Krass!

Günter Grass' Gedichtlein ist literarisch ungefähr so spektakulär wie Roches Feuchtgebiete. Sprachlich gehaltvoller freilich, aber inhaltlich sagt es auch wenig Neues. Die Reaktionen die er nun aber erntet sind Beißreflexe konditionierter Terrier, die Grass je nach Laune und Neigung Antisemitismus oder einfach nur Verdrehung der Tatsachen vorwerfen. Und wieder einmal steht auch die Freiheit der Kunst mit auf der Agenda der politisch korrekten Ausgestaltung dieses Landes - diese verlangt scheinbar auch, dass sich der Künstler so zu verhalten hat, dass daraus keinerlei Angriffsfläche entstehen kann.
Krasse Reaktionen
Grass hat seinen Zenit überschritten. Das ist auch nicht verwunderlich. Was soll nach seinen Werken, nach dem Nobelpreis auch noch kommen? Sein Outing, Mitglied der SS gewesen zu sein, wurde benutzt, um ihn zu diskreditieren. Die Reaktionen fielen damals so krass aus wie heute. Als wäre der junge Bursche, der blind und vielleicht auch unwissend, in jedem Falle aber unerfahren war, derselbe Mann gewesen, der später mit seiner Literatur an die Nazi-Ära erinnerte. Als hätte diese juvenile Mitgliedschaft all sein Erinnern, sein literarisches Umschreiben wertlos gemacht. Wer Grass damals dafür verurteilte, der hat nicht begriffen, was resozialisierende Aspekte sind - und er hat sich nebenbei mit einer Art von "spätgeburtlichen Gesinnungsterrorismus" hervorgetan, den man nur verurteilen kann. Denn das so viele mitgemacht haben in den Jahren 1933 bis 1945 war vielleicht skandalös, oft aber auch unvermeidbar, ohne es als Entschuldigung verwenden zu wollen - dass man nach 1945 darüber so beharrlich schwieg: das war der noch viel größere Skandal. Und Grass hat eben nicht geschwiegen.
Dieses Outing, es dürfte auch der Grund sein, warum man Grass nun für sein Gedicht abkanzelt. Man hat den Eindruck, es stammt von einem diskreditierten Menschen. Fehlt nur noch, dass man mit einer Schlagzeile titelt, die da lauten möge: "SS-Mann beleidigt Juden!" Noch geht es nicht so weit, noch ist die Empörungen typisch krasses Feuilleton-Wichtiggetue. Die taz macht Grass zum Antisemiten, der Stern will ihn mit dem Islamhasser Broder (!) entkräften. Letzteres ist kein Witz, sondern die Spiegelung des intellektuellen Zustandes jener Zeitung und vielleicht der gesamten Republik.
Krasses Weltbild in Schwarz und Weiß
Was gesagt werden muß - so der Titel. Wahr ist aber auch, dass Grass etwas dramatisiert. Es ist keine verbotene Wahrheit, man darf sie sagen. Man darf mittlerweile ganz andere Sachen sagen in diesem Land - Sachen, die an der Menschenwürde kratzen. Aber natürlich läuft man dann Gefahr, als Israelfeind und vielleicht gar als Antisemit bezeichnet zu werden. Das Selbstverteidigungsrecht, so argumentiert man dann, sei ausgerechnet für Israel so fundamental, dass man die jeweiligen Aspekte dieser Selbstverteidigung gar nicht hinterfragen dürfe. Endlich würden sich die Juden verteidigen, endlich seien sie nicht mehr Opfer. Das ist ja zu begrüßen. Aber ist die Praxis, wie Israel mit der arabischen Bevölkerung in und um Israel umgeht deswegen sakrosankt? Israel existiere in einem feindlichen Umfeld. Aber sind manche Feindlichkeiten nicht auch hausgemacht? Das muß doch mal gesagt werden dürfen - gesagt werden soll aber nur, was an Randgruppen ohne Lobby reicht; an Moslems, an Arbeitslose beispielsweise. Da darf dann auch menschenunwürdig gesagt werden. Das ist dann auch politisch korrekt.
Gerade den auch (nicht nur!) hausgemachten Hass auf Israel durch Israel selbst wirft man Grass vor. Er habe die Tatsachen verdreht. Und schon die Nazis hätten ja so argumentiert, als sie meinten, der Hass auf Juden sei den Juden selbst geschuldet. Aber es geht Grass auch nicht um Juden, es geht ihm um Israel - eine Unterscheidung, die es für manche Köpfe nicht zu geben scheint. In zwischenstaatlichen Dingen ist meist bilateral - Spannungen kommen nicht einseitig, sie entstehen aus zwei Lagern heraus. Israel sei ja nur Atommacht, um sich gegen den Iran zu schützen. Der plane die Atombombe schließlich - und er habe sie jetzt auch bald. Das hat Der Postillon, unnachahmlich humoristisch, vor einiger Zeit persifliert. Der Iran feiere, seit 20 Jahren kurz vor der Fertigstellung der Atombombe zu stehen - das zeigt eigentlich, wie ernst es dem Iran wirklich ist und mit welcher Chuzpe man diese Gefahr instrumentalisiert, um die eigene Gewaltbereitschaft zu rechtfertigen.
Krasse Abneigung gegen künstlerische Freiheit
Es ist ja nicht nur der politische Inhalt, der wie gesagt, nicht so neu, nicht so revolutionär ist. Die Folgen sind auch bekannt, Grass hat sie ja geahnt. Wer den Islam inbrünstig verunglimpft, der betreibt Islamkritik - wer Israel zaghaft kritisiert, der widmet sich dem Israel- und Judenhass. Man kennt das ja: die Macht der Begriffe. Letztlich geht es aber auch darum, ob ein Literat nicht die Berechtigung haben muß, seine Sicht der Welt darzulegen, ohne dass der politisch korrekte Teil der Republik aufbegehrt - wenn man Grass nun mit Sarrazin vergleicht, der auch mit Sprüchen wie Das wird man doch mal sagen dürfen! auflief, dann stimmt die Relation nicht. Sarrazin ist kein Künstler, höchstens ein staatlich subventionierter Lebenskünstler - sein Buch ist keine Literatur, es baut auf Statistiken, die teilweise so gelesen wurden, wie er sie gerade brauchte.
Grass ist Literat, Künstler also - er baut seine Welt nicht auf Statistiken und Zahlen, er macht damit auch keine Politik, sondern greift die Politik auf, um sie in sein Werk einzupassen. Der Literat beschreibt Gefühle, er zeichnet Tendenzen nach - ohne Anspruch auf Richtigkeit. Die Tendenz sollte dabei stimmen, nicht jedes Detail - wäre Kunst so genau, dann wäre sie langweilig. Grass gilt als deutscher Vertreter des magischen Realismus - gerade als solcher weiß er genau, dass es nicht um die absolute Detailiertheit der Wahrheit geht, sondern um die Stoßrichtung, die sein Schaffen haben soll. Und dieses Gedicht, es geht nicht in die falsche Richtung, wie man ihm unterstellt - die Reaktionen darauf zeigen das eindringlich. Den Nobelpreis erhalten: das ist eine Sache - Forderungen, man möge ihn wieder entwenden: das zeigt nur, dass man als Schriftsteller noch Wunden bohren kann und ist damit die Bestätigung, dass der Preis mit Recht verliehen wurde. Wenn es Kunst in die Empörungsspalten von Tageszeitungen schafft, dann hat sie etwas bewirkt. Aber die Reaktionen zeigen auch, dass man mit der Freiheit des Künstlers in Zeiten politischer Korrektheit ein Problem hat. Diese Freiheit behindert, erzeugt Diskussionen, polarisiert und lenkt ab - und genau das will man in Zeiten, da alles reibungslos und kritiklos geschehen soll, nicht mehr gerne haben.
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