"Krieg, Krieg, Krieg!"

Österreich-Ungarns Generalstabschef Franz von Conrad von Hötzendorf drängt zum Militärschlag gegen Serbien

Für die üblichen diplomatischen Floskeln fehlt die Zeit. Als der österreichische Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf am  29. Juni 1914 (heute vor 100 Jahren) nach seiner eiligen Rückreise vom Balkan das Wiener Außenministerium am Ballhausplatz betritt, hat er nur ein Ziel: Conrad will Krieg, um die nach einer ganzen Serie von politischen und militärischen Niederlagen angezählte Donaumonarchie vor dem Untergang zu bewahren. Deshalb spricht er von Anfang an Klartext mit dem für gewöhnlich zaudernden und zögernden Außenminister Graf Leopold von Berchtold: „Der von Serbien gebilligte Mord ist ein Kriegsgrund“, bellt er den Minister an, „wir müssen sofort mobilisieren!“

Franz Conrad von Hötzendorf wird am 11. November 1852 bei Wien geboren. Seine Familie hat sich durch jahrzehntelangen und gehorsamen Dienst in der Verwaltung und im Militär die Gunst der Habsburger (und den Adelstand) erworben. Franz wächst in einer Soldatenfamilie auf. Sein Vater hat im Kampf gegen die Revolution von 1848 eine schwere Verletzung davon getragen – und verbringt als Invalide viel Zeit mit seinen Kindern. Gefördert und gedrillt durch die wesentlich jüngere, aber energische und prinzipientreue Mutter zeichnet sich Conrads eigene Berufung zum Offizier früh ab: Mit der Kadettenschule beginnt eine vom Ehrgeiz domonierte Karriere, die ihn über die üblichen Beförderungen und Frontbewährungen an die Spitze des Generalstabs führt. Die militärische Laufbahn von Conrad von Hötzendorf ist  gewissermaßen eine biografische Vorgeschichte der Julikrise:

Sein erster Kriegseinsatz ist die österreichische Bosnien-Besetzung von 1878 (noch mit Europas Zustimmung). Während der eigenmächtigen Annexion 1908 ist er bereits an der Spitze des Generalstabs. Dazwischen liegen drei Jahrzehnte, in denen Conrad über kulturpessimistischen und sozialdarwinistischen Bücher brütet, bis er selbst zum geachteten Autor militärstrategischer Schriften avanciert. Darüber verfestigt sich bei Conrad die Überzeugung, dass nur ein Offensivkrieg beweisen kann, dass die Donaumonarchie noch stark genug ist, um als europäische Großmacht ernstgenommen zu werden. „Serbien und Rumänien werden die Nägel zu ihrem Sarg werden – Russland wird beide dabei kräftig unterstützen; es wird ein aussichtsloser Kampf werden, dennoch muss er geführt werden, da eine so alte Monarchie und eine so glorreiche Armee nicht ruhmlos untergehen können.“

Diese Analyse schreibt Conrad von Hötzendorf allerdings privat, und zwar an seine zweite Frau Gina. Um sie hat er einen Eroberungs- und jahrelangen Belagerungskrieg geführt, der seinesgleichen sucht. Gina hat einen Ehrmann und sieben Kinder, als ihr Conrad seine Liebe gesteht. Gina fühlt sich geschmeichelt, bleibt aber vorerst bei ihrer Familie. Solange sich die Angebetete seinem Werben widersetzt, spricht Conrad sie in einem geheimen „Tagebuch der Leiden“ an, das Zeugnis geben soll „von meiner unbegrenzten, glühenden, verzweifelnden Liebe zu Dir, Du mein abgöttisch verehrter und geliebter, herzensguter Engel!“ Nur wenig zurückhaltender sind die Briefe, die er Gina schreibt - Mann hin oder her. Mit solchen Charmeoffensiven gewinnt Conrad den Liebeskrieg und führt Gina nach einer kaum verheimlichten Liaison vor den Traualtar. Seine Unnachgiebigkeit hat sich durchgesetzt.

All‘ das ist in Wien stadtbekannt und man weiß auch, dass der Generalsstabschef beruflich genau so kompromisslos vorgeht. Deshalb kann seine aggressive Kriegsforderung den Außenminister nicht überraschen. Zwar kann sich Conrad in sieben Sprachen verständigen (im Vielvölkerreich nicht unwichtig), aber politisch-militärisch spricht er nur eine Sprache: die der Konfrontation Seit Jahren drängt Conrad auf einen Präventivschlag gegen Serbien (wahlweise auch Montenegro, Rumänien und Russland). Allein im vergangenen Jahr hat er sage und schreibe 25 Mal für ein militärisches Losschlagen geworben. Zwischenzeitlich musste er sogar seinen Posten räumen, weil der Kaiser genug hatte von seinem Falken. Dieses Mal aber hat Conrad mit der Ermordung Franz Ferdinands einen Anlass, den auch Außenminister Berchtold kaum leugnen kann. Allerdings setzt der Minister auf diplomatische Lösungen: „Ich habe mir ein anderes Vorgehen zurechtgelegt“, sagt er demonstrativ gelassen und bremst damit den Feuereifer des Generalstabschefs aus. „Wir stellen an Serbien die Forderung, gewisse Vereine aufzulösen, den Polizeiminister zu entlassen und dergleichen.“ Conrad weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. „Den Polizeiminister werden die Serben ruhig wegschicken, das wirkt gar nichts“, erwidert er barsch, „zu wirken vermag nur die Gewalt!“ Als ob Berchtold noch nicht verstanden hätte, ruft ihm Conrad noch im Gehen zu: „Krieg, Krieg, Krieg!“ Zurück bleibt ein frustrierter Berchtold. Denn was Conrad noch nicht weiß: Schon vor ihrer Besprechung hat der ungarische Ministerpräsident Istvan Tisza auf Berchtold eingeredet – und Tisza will eine militärische Auseinandersetzung um jeden Preis verhindern… Wie er das anstellt, davon erzählt das Eulengezwitscher morgen.

Eulengezwitscher-Leseempfehlung zu Franz Conrad von Hötzendorf

Wolfram Dornik

Des Kaisers Falke

Wirken und Nach-Wirken von Franz Conrad von Hötzendorf

Erschienen im Studien Verlag im Dezember 2013. 280 Seiten kosten in der gebundenen Ausgabe 24,90 €.


Für die meisten Biografen ist Franz Conrad von Hötzendorf der Buhmann der Julikrise. "Architekt der Apokalypse" hat ihn beispielsweise Lawrence Sondhaus genannt. Auch die der jüngst erschienenen Conrad-Biografie von Wolfram Dornik legt sich bereits im Untertitel fest: "Des Kaisers Falke" sei Conrad von Hötzendorf gewesen. Dennoch bestehen zwischen beiden (Vor-)Urteilen erhebliche Unterschiede, denn Dornik hält sich in Sachen Schuldzuweisung zurecht zurück. Er stellt Conrad von Hötzendorf nicht an den Pranger, sondern in seine Zeit: Die familiäre Prägung kommt ebenso zur Geltung wie der um die Jahrhundertwende gesamteeuropäisch akzeptierte Maßstab, in dem Krieg ein Mittel der Politik ist. Überhaupt konzentriert sich Dornik auf die großen politischen und militärischen Zusammenhänge, in denen Conrad  zu sehen ist. Das ist zweifellos eine berechtigte Perspektive, die viel beträgt zum Verständnis der nationalen und internationalen Verwicklungen, die sich in der Julikrise unlösbar ineinander verknoten. Für eine Biografie kommen allerdings manche Persönlichkeitsmerkmale etwas zu kurz: Die  merkwürdige Mischung aus Agresssivität, pathetischer Verkrampftheit und blinder Hingabe, die sich im Werben um Gina zeigen - und die sich im Generalstab in gewisser Weise fortsetzen. Lediglich formal sind dagegen manche Mängel im Lekorat zu beanstanden (z. B. angefangene Sätze, die abrupt abbrechen und anders formuliert neu beginnen). Dessen ungeachtet leistet Dorniks Conrad-Biografe einen nicht unerheblichen Beitrag zur Julikrisen-Diskussion: Die wichtigsten Studien (beispielsweise die Bücher von Christopher Clark und Sean Mceekin) sind penibel darauf bedacht, die jeweiligen Handlungsoptionen aller Großmächte gleichermaßen zu berücksichtigen und dem Leser das ganze Bild zu zeigen. Am Beispiel des beruflichen Wirkens des österreichischen Generalsstabschefs lässt  sich Dornik durchgängig auf einen Akteur ein: Er zeichnet ein gelungenes Bild der Bedürfnisse und Zwänge der Donaumonarchie gewissermaßen aus der Innenperspektive - das zeigt den dramatischen Druck, der auf einzelen Person gelastet hat, möglicherweise noch deutlicher. Angesichts dessen hätte aber auch eine stärker akzenturierte Persönlichkeitsanalyse weiteren Aufschluss gegeben...

Eulengezwitscher-Extra zur Julikrise weiterzwitschern:


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