Kredit verbraucht

Heute, als ich mit SF2000 das Thema "Christian Wulff" angesprochen habe und ihn fragte, wann er denn mit dem Rücktritt rechne, meinte der: "Stündlich."

Selten, wirklich selten konnte man einer Demontage eines Politikers so beruhigt zusehen und gleichzeitig wissen, dass für den wirklich kein Halten mehr sein wird. Schon vor nicht einmal anderthalb Jahren sah ich Wulff schon am Rande des Rücktritts. Doch die Wolfsburg-Affäre hat sich wohl soweit zerschlagen, dass dies nicht mal mehr einen Eintrag in dem Wikipedia-Artikel von Christian Wulff wert ist. Damals konnte man ihm wohl zu wenig beweisen.

Diesmal aber konnte man Wulff nachweisen, dass er als Politiker mit Amt sich kaufen ließ. Und als Sahnehäubchen obendrauf, dass er über die eisernen Maßstäbe stolpert, die er in seinem Amt selbstverständlich einhalten muss. So schreibt die taz dass Wulff Bild-Chefredakteur Diekmann von einer Auslandsreise auf dessen Mailbox anrief:

Am 12. Dezember hatte sich Wulff nach seinem untauglichen Versuch, Berichterstattung zu verhindern, in Kuwait wieder seinen Amtsgeschäften zugewandt.
Zum Abschluss der sechstägigen Reise in diverse Golfstaaten machte er sich nochmals für die Pressefreiheit in den Ländern der Region stark. Zwar seien Presse- und Meinungsfreiheit "immer ein Stachel im Fleisch der Regierenden und der Herrschenden", sagte Wulff laut Berichten von Nachrichtenagenturen, am Ende seien sie aber "die beste Grundlage für erfolgreiche gesellschaftliche Entwicklung".

Was mich am meisten an der ganzen Affäre ärgert ist die Geisteshaltung eines erwachsenen, gestandenen, erfahren Menschen. Zuerst ist es natürlich das Sich-Bereichern. Das Mitnehmen von günstigen Angeboten und Geschenken. Für welche Leistung eigentlich? Oder besser: für welche Gegenleistung? Und ist das überhaupt gerecht, wenn ein Amtsmensch sich Vorteile verschafft, die für den normalen Bürger nicht gelten? Gilt das nicht für einen Beamten genauso wie für einen Bundespräsidenten?

Bettina Gaus bringt dieses Denken mit dem Ausspruch "Das steht uns doch zu!" auf den Punkt. Dass Menschen (meistens Männer) in den Toppositionen außerhalb normaler Maßstäbe handeln und sich bereichern dürfen. Weil sie ja anders, weil besser sind.

Bis heute versteht er erkennbar nicht, was er eigentlich falsch gemacht hat. Er hat doch nur getan, was er tat, weil er sich mit seiner Haltung - wenn man denn sein Weltbild mit diesem noblen Wort umreißen möchte - völlig im Einklang mit dem geltenden Normensystem derjenigen glaubte, die in diesem Land über Einfluss verfügen.

"Das steht uns doch zu." Mit diesem Satz lässt sich jenes Normensystem zusammenfassen. Was "uns" zusteht: das Gedankengut anderer ohne Quellenangabe für die eigene Doktorarbeit zu nutzen. Die Zeitung, deren Chefredakteur man ist, zur Werbung für ein - zu Recht umstrittenes - eigenes Buch zu missbrauchen. Das Vermögen reicherer Freunde zum eigenen Vorteil einzusetzen. Anders ausgedrückt: eine Krähe unter anderen zu sein

Dennoch gut, dass Christian Wulff die Begründung für seinen baldigen Rücktritt uns schon mitgeteilt hat. Sie liegt auf Kai Diekmanns Mailbox und muss nur noch veröffentlicht werden.

Die haben abschließend auch was gutes: Diese Worte Christian Wulffs waren wenigstens ehrlich.


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