29.10.2011 – In einem Interview mit der ZEIT gibt sich Innenminister Hans-Peter Friedrich ungewohnt sanftmütig. Demokratische Prozesse im Internet will er schützen, die freie Kommunikation und die Meinungsbildung im Netz sichern.
Haben ihn am Ende doch die Argumente der Netzaktivisten, Datenschützer und Bürgerrechtler überzeugt?
Weit gefehlt! So neu Begriffe wie „Demokratie“, „Kommunikation“ oder „Teilhabe“ im Wortgebrauch des obersten Verfassungshüters auch sein mögen: Die Konzepte dahinter sind die gleichen geblieben.
Friedrich setzt nach wie vor auf Einschränkungen der Privatsphäre, staatliche Kontrolle, behördliche Speicherung und Späh-Software. Darüber hinaus sollen künftig auch friedliche Formen des Protests die Grundlage für den Einsatz staatlicher Anti-Terror Programme bilden. Unter dem Stichwort “Aufstachelung” sollen unter anderem Journalisten und Teilnehmer an Sitzblockaden in den Fokus der Ermittler geraten.
Allerdings hat Friedrich mit Unterstützung der ZEIT seinen Piratenfaktor erhöht. Erstmalig spricht er im Interview nämlich voller Stolz von seinen eigenen Online-Aktivitäten. Google+, Twitter, Facebook, VZ-Netzwerk und die eigene Webseite: Der Innenminister ist in der virtuellen Welt ein Hans-Peter Dampf in allen Gassen.
Des Ministers neue Kleider
Der Innenminister hat sich zum Imagewechsel entschieden und die ZEIT beteiligt sich mit einem quälend langen Interview am „Pimp-my-Fritz“. Der Titel der Personality-Story: „Friedrich plant Nichtangriffspakt für das Internet“. Das klingt zwar gut. Den friedlich wirkenden Begriff hat man ihm dabei allerdings in den Mund gelegt. Das wohlklingende Wort kommt in dem gesamten Interview nämlich nicht ein einziges Mal vor.
Stattdessen spult der Minister seine hinlänglich bekannten Thesen, Parolen und Forderungen ab und lässt dabei weder die bedrohliche Internet-Kriminalität, noch die Vorratsdatenspeicherung oder den Bundestrojaner aus. Während sich die Bürger weiterhin auf staatliche Überwachung und Kontrolle einstellen sollen, geht Hans-Peter Friedrich mit der Internet-Wirtschaft deutlich sanfter um.
Datenhungrige Online-Unternehmen sollen zwar von der Regierung gewissen Mindestanforderungen in Sachen Datenschutz erhalten. Die Umsetzung obliegt allerdings ihnen selber. Und wenn sie sich nicht daran halten, dann werden es Markt und Wettbewerb schon richten. Friedrich hierzu wörtlich:
Wir geben den Unternehmen gewisse Mindestanforderungen vor, lassen sie den Kodex aber selbst entwickeln. Wer sich nicht daran hält, muss mit dem Verlust von Nutzern rechnen, außerdem drohen wettbewerbsrechtliche Folgen.
Unverzichtbar für den Innenminister ist die wiederholte Betonung der bedrohlich wachsenden Internet-Kriminalität:
Heute kann jeder durchschnittlich begabte Kriminelle Baukästen für Schadsoftware kaufen.
Hiermit scheint der Innenminister allerdings nicht seine eigenen Behörden zu meinen, obwohl deren Schadsoftware nachweislich aus den Baukästen von DigiTask stammt. Den Einkauf bei einem privaten Unternehmen verteidigt der oberste Ordnungshüter erneut. Und in Bezug auf berechtigte Sicherheitsbedenken gegenüber dem Bundestrojaner verweist Friedrich wiederum auf die heilende Kraft der Märkte:
Auch die Softwarehersteller stehen im Wettbewerb und haben ja ein Interesse daran, eine einwandfreie Software zu erstellen, also keine Hintertür oder Sicherheitslücke in solch ein Programm einzubauen.
Nichts desto trotz hat das Ministerium entschieden, seine Schadsoftware in Zukunft selber zu entwickeln. Friedrich plant hierzu den Aufbau eines „Kompetenzteams“ beim BKA, das bei Kritikern bereits als neue Schnüffelbehörde gilt.
Vorratsdatenspeicherung und informationelle Selbstbestimmung
Zur Höchstform läuft der Minister auf, als es um sein Lieblingsthema, die Vorratsdatenspeicherung, geht. Er bedauert den emotional belasteten Umgang mit dem Thema und kritisiert, dass der Eindruck erzeugt wird, „es würden von jedem verdachtsunabhängig Daten erhoben“.
Wer sich jetzt verwundert am Kopf kratzt, der steht damit nicht allein. Denn besser hätte Friedrich kaum „erklären“ können, um was es bei der Vorratsdatenspeicherung geht: Die anlasslose Speicherung aller Kommunikations- und Verkehrsdaten aller Bürger. Und dann greift der Minister noch zu einer kleinen Unwahrheit:
Im Grunde geht es darum, die Verbindungsdaten, die bei den Anbietern ohnehin etwa zum Zwecke der Abrechnung anfallen, eine Zeitlang zu speichern.
Das ist natürlich Unsinn. Die Daten, die zur Abrechnung von Kommunikationsleistungen erforderlich sind, beinhalten keineswegs Informationen darüber, wer von wem angerufen wurde oder wo sich die Gesprächsteilnehmer zum Zeitpunkt des Telefonats genau befunden haben. Selbst die Erhebung klassischer Verbindungsdaten ist aufgrund von immer mehr Flat-Rates weitgehend überflüssig geworden.
In Sachen informationeller Selbstbestimmung liefert Hans-Peter Friedrich einen bemerkenswerten Vorstoß:
Wer sich im Netz bewegt und dort Daten eingibt, muss ein Recht auf Auskunft über von ihm gespeicherte Daten haben.
Interessant in diesem Zusammenhang: Eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag an die Regierung hat kürzlich ergeben, dass Bundesbehörden eine Gesinnungsdatenbank mit den Daten Tausender Linker führen.
Gespeichert sind hier aktuell 11.637 Datensätze von Personen mit linker Gesinnung, von denen allerdings lediglich 86 Personen mit Straf- oder Gewalttaten in Verbindung gebracht werden. Die Betroffenen wissen nichts davon, dass sie bei den Behörden unter diesem Merkmal geführt werden.
Auffallen könnten ihnen lediglich verstärkte Kontrollen oder die Anordnung von Unterbindungsgewahrsam durch die örtliche Polizei. Diese hat nämlich Zugriff auf die Daten.
Ebenfalls im Zusammenhang mit der informationellen Selbstbestimmung will Friedrich „dafür sorgen, dem Internet das Vergessen beizubringen“. Was sich auf den ersten Blick bürgerfreundlich und maßvoll anhört, entpuppt sich auf den zweiten Blick als geschönte Umschreibung für die Löschung von Inhalten im Web auf staatliche Initiative.
Neue Erfassungsrichtlinie: Aufstacheln als Grund für Anti-Terror-Maßnahmen
Ein wesentlicher Aspekt staatlicher Überwachungspolitik bleibt trotz der Länge des Interviews leider unberücksichtigt. Im Rahmen der Verlängerung des sogenannten Terrorismus-Bekämpfungs-Ergänzungsgesetzes wird ein neuer Tatbestand eingeführt, der staatliche Maßnahmen auch im Falle von friedlichen Formen des Protests ermöglicht.
Unter dem Begriff des „Aufstachelns“ fallen hierunter beispielsweise „kritische journalistische Kommentare“, Sitzblockaden oder das bloße Befürworten von Gewalt.
Den Rechtswissenschaftler Ralf Poscher, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Freiburg, erfüllt die neue Regelung mit Sorge. In seinen Augen ist das Sicherheitsrecht in Deutschland längst nicht mehr stimmig und benötigt eine grundlegende Reform.
Hierüber hüllt sich Hans-Peter Friedrich in Schweigen und die ZEIT-Redakteure Kai Biermann und Tilmann Steffen versäumen es auch hier, kritisch nachzufragen. Der „Nichtangriffspakt“ aus dem Titel des Interviews scheint sich damit wohl vorrangig auf das Verhältnis zwischen Qualitätspresse und Innenministerium zu beziehen.