Linsey Pollak ist ein australischer Musiker und Instrumentenbauer, der auf der letztjährigen TED-Konferenz in Sydney eindrücklich und – zumindest für mich – tief bewegend veranschaulicht hat, was Kreativität bedeutet.
Zunächst in Worten:
Kreativität ist, zwei bisher nicht verbundene Objekte (Dinge oder Ideen) kombinieren und etwas Neues daraus erschaffen.
Dieser Satz ist zwar richtig jedoch nicht annähernd so fesselnd wie das dazugehörige Video. Denn Linsey Pollak baut in nicht einmal fünf Minuten mit einem einfachen Akkuschrauber aus einer Möhre (!) und einem Saxophon-Mundstück eine Klarinette. Und was aus dieser Möhrenklarinette herauskommt ist so bewegend, dass auch ein Kerl durchaus mal feuchte Augen bekommen darf ohne rot werden zu müssen.
Kreativ kochen ist herrlich.
Insbesondere in der Küche haben wir unzählige Möglichkeiten, mit Leidenschaft, gerne auch durchgeknallt und immer voller Möglichkeiten unsere Kreativität auszuleben.
Dabei kann es bei aller Freiheit durchaus hilfreich sein, ein paar Leitplanken zu haben. Der Dessertbaukasten soll die Aufgabe der Leitplanken übernehmen.
War Teil 1 ein Blick auf das Grundgerüst sowie auf den Werkzeugkasten und die großen Schubladen, so werfen wir jetzt einen Blick in den Werkzeugkasten hinein…
Obst
Obst ist gleichzeitig simpel und kompliziert. Simpel deshalb, weil man in der Regel nicht viel damit anstellen muss.
Gutes Obst steht für sich selbst.
Das macht es kompliziert: das Ergebnis steht und fällt mit der Qualität des Ausgangsproduktes. Shit in – shit out.
Es gibt kaum Obst, das durch Verarbeitung besser wird. Quitten und Aprikosen sind eine Ausnahme, Passionsfrüchte leiden zumindest nicht.
Gutes Obst zu bekommen ist nicht einfach. Flugware ist teuer und moralisch zumindest fragwürdig. Das Angebot im Supermarkt ist in der Regel bestenfalls mittelmäßig.
Dennoch ist der Einsatz von Obst der effektivste und effizienteste Weg zu einem spannenden Dessert: Obst transportiert Frische und Komplexität. Die meisten Obstsorten verfügen über relativ viel Säure, die das Dessert “schlanker” erscheinen lässt und den Speichelfluss anregt.
Grundsätzlich gilt:
- saisonal einkaufen
- den Markt als Bezugsquelle nutzen
- nicht knauserig sein
- wenn es exotisch sein muss, z.B. bei Mangos, besser zwei Euro mehr investieren
- meine Allzweckwaffe sind Passionsfrüchte. Sie verleihen fast jeder obstigen Soße eine feine Säure und dezente Exotik
- wenn das Obst in pürierter Form weiter verarbeitet werden soll, sind hochwertige TK-Pürees eine gute Alternative, z.B. von Boiron
- ansonsten kann man auch mit Sirup nachhelfen, z.B. von Monin. Das ist zwar immer nur die zweit-beste Lösung aber nicht verwerflich.
Crunch
Crunch ist der Antipode in jedem Dessert. Er bricht die Reichhaltigkeit der Creme und gibt den Zähnen etwas zu beißen. Außerdem liefert er die substantiell wichtigen Röstaromen – und das potenziell kinderleicht. Ein paar Mandeln oder Haselnüsse im Ofen goldbraun rösten, hacken – fertig!
Dabei sind in der Herstellung Schwierigkeitsgerade von 0 bis 100 möglich. Wer es sich einfach und entspannt macht, der zerhackt ein paar Kekse (wie hier) und zusätzlich eine Handvoll geröstete Nüsse und/ oder Schokolade wie in dem Rezept weiter unten. Noch komfortabler ist der Griff zur Müsli-Packung wie beim Kokos-Joghurt mit Crunch von Mia. Sehr gut gefällt mir auch die Idee von Denise, Panettone, dünn geschnitten, im Backofen zu knusprigen Crackern für ein Millefeuille zu backen.
Für die anspruchsvolleren Rezepte kann man Karamell kochen und zu Plättchen oder Tüllen formen, Florentiner backen, Crumble in den verschiedensten Rezepturen backen (damit der Crumble schön knackig wird, sollte er vor dem Backen einen Tag trocknen) oder hauchdünne Gelfilme zu federleichten Crackern trocknen.
Der Kreativität und dem persönlichen Anspruch sind keine Grenzen gesetzt.
Creme
Auch für die Creme gilt – von easy peasy bis zur französischen Hochküche ist alles möglich. Ich persönlich bin ein Fan von Milchprodukten. Durch ihr stark unterschiedlichen Charakteristika von Frisch bis Reichhaltig ergeben sie gemischt viele unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten.
Ergänzt man Ei und Hitze kann man sich in der unendlichen Welt der Custards austoben (wie bei Denise Panettone-Rezept) und fügt man dann noch Stärke hinzu, so erhält man – im besten Falle und sehr schwierig in Perfektion herzustellen – eine wunderbare Creme Patissiere.
Grundsätz gilt:
- Je reichhaltiger eine Creme, desto dringender benötigt sie Säure und/ oder Bitterstoffe um in der Balance zu bleiben. Schöne Beispiele sind diese klassische französische Passionsfruchtcreme mit unanständig viel Butter, die die knackige Säure der Passionsfrucht existenziell braucht und klassisches Tiramisu.
- Es ist häufig sinnvoll, Milchprodukte zu mischen um so “das Beste beider Welten” zu verbinden. Mascarpone und Joghurt verbinden Reichhaltigkeit (Mascarpone) und Säure (Joghurt). Die geschlagene Sahne im Quark ergänzt den leicht herben, trocknenden Quark um eine fluffige, üppige Note , ohne die der Quark bäuerlich wirken würde. Sahne und Creme Fraiche gehen auch gut, Sahne und Quark sowieso.
Und dann war da noch…
Kräuter
Einige Kräuter sind offensichtlich: Pfefferminze, Zitronenmelisse und Waldmeister zum Beispiel sind klassische Dessert-Spieler. Die meisten Basilikum-Arten, zum Beispiel auch Thai-Basilikum, eignen sich ebenfalls gut. Rosmarin passt gut zu Vanille, Koriander geht sehr gut mit Pfefferminze und/ oder Borretsch, Salbei und Thymian funktionieren in Bonbons und damit – dezent eingesetzt - auch in Desserts. Darüber hinaus kann es herausfordernd werden. Aber wie immer gilt: no risk – no fun.
Außerdem: Kräuter sind ein echter Hingucker. Ein paar gezupfte Blättchen frische Petersilie o.ä. werten jeden Nachtisch auch optisch auf.
Gemüse
Gemüse ist so herausfordernd wie spannend. Möhren sind dabei ein leichter Einstieg – sie werden sowieso in Möhrenkuchen oder, zusammen mit Orangensaft, in ACE-Drinks genutzt. Kürbis geht in eine ähnliche Richtung, Süßkartoffel auch. Gurke passt mit ihrer duftigen Frische sehr gut zu grünem Apfel und fast noch besser zu Melone und Ingwer. Schwarze Oliven und rote Beete machen sich, in etwas Schokoladigem versteckt, in der Regel ganz hervorragend.
Wer Herausforderungenm mag, versucht sich an einer der Kombinationen für den diesjährigen “Patissier des Jahres”-Wettbewerb: Rhabarber, Spargel und Estragon. Autsch!
Gewürze
Es gibt wenige Gewürze, die gar nicht in die Dessertwelt passen wollen. Paprika dürfte schwierig sein. Aber Salz, Pfeffer und fast die gesamte Gewürze-Palette der arabischen, indischen und asiatischen Küche, z.B. Safran, lässt sich ohne größere Herausforderungen verwenden. Dabei gilt grundsätzlich: keine andere Zutat lässt sich so unproblematisch mit Gewürzen verfeinern wie Schokolade.
Essig & Öl
Öle und Essige sind ein sehr spannendes Feld: Olivenöl passt sehr gut in den Dessertbereich, z.B. hier und hier. Gut passen auch Arganöl und fast alle Nussöle. Fruchtessige sind eine perfekte Ergänzung und, schnell mit etwas Honig angerührt, ein spannender Säurekick.
Alkohol
Alkohol geht immer (außer für Kinder natürlich). Alkohol sorgt für einen langen Abgang, funktioniert als hintergründiger Geschmackskick und gehört in jedes Eis. Im Winter ist Rum der Hit, z.B. zu geschmorter Ananas.
Soßen
Soßen können alles sein von relativ dünnen Cremes über süße Vinaigrettes, püriertes und verfeinertes Obst bis Karamell-basierte Soßen wie die im folgenden Dessert. Soßen sind ein schönes, kreatives Element, weil man sie gut dosieren kann und so an ausgewählten Stellen kleine Ausrufezeichen setzen.
Teig
Teige gibt es in der Nachtischwelt zu Hauf. Souffle, Pfannekuchen, Salzburger Nockerln etc pp. Das meiste davon sind Klassiker und sind in jedem einschlägigen Kochbuch ausführlich beschrieben. In diesem Zusammenhang sehr zu empfehlen ist das Pattissier-Standardwerk von Alain Ducasse, s. u. bei den weiterführenden Tipps.
Mascarpone-Joghurtcreme, Beeren, Passionsfrucht, Orangen-Butterkaramell
Mascarpone-Joghurtcreme
Siehe dort.
Beeren mit Passionsfrucht
1 Handvoll Himbeeren (TK)
2 Handvoll Blaubeeren (TK)
6 Passionsfrüchte
3 EL Puderzucker
1 Schuss Amaretto
Die TK-Früchte auftauen lassen, dann mit den restlichen Zutaten gut mischen.
Orangen-Butterkaramell
4 EL Zucker
150 ml frisch gepresster Orangensaft
Abrieb von 2 Bio-Orangen
75 g Butter
2 großzügige Prisen Meersalz
Den Zucker zu einem dunklen Karamell kochen. Den Orangensaft dazu geben (VORSICHT! Das kann böse spritzen), den Orangenabrieb und das Salz ebenfalls und das Ganze auf eine dezent sirupartige Konsistenz einkochen. Vom Herd nehmen und die kalte Butter in kleinen Stücken einrühren.
Anrichten
Alle Komponenten von oben
Haselnusskerne, in der Pfanne geröstet
Amarettini
Einen großzügigen Klacks Joghurtcreme in die Mitte eines großen Teller geben. Die Beeren mit einem Löffel darauf setzen und mit grob gehackten Haselnüssen und Amarettini bestreuen.
Den Butterkaramell ordentlich durchrühren und tröpfchenweise auf dem Teller um den Joghurt herum verteilen.
Weiterführende Links/ Inhalte
Eine umfangreiche und hervorragend aufbereitete Übersicht findet sich bei einem französischen Großmeister: Alain Ducasse - Grand Livre de Cuisine / Desserts und Patisserie.