Das mumok und das 21er Haus waren Schauplätze von Lebenshilfe-Seminaren der kreativen Art. Jennifer Lacey und Anne Juren nahmen im Rahmen des Impuls Tanz-Festivals das Innere des Menschen näher unter die Lupe.
Zur Therapiesitzung ins mumok
„Whats your problem and what action to take or: Your body ist he event in a long long string of events that is difficult to grasp and what to do about it.“ Dieser lange Titel erinnert an jene von Robyn Orlin, die ebenfalls auch für kurze Zeit nicht im Gedächtnis bleiben. Aber das rationale Denken steht bei der Performance von Jennifer Lacey im mumok auch nicht im Mittelpunkt des Geschehens. Im Rahmen der Serie „redefining Action(ism)“ setzt sich die in Amerika geborene und in Paris lebende Tänzerin und Choreografin mit den dort vor Ort gezeigten Videos der 60er-und 70er-Aktionistinnen und Aktionisten auseinander. Mithilfe von Freiwilligen aus dem Publikum nimmt sie das vorgefundene Material als Ausgangsbasis eines lockeren Spiels mit Tatsächlichkeiten und Möglichkeiten. „Wer ein Problem hat, möge sich bitte melden. Es sollte aber kein wirklich großes, unlösbares Problem sein“. Mit diesem Eingangsstatement setzt die Künstlerin die Hemmschwelle für etwaige Teilnehmerinnen oder Teilnehmer bewusst niedrig. Und tatsächlich melden sich junge Frauen, um an ihrer Seite in zwei Sessions hintereinander am kleinen Tisch vor Publikum Platz zu nehmen.
Lacey lässt die Probandinnen ihre Probleme erklären als da wären Unentschlossenheit bei Entscheidungen oder der eher seltenen Herausforderung: „Ich mag keinen Menschen, der mir begegnet“. Aus einem Stapel von bunten Blättern mit symbolhaften Zeichen dürfen die Frauen eines herausziehen und Lacey beginnt zuerst, das Symbol darauf zu erklären. Danach zeigt sie das aus der Ausstellung ausgewählte zugehörige Video und beginnt mit einer Interpretation desselben. Noch einmal wird eine Karte in Spiel kommen, eine Art Joker, die Lacey dazu nimmt, neue Gedanken in ihre kurze Session einfließen zu lassen. In einer Mischung zwischen einer Tarot- und einer Therapiesitzung mit lösungsorientiertem Ansatz parliert die Künstlerin eloquent über kreative Möglichkeiten von Shift-Wechseln wie Ausweitungen oder Einengungen von individuellen Lebensperspektiven. In blütenweißem, einem Arztkittel ähnlichem Blusenkleid, die Beine in silbernen Tanzschuhen elegant übereinander geschlagen, imitiert sie therapeutische Praktiken, jedoch mit dem dezidierten Hinweis, nicht wirklich helfen zu können. Allein das Setting beeindruckt die Probandinnen sichtlich. Laceys Leistung liegt nicht nur in der Erklärung des historischen Filmmaterials von Valie Export oder Carolee Schneemann, welches von den Frauen unbewusst ausgewählt wurde, sondern vor allem im kreativen Umgang damit. Angefangen von den Piktogrammen, die sie für die verschiedenen Videos vergeben hat, weiter über den Spielaufbau, bis hin zu ihren assoziativen Lösungsansätzen gelingt es ihr, neue Gedankengebäude anhand des alten Performancematerials zu konstruieren. Die Lockerheit, mit der dies alles einhergeht, mag vielleicht die eine oder den anderen von der Kreativleistung ablenken, ist aber wohlüberlegtes Kalkül.
Juren meets Feldenkrais meets Horror
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Konträr dazu ließ Anne Juren in ihrer Aufführung „The Point“ nicht nur das gesamte Publikum aktiv agieren. Sie setzte einer vordergründigen Wohlfühlaktion eine gehörige Portion Irritation bis hin zu Angstgefühlen auf. Dafür ließ sie die Teilnehmenden auf Matten hinlegen und sich, aufgrund der laufenden Klimaanlage im 21er Haus, mit Decken vor der niedrigen Temperatur schützen. Mit Elementen aus der Feldenkrais-Praxis ging es erst einmal harmlos ans Entspannen. Einzelne Körperteile bewusst spüren, imaginäre Farbklekse mit Schultern oder Becken auf den Boden pressen – bis hierhin wähnte man sich in einem sicheren Entspannungshafen. Ein ausgeklügeltes Sound- und Lichtkonzept (Christophe Demarte und Bruno Pocheron) unterstütze dieses Wellnessfeeling. Erst als die sanfte Stimme Jurens davon sprach, dass sie einem nun von den Füßen her die Haut abziehen würde, um mit ihrer Hand darunter in das Fleisch bis hin zu den Knochen zu fahren, das Gehirn in ihren Händen zu wiegen und Speiche und Elle auseinanderzuquetschen, hatte man große Mühe, sich dem weiterhin perfekten Entspannungs-Sourrounding hinzugeben. Das Horror-Kino im Kopf, das Juren kräftig ankurbelte, überwog zumindest bei jenen, die bis dahin nicht selig entschlummert waren. Und nach den Atemgeräuschen zu urteilen, waren dies doch die Mehrheit. Die Ambivalenz zwischen einem bekannten Setting, wie es Entspannungspraktiken anbieten, und einem Text, der, wenngleich auch mit sanfter Engelszunge gesprochen, horrible Szenarien aufbaute, ist ein typisches Beispiel für eine völlig schizophrene Situation, an der der menschliche Geist zwangsläufig scheitern muss. Dass Juren nach der Performance neben dem Ausgang mit geschlossenen Augen lag, bot zusätzliche, individuelle Interpretationsmöglichkeiten. Eine Vorstellung bei Impuls Tanz der gänzlich anderen Art, bei der nicht die Beine, sondern die Gehirnwindungen auf Hochtouren tanzten.