menschen in den überfallenen (“humanitär befreiten”) Länder gibt es kaum Zweifel, auch wenn diese in den Mainstreammedien nur am Rande, als unerhebliche Kollateralschäden, vorkommen. Noch nicht so sehr ins Bewußtsein gelangt ist, daß auch die “Befreiungskrieger” und Besatzer in Massen Schaden nehmen – ganz im Gegensatz zu ihren politischen Auftraggebern und einer anfeuernden Journaille.
Über die Vorgeschichte der fast minutiös beschriebenen vier Tage gibt der in der afghanischen Provinz Kunduz handelnde Prolog Auskunft: Auf einer Patrouillen- und Versorgungstour waren Daniel und seine Männer in einen Hinterhalt geraten und fast alle zu Tode gekommen. Da er für diese Männer verantwortlich zeichnete, leidet er unter erheblichen Belastungsstörungen, kann kein normales Leben mehr führen. Geschlossene Räume sind für ihn Horror geworden und so campiert er Tag und Nacht unter freiem Himmel in seinem Garten. Kein Wunder, wenn da auch seine Ehe in die Brüche gegangen ist.
Regelmäßige Konsultationen bei einem Psychotherapeuten und ein feststrukturiertes selbstauferlegtes tägliches Trainingsprogramm sollen ihm helfen, mit seiner Lage, mit seiner seelischen Verfassung ins Reine zu kommen.
Doch an einem Dienstag, während seines planmäßigen Geländelaufes, entdeckt er eine tote Frau, in einem Teich liegend. Er ruft die Polizei, gerät dabei aber sofort selbst unter Verdacht. Sowohl die Polizei als auch Daniel und sein Freund Maik stoßen bald auf zwei ähnliche Frauenmorde in anderen Städten. Schließlich gibt es in seinem persönlichen Umfeld noch einen weiteren Toten, aufgefunden wiederum von Daniel. Weitere mysteriöse Vorfälle lassen ihn immer verdächtiger erscheinen und auch er selbst beginnt, an sich zu zweifeln. Ist es möglich, daß sein Trauma zur Schizophrenie geführt hat und er zum Killer wurde, der sich aber an nichts mehr erinnern kann?
Daniel beginnt zu recherchieren, im Internet, kommt aber lange auf keine Lösung. Der Mittwoch und der Donnerstag werden zu einem wahren Horrortrip für ihn, vergleichbar mit der unüberschaubaren Lage in Afghanistan und den dortigen Hinterhalten mit einem unsichtbaren Feind.
Erst am Freitag verdichten sich nach der Entführung seiner kleinen Tochter Beobachtungen und Hinweise. Daniel erkennt nun glasklar, wer der Mörder ist, welches dessen Motive sind, andere Menschen zu töten. Und jeglichen Verdacht auf Daniel zu lenken. Um das Leben seiner Tochter zu retten, nimmt Daniel jedes Risiko auf sich – obwohl er keine Chance hat, selbst mit dem Leben davonzukommen. Im Kriegsgebiet Afghanistan mit den dortigen unsichtbaren Gegnern dem Tode entronnen, wird er wohl hier dem Tod durch einen sichtbaren und zu allem entschlossenen Feind nicht entrinnen können…
Die Spannung, der Thrill, dieses Buches machen keine Action-Szenen aus. Sie baut sich auch nicht durch billige, oberflächliche Effekte auf. Sondern einzig allein aus dem Erzähl- und Sprachstil des Autors. Kurze, kürzeste, präzise Sätze zeichnen, beschreiben den tragischen Helden als professionellen Soldaten – in seinem Denken, Fühlen und Handeln. Selbst die Beschreibung körperlicher Anspannungen fügt sich hier ein.
Ja, gerade durch Sprangers Schreibstil gewinnt Daniel an Kontur, wird zu einem glaubhaften Charakter: ungekünstelt, wirklichkeitsnah, geradlinig.
Sein Trauma spiegelt sich auch in seinen täglichen Alpträumen wider. Und so bekommt der Leser realistische und daher um so beklemmendere Einblicke in die Psyche eines “Psychos” (“Aus dem Scheißafghanistan kommst du nicht mehr heraus.” S.166). Denn leider werden diese Opfer von Kriegen fernab der Heimat von ihrer Umgebung meist als solche angesehen.
Unbedingt genauer sollte man einige Reflexionen Daniels auf Seite 126 lesen. Hier beschreibt er seine Beobachtungen von Besichtigungstouren geschniegelter deutscher Bundestagsabgeordneter bei “ihren” Soldaten und deren Sich-Danach-Spreizen als Experten im sicheren heimischen Berlin vor Mikrofonen (und Kameras) der staatstragenden Medien.
Dem kleinen, aber hoch ambitionierten Bookspot-Verlag ist mit diesem Buch in der neuen “Edition 211″ abermals ein großer Wurf gelungen. Es ist ein notwendiges Buch, ein aufklärerisches Buch – und zugleich voller packender Spannung. Es hilft, Menschenrechtskriege, “humanitäre Interventionen” zu hinterfragen. Und das ganz ohne Ideologie und Propaganda oder Gutmenschentum. Nur aus den Fakten einer zwar fiktiven, aber nicht unwahrscheinlichen Geschichte heraus.
Daß Roland Spranger (Jg. 1963) solch ein inhaltlich wie stilistisch gelungenes Buch schreiben konnte, liegt vielleicht auch in seinem Beruf begründet: Er arbeitet als Betreuer in Wohneinrichtungen für psychisch kranke Menschen.
Roland Spranger: Kriegsgebiete. Thriller. 224 S. Hardcover m. Schutzumschl. Edition 211 im Bookspot-Verlag München 2012. 14,80 Euro. ISBN 978-3-937357-54-6
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]