An Ampeln montiert, von Brücken hängend, auf Bushäuschen geklebt – Outdoorwerbung prägt zunehmend das Gesicht unserer Innenstädte. Rund 6.000 Mal am Tag kommt jeder von uns im Durchschnitt mit Werbung in Kontakt, hat das Institut für Marketing und Kommunikation ausgerechnet. 6.000 Stimuli, die auf unser Gehirn einprasseln und sich zu einem bunten Rauschen vereinen, in dem jeder leise Ton und jede versteckte Schönheit gnadenlos untergeht.
Wenn sie wenigstens kreativ, lustig oder ästhetisch wäre… Doch die meisten werbetreibenden Unternehmen setzen bei der Outdoor-Werbung (auch: Out-of-Home-Media) schlicht auf Reichweite in allerfeinster Holzhammer-Manier und brüllen uns mit abstrus-sinnbefreiten Plakaten auf Schritt und Tritt an (“Jetzt NEU! Jetzt KAUFEN”). Doch wie bei jeder Entwicklung gibt es auch bei der Außenwerbung einen Tipping-Point, ab dem das Ausmaß der visuellen Beschallung als unerträglich wahrgenommen wird und sich eine Gegenbewegung formiert: Adbusting.
Die Wortzusammensetzung aus “Advertising” (Werbung) und “to bust” (Kaputtmachen) bezeichnet die große Grauzone zwischen Straßenkunst und Sachbeschädigung, bei der jegliche Form von Außenwerbung verändert und uminterpretiert wird – in der Regel mit erhobenem Zeigefinger, moralischer Ohrfeige oder demaskierender Geste und einer guten Portion Kreativität. Adbuster verwenden die Waffen der werbetreibenden Unternehmen, richten sie gegen sie und versuchen mit minimalen Mitteln und maximaler Effizienz auf Werbelügen oder Missstände entlang der Produktionskette hinzuweisen. Ein paar aktuelle Beispiele:
Mit der aktuellen “Maybe”-Kampagne für Malboro hat uns die Agentur Leo Burnett aus Frankfurt lange mit weißen Plakaten angeteasert, auf denen nichts als “Maybe” stand. Nach der Auflösung folgten verschiedene Motive mit erhellenden Eventualitäten wie “MAYBE will never be her own boss” oder “MAYBE goes nowhere”. Eine leicht zu kopierende Schrift, ein modularer Aufbau der Kampagne und ein nicht unumstrittenes Produkt – die Plakate schrien ja geradezu nach Adbusting. Volkes Stimme tut nun kund: “Maybe you should go fuck yourself” und legt den Finger genau in die Wunde der auflagengebeutelten Kippenkönige. Das ist kreativ, das leuchtet ein, das amüsiert – ein Paradebeispiel für gelungenes Adbusting.
Weitaus weniger politisch, dafür mindestens so humorvoll wie das Malboro-Exempel ist diese Adbusting-Aktion des Berliners MrGoldkralle, der sich angesichts der klirrenden “Russenkälte” spontan erbarmt und den barbusigen Pornodarstellerinen, die für die XXX-Videothek um’s Eck werben, warme Pullover angezogen hat. read on Stricknorweger statt Latex-Einteiler. Das Video erfreut sich aktuell großer Beliebtheit und hat auf Youtube binnen weniger Tage über 120.000 Klicks eingesammelt. In kalten Zeiten rückt man eben näher zueinander und teilt solidarisch das sprichwörtliche letzte Hemd mit den Bedürftigen. Und wer könnte einen Pullover nötiger haben, als zwei nackte Blondinen bei -15°C?
Wärme ist genau, was der lädierte VW Touran Style in diesem Beispiel vom Prenzlauerberg im Überfluss hat: Indem Teile des Großflächen-Billboards abgelöst und versetzt wieder aufgeklebt wurden, entsteht mit ein bisschen schwarzer Dosenfarbe der Eindruck, Lagerfeld hätte mit einem Molotov-Cocktail an der rostbraunen Familienkutsche gezündelt. Das stark umgesetzte Motiv wird hoffentlich nicht als Aufruf physischer Gewalt gegen den größten deutschen Autobauer missverstanden, sondern soll eher den Grundgedanken des Adbusting ausdrücken: Kommerz mit Kreativität bekämpfen.
Siehe auch: saubere aktion: streetbranding in göttingen