Und so läuft mir Tag für Tag die Zeit davon. Irgendwie ist nie genug Zeit da, um der Kreativität Raum zu geben. Dem bißchen, was noch da ist. Denn: Kreativität braucht Zeit. Zeit zu wachsen. Es muß nachgedacht werden über Dinge, die ausgedrückt werden wollen. Nimmt der Alltag Überhand, dann bleibt nichts mehr, was noch gesagt werden muß, denn man nimmt sich nicht den Raum, nachzudenken. Nachdenken über das, was man zu sagen hat, über das, was noch übriggeblieben ist von dem, was man sagen will. Nachdenken über das, wie man das ausdrücken will, ob es nun jemanden interessiert oder nicht. Auf diese Weise - durch das Überhandnehmen des Alltags, Überhandnehmen der "wichtigen" Dinge - ist meine Malerei eingegangen, eines kläglichen Todes gestorben. Das Desinteresse hat gewonnen, denn zu mühsam ist die Beschäftigung mit Pinsel und Farbe.
Zum Glück gibt es ja die Fotografie, die, wenngleich nicht viel weniger schwierig, in weniger Zeit bewältigt werden kann - eine sehr verführerische Illusion. Denn auch bei der Malerei, man sollte sich das klarmachen, geht es nicht um das Malen an sich. Malen kann jeder Depp lernen. Es geht um das Meistern der Technik, bis sie so weit verinnerlicht ist, daß sie intuitiv wird. Das ist die Leichtigkeit, der Eindruck der Mühelosigkeit, der bei den wirklichen Meistern immer wieder in den Bildern zum Vorschein kommt. Schwieriger ist es, das Bild zu meistern. Komposition, Aussagekraft, nicht nur ein Bild zu schaffen, sondern ein Bild, das in dem Akt der Betrachtung beim Betrachter etwas auslöst: eine seelische Regung, Nachdenken, Überwältigung. Und genau darum geht es doch im Grunde auch bei der Fotografie, jedenfalls bei der Art Fotografie, die nicht für irgendwelche Stockagenturen, Werbung etc. gemacht wird, sondern der Fotografie, die kreativer Ausdruck ist. Die Technik ist eine andere, das Ziel ist dasselbe.
Aber um kreativ zu sein, braucht es Zeit, denn Kreativität ist ein Akt des Suchens. Und für diese Suche kann man keine Ablenkung gebrauchen. Sie ist nicht "eben mal so" dahingeschludert. Sie passiert nicht schnell, schnell zwischen Küche und Kindergarten. Sie kann nicht in der Zeit erfolgen, die ich mir abknapse, um zu fotografieren. Schnell, schnell, noch raus um das Licht auszunutzen. Suche nach dem idealen Standpunkt? Egal, keine Zeit. Warten auf den genau richtigen Moment? Keine Zeit, ich habe nur eine halbe Stunde. Und so weiter. Geduldiges Arrangieren und Rearrangieren, um die Komposition zu finden - keine Zeit, es muß auch so gehen. Und so knipse ich vor mich hin, ohne mir wirklich Zeit zu nehmen, meine Fotografie zu überdenken, zu überlegen, zu warten, zu suchen, mich zu fragen, was ich eigentlich erreichen will. Und ärgere mich hinterher über die Ergebnisse, weil ich nicht vorher durchdacht habe, was ich eigentlich will.
Das Schlimmste dabei ist, daß ich allen anderen die Schuld zuschustere. Meinem Mann, weil, naja, er ist sowieso immer derjenige - schließlich ist der Ärmste ja mit mir verheiratet. Meinem Sohn, weil er mal wieder nicht ohne Kuscheln ins Bett will ud mir meine freie Zeit "raubt". Dem
Nachdenken ist anstrengend. Punkt. Schlampige, mittelmäßige Arbeit ist weniger zeitraubend, weniger mühsam, weniger von allem. Ich mache es mir zu leicht. Zu leicht damit zu sagen, daß alle anderen und alles andere Schuld ist. Das ist nämlich gar nicht wahr. Zu leicht damit zu sagen, daß ich keine Zeit habe, weil nichts mir Zeit läßt. So, daher in Zukunft der Vorsatz: ein Mal pro Monat endlich meine, mir schon seit gut einem Jahr herumspukende Fotoserie, umzusetzen. (Damit meine ich übrigens den rein fotografischen Aspekt, bzw. den Aspekt des Bildproduzierens. Das Ganze zu entwickeln kann länger dauern.) Kein Essen, keine Landschaft, sondern..ja, irgendetwas anderes.
Ob ich es hier zeige oder nicht, weiß ich noch nicht, nur eben, daß es Zeit wird, den Frust loszuwerden und endlich mit der Prokrastination aufzuhören. Endlich anfangen, endlich weiterkommen.