Die kleinen Städtchen hier in unserer Gegend mit ihren typisch englischen Häuschen, die wie aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen, strahlen eine geradezu idyllische Wärme und Heimeligkeit aus, die einem schon ganz unheimlich ist. Vielleicht rührt das auch daher, dass man hier das Regionale sehr schätzt und dafür sorgt, dass alles irgendwie gebraucht wird und seinen Platz findet.
Ein Zauberlädchen in Slaithwaite
Besonders die junge Kreativszene scheint mir sehr aktiv zu sein. Allerorten stößt man auf kleine hübsch dekorierte Lädchen und Galerien mit handgefertigten Dingen und künstlerischen Rafinessen. Bei uns in Slaithwaite habe ich neulich erst so ein Wunderlädchen entdeckt, das den vielversprechenden Namen The Emporium trägt. Betrieben wird das Geschäft von jungen Freiwilligen, die die Verkaufsfläche an originelle Designer verteilen und vom Anteil an den Verkaufsprovisionen leben. Und die Ladenfläche ist tatsächlich ziemlich ausladend. In mehreren Räumen werden verschiedenste Kreationen dargeboten. Von liebevoll gestalteten Glückwunschkarten, außergewöhnlichem Schmuck, über selbstgenähte Kleider bis hin zu Gemälden, Fotografien und allerlei Kuriositäten reicht das Angebot. Als ich den Laden zum ersten Mal betrete, bringe ich Stunden darin zu. Meine Augen schweifen unablässig umher und können sich nicht sattsehen an den vielen Schöpfungen, die hier versammelt sind. Am meisten fasziniert mich die Passion, die hinter jedem einzelnen Gegenstand zu stecken scheint. Ich meine, da steckt jemand so viel Herzblut und Zeit in etwas, das so sehr aus dem eigenen Geschmack herrührt, dass es, egal, ob es tatsächlich ansprechend ist, allein dadurch hervorschimmert, dass es mit Seele gemacht ist. Ich mag das sehr. Und obwohl ich nichts wirklich kaufe, so fühle ich mich, als ich den Laden wieder verlasse, doch reich beschenkt und frohen Mutes, dass alles, was einem selbst mit solcher Phantasie entspringt, nicht ganz so geschmacklos sein kann.
Der Alternative Market – Sprungbrett für Jungunternehmer
In Huddersfield werden junge Talente sogar besonders gefördert. Der Alternative Market, der zwei Mal im Jahr stattfindet und noch relativ neu ist, bietet ein solches Sprungbrett. Junge Unternehmer im Alter zwischen 13 und 19 können sich bei der Stadt um einen kostenlosen Stand bewerben, an dem sie ihre vielfältigen Kleinodien feilbieten und einer breiten Öffentlichkeit präsentieren können. Höhere Jahrgänge bis 29 zahlen dann eine geringe Standgebühr.
Uns Mädels zog diese Idee magisch an, sodass wir uns am Ostersamstag auf den Weg machten, um das originelle Event zu besuchen.Mitten im St. Peters Garden, einem mit historischen Grabsteinen gepflasterten Kirchenvorplatz im Zentrum von Huddersfield erblicken wir den liebevoll herausgeputzen Markt. Komplett umgeben von Regenbogen-Wimpelketten, die frech im Wind hin- und herschaukeln stehen Designer, Künstler, Fotografen, Cupcakebäcker mit glücklichen und stolzen Gesichtern in ihren einigermaßen wetterfesten Büdchen, erklären, scherzen, unterbreiten Angebote. Schon am ersten Stand gehen mir die Augen über und ich gerate in Shoppingwut. An einem Schmuckstand erwerbe ich meine erste Kleinigkeit. “Alles Eigenkreationen” weist ein Schild aus. Doch dann sehe ich einen kleinen Ständer, an dem ein paar Ohrringe aufgereiht hängen, die mir seltsam bekannt vorkommen. Nach einer kurzen Rückblende fällt es mir ein. Dieses Paar Ohhringe in Regenschirmform habe ich doch vor rund einem Jahr auf einem Berliner Mittelaltermarkt erstanden. Eher unwahrscheinlich, dass diese junge Engländerin hier auch dahintersteckte. Nun gut, wir wollen es mal nicht so deutsch nehmen mit dem Plagiatsgewimmer. Wir ziehen weiter, bleiben mal an Komischem, mal an Ausgefallenem, an Aberwitzigem und Originellem hängen.
Dann fällt mir ein Stand ins Auge, der mich wirklich beeindruckt. Auf einem schwarzen Tuch dramatisch in Szene gesetzt und hübsch arrangiert blinken mir eine Reihe attraktiver Schmuckelemente entgegen. Ein metallenes Armband mit einem farbenfrohen Inlay hat es mir angetan. Sofort denke ich an das zierliche Schwesterchen meines Engländers und nehme es prompt als Ostergeschenk mit. Ein junger, sympathisch lächelnder Lockenkopf überreicht es mir in schwarzem Samttäschchen und ich bezahle gerade einmal 10 Pfund. Doch was die Sache so besonders macht, ist Folgendes: Alles in dieser Auslage ist aus recycelten, alten Skateboards gemacht. Ich meine, das ist doch mal wirklich originell und dazu noch äußerst umweltbewusst (eher untypisch für die englische Seele, wie ich immer wieder erfahre). Hut ab! Aber schaut selbst mal bei Sesh vorbei.
Die junge Kreativszene von West Yorkshire zeigt, was sie zu bieten hat.An einem der nächsten Stände habe ich ein persönlich tolles Erlebnis. Auf einer der Fotografien, die dort aufgereiht sind, entdecke ich ein Bild, das eine mir vertraute englische Gegend zeigt. Die Steine im Fluss vor Bolton Abbey. Ich freue mich innerlich wie ein Kind, als ich dessen gewahr werde, denn hey, ich bin ja nun noch nicht lange im Land und erkenne tatsächlich schon Orte wieder. In Berlin hätte man mich direkt in eine Seitengasse vom Kuhdamm setzen können, ich hätte nicht gewusst, wo ich bin.
Ich suche so ganz nebenbei auch noch nach netten Kleinigkeiten, die ich am nächsten Tag zum Ostermahl bei meiner englischen Familie aus dem Ärmel zaubern kann. Aus diesem Grund treibt es mich geradezu ohne Umschweife zum nächstgelegenen Spirituosenstand. Hier bietet ein englischer Teenager selbstgebrannte Liköre an, dessen Nuancen der Kunde je nach Gusto kreieren lassen kann. Hier gibt es Doughnut- und Marshmellowgeschmäcker, aber das scheint mir dann doch etwas zu gewagt. Ich entscheide mich spontan dagegen und weiter geht`s, vorbei an Spielzeug- und Kunsthandwerksständen und so manchem Kuriosum.
Die schniekeste Außentoilette, die ich je sah.So flattern an einem Stand mehrere T-Shirts umher, deren Aufschriften uns doch ziemlich verblüffen. Kleine deutsche Fußballvereine aus Regionen, von denen ich noch nie im Leben was gehört habe (was daran liegen kann, dass ich wohl keine Ahnung habe). Selbst die Jungspunde hinter der Auslade müssen schmunzeln, als wir uns verwundert amüsieren und man weiß nicht so recht, ob das vielleicht nur ein antiautoritärer Gag sein soll oder einer dieser seltsamen englischen Humoresken.
Der Skateboard-Recycler.Immerhin scheint der Alternative Market auch die Presse nicht unbeeindruckt zu lassen. An einem der nächsten Stände lungert ein Fotograf herum, der vorgibt, mit der Verkäuferin zu schnacken und dabei emsig in der Gegend herumknipst. Als ich davon ausgehe, der gute Mann hätte genug Fotos von diesem Stand hier in der Tasche, nähere ich mich dem Dargebotenen. Wie ich dann später erfahren sollte, war ich dann mitten auf dem Schnappschuss verewigt, der am nächsten Tag in den Onlinenews des Huddersfielder Examiners auftauchte. Die haben eben ihre ausgebufften Kniffe, diese Kolumnisten. Und so habe ich am Ende ein doch recht witziges Souvenir fürs Erinnerungsalbum mitnehmen können.
Voll erwischt.Nach einer guten Stunde gemütlichen Herumschlenderns haben wir alles begutachtet, manches betastet und bewundert, manches gegen Bares in die eigenen Tasche gleiten lassen. Jetzt erblicke ich eine winzige Bühne, dahinter verborgen ein etwas gelangweiltes Pärchen hinter einem Schild, auf dem zu lesen ist: “Origami-Workshop”. Wenigstens stehen die beiden nah am Geschehen und können ihre Papierdrachen steigen lassen, wenn später am Abend kleinere Bands, Rapper und Entertainer hier ihr Bestes geben. Aber das erleben wir nicht mehr, denn wir haben heute, an diesem sonnigen, frühlingshaften Samstag noch etwas anderes vor …
Eine Bühne für Newcomer.