Ich stehe in der Menschenschlange vor dem Amt zur Unterdrückung subproletarischer Selbsttätigkeit. Missmutig blicke ich in die verhärmten Gesichter der anderen Arbeitsdronen auf Abruf und grusele mich bei dem Gedanken an die Gedanken in ihren Köpfen. Das dumme Schwein am Schalter geht mir mit seiner monotonen Stimme gehörig auf den Geist. „Der Nächste bitte… der Nächste bitte…“. Der Sicherheitsmensch der gelangweilt den Gang auf und ab dackelt, ist noch jung. Ich frage mich mit welchem bitteren Cocktail an Alltagsideologien er es vermag, sich in der Bewusstlosigkeit zu halten die nötig ist, um eine solche stumpfsinnige Tätigkeit verrichten zu können: Sicherheitsmann auf dem Arbeitsamt. Es ist stickig. 30 Grad und kein geöffnetes Fenster. Noch einmal überdenke ich meine alte Phantasie, mit der ich mich schon während der Ausbildung über manch bleierne Stunde gerettet habe. Doch leider steht es mit schnellem Sex mit der Vorgesetzten schlecht. Nachdem ich meiner Sachbearbeiterin, anlässlich des letzten Motivations- und Propagandagespräches, mitgeteilt habe: „es ist peinlich für sie das sie so ein dummes Zeug geschwätzt haben und es ist peinlich für mich das ich zugehört habe“, ist an Sex kaum zu denken. „Ich glaube sie wollen gar nicht arbeiten“, hat sie gesagt, kurz bevor ich die Tür ihres Büros hinter mir zuknallen ließ.
„Der nächste bitte“. Ich rücke einen Platz in der Schlange nach vorne, mein Gedankenkarussel dreht sich weiter und hält jäh inne bei einer alten Idee: Ich befinde mich in einem gnadenlosen Wettstreit, in einem Krieg. Jedes Mal wenn der Staat und seine menschlichen Ausführungsorgane es schaffen, mir ihren Blödsinn aufzudrücken, bekommen sie einen Punkt. Wenn sie mir außerhalb der Routine des Äquivalententauschs Geldwertzeichen aus der Tasche ziehen triumphieren sie. Wenn die Bullen mich festnehmen, ist das ein geschossenes Tor für meine Feinde. Wenn sie mir mit ihrem Unfug Gesundheit und Lebenszeit rauben und mich mit Propagandageschwätz, Drohbriefen, Rechnungen, Fahrkartenautomaten, Volkszählungen, Strassenkontrollen und anderen Dingen die nur dem Kapital nützen entnerven, hagelt es Punkte für Team Deutschland. Vor meinem geistigen Auge paradieren die Fußtruppen an Inkassobüroangestellten, Vermieterinnen, Bullen, Sachbearbeitern, Heimpflegern und Sicherheitsleuten jeden Tag durch das Brandenburger Tor und wedeln in ausgelassenem Jubel ihre Waffen an Bescheiden, Durchschlägen, Handschellen, Knarren, Kontoauszügen und Mahnbriefen. Ich bin in meinem persönlichen Guerillakrieg gegen sie! Das gehässige Alltagsklein-Klein ist ausschließlich gegen mich gerichtet. Das muss ich begreifen. Ich muss Schwarzarbeiten, im Kaufhaus klauen, Fahrkarten fälschen, den Bullen Steine an ihre Köpfe schmeißen ohne erwischt zu werden und Steuern hinterziehen sobald ich das kann, Schufa Einträge sammeln, Rechnungen schreddern und Vermieter verklagen. Um die Alltagsschmach wettzumachen unter der ich leide, gibt es noch einiges zu tun. Ich muss aufrüsten, den Gegner ernst nehmen und doch den ganzen kriegerischen Vorgang als Sport begreifen, um nicht an Nervenstress und den damit verbundenen Magengeschwüren allzu früh zugrunde zu gehen. Deutschland-neo. Der aktuelle Punktestand lautet: 1098-3.