Kranker Überfluss und unfreiwilliges Fasten

Gestern war Aschermittwoch und ab sofort ist Fastenzeit. Und was soll in diesem Jahr nicht alles gefastet werden! Nicht nur einfach mal weniger und gesünder essen, keinen Alkohol trinken, nicht rauchen und so langweilige Standards. Oh nein, ich habe gelesen, dass die Leute beispielsweise „Auto fasten“ wollen, indem sie das Auto öfter mal stehen lassen. Da macht zwar die GDL gerade einen Strich durch, aber dann wird halt „Bahn gefastet“. Ich weiß nur nicht, ob das auch gilt, weil das ja nicht so richtig freiwillig ist. Oder „Fernsehen fasten“ – eigentlich keine so schlechte Idee. Ich las sogar einen Aufruf zum siebenwöchigen „Facebook fasten“, was mir aber nichts bringt, weil ich damit sowieso nichts am Hut habe. Arbeit fasten fände gewiss mein Arbeitgeber nicht so gut, der kommt dann am Ende auf Gehaltszahlung fasten. Damit leite ich über zum einem Thema, das zwar wieder mit klassischem Fasten, vor allem aber mit dem unfreiwilligen Aspekt des Ganzen zu tun hat: Hunger.

In der Berliner Zeitung las ich einen Artikel über eins der großen Tabuthemen in den USA: Der Tatsache, dass immer mehr Einwohner der USA, genau, der ach so reichen und großartigen Vereinigten Staaten, nicht mehr genug zu Essen haben. Sie können sich ihre Ernährung schlicht nicht mehr leisten. Seit unter der Regierung Clinton die Sozialhilfeprogramme zusammengestrichen und der Sozialhilfebezug zeitlich begrenzt wurden – woran der kleine Bush natürlich nichts geändert hat – fallen immer mehr US-Bürger aus dem sozialen Netz. Sie sind auf die Wohltätigkeit ihrer Mitmenschen angewiesen, sofern sie sich nicht auf kriminelle Weise ihr Überleben sichern wollen.

Aber auch die viel gepriesene Wohltätigkeit der Reichen und Superreichen in den USA richtet sich nicht unbedingt an ihre eigenen Mitbürger. Zumindest nicht die Hungerleider. Denn eine weit verbreitete Überzeugung: ist: Wer es in den USA nicht schafft, an Geld zu kommen, der muss selbst schuld sein, wenn er es nicht schafft. Und wer selbst an seinem Elend schuld ist, um den muss man sich nicht kümmern. Das wäre ja noch schöner. Denn im kapitalistischen Musterland muss jeder sehen, wo er bleibt, das ist ja das Schöne an der Freiheit, die möglichst in der ganzen Welt herrschen sollte. Wer Kohle machen kann, so soll viel davon machen können, wie halt nur geht, und wer dabei auf der Strecke bleibt, war wohl zu dumm, zu untüchtig oder tragischer Weise zur falschen Zeit am falschen Ort. Wie die 1,3 Millionen der insgesamt gut 8 Millionen New Yorker, die kein Geld haben, um jeden Tag genug zu essen. „Nahrungsmittelunsicherheit“ ist die bürokratische Bezeichnung für diese Art des Zwangsfastens. Nun will ich mit diesem Beispiels aus den USA nicht sagen, dass es so etwas hierzulande nicht geben würde.

Zwar sind die Mieten in Berlin längst nicht so hoch wie in New York, doch auch hier ist es zunehmend so, dass sie einfach zu hoch werden, als dass das Sozialamt sie noch zahlen würde. Und wer dann nicht aus seinem gewohnten Umfeld heraus in die sozialen Brennpunkte nach Jottwedeh ziehen will, steht ebenfalls vor der Wahl Miete oder Essen zu bezahlen. Davon mal abgesehen, dass der Tagessatz für Kinder und Jugendliche ohnehin nicht für eine vernünftige, ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung ausreicht. Billigbrot lässt sich natürlich abwechselnd mit Billigwurst oder Billigkäse belegen und mit überlagerten und daher auch geschmack- und vitaminarmen Grünzeug von der Tafel aufpeppen.

Davon können sich die ganzen Faselheinis, die derzeit vom Fasten als nötige Übung in der Überflussgesellschaft predigen, auch gern mal eine Scheibe abschneiden. Und dann vielleicht auch mal überlegen, ob es Angesichts diese ja nun wirklich kranken Gesellschaft, die von allem zuviel hat – aber eben auch von Armut und Hunger – nicht ein besseres Rezept gibt als Einkehr und Fasten.



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