Ein bisschen aufgeregt sind sie schon, der Felix Brummer (Sprechgesang), sein Bruder Till (Bass), Karl Schumann (Gitarre und Gesang), Steffen Israel (Gitarre) und Max Marschk (Schlagzeug). Gemeinsam sind sie Kraftklub und derzeit allgegenwärtig. Spätestens seit ihrem Auftritt beim Bundesvision Song Contest wollen die Menschen im ganzen Land ihre energetische Mischung aus stampfendem Indierock und deutschem Sprechgesang hören. Vollkommen zu Recht. Wir treffen sie just an dem Tag, an dem ihr Debütalbum Mit K erscheint. Vor etwas mehr als vier Stunden haben die Plattenläden geöffnet. Die fünf Chemnitzer, allesamt Anfang 20, sitzen in einem Café in der Altstadt von Halle und rauchen. Ziemlich viel. Der sich stetig leerende Tabakbeutel liegt neben einem großen Latte-macchiato-Glas. Ob der Milchschaum wohl aus Sojamilch ist?
Was versteht ihr eigentlich unter Atzenmusik?
Felix Brummer: Was wir unter Atzenmusik verstehen?
In Eure Mädchen, dem Opener des Albums, heißt es doch «Wir machen Atzenmusik».
Felix: Mensch, das ist ironisch gemeint.
Schon klar, trotzdem.
Till Brummer: Wir wissen gar nicht, was das mit uns zu tun haben soll. Der Begriff wurde uns ja aufgedrückt, von jemandem, der offensichtlich der Meinung war, dass wir irgendwie Ballermann-Saufmusik machen.
Karl Schumann: Atzenmusik ist prinzipiell die Musik, die aus ‘nem getunten VW-Golf kommt.
Felix: Genau. Und unsere Musik kommt aus keinem getunten VW-Golf.
Sondern?
Felix: Sondern aus Limousinen. Weißen Stretchlimousinen. (lacht)
Lass mich raten: Das war jetzt Ironie.
Karl: Du hättest einen Link anfügen sollen von Wikipedia: Ironie.
Aber dieser Ansatz ist ja schon sehr offensichtlich und stellvertretend für das gesamte Album. Einerseits macht ihr in euren Texten sehr klare Ansagen und findet dafür auch deutliche Worte. Andererseits versteckt ihr euch in eurer Kritik immer wieder hinter ironischen Bemerkungen aus der Distanz. Warum?
Felix: Weil es sonst langweilig ist. Wir machen Musik, so wie wir uns miteinander unterhalten. Und da macht man halt viele Sprüche und erzählt ganz viel Quatsch, aber genauso irgendwelche ernsten Sachen.
Karl: Gute Vergleiche und Übertreibungen sind ja manchmal auch besser, als irgendwas ganz direkt zu beschreiben.
Auch auf die Gefahr hin, dass einige es nicht verstehen?
Felix: Ja. Das finde ich aber auch nicht so schlimm. Man muss nicht jeden Text sofort checken.
Aber das seid dann trotzdem noch ihr? Das ist keine reine Attitüde?
Felix: Das sind nur wir – und unser Freundeskreis. Von dem wir sehr viel aufschnappen und aus dem wir viel Inspiration schöpfen. Wir schreiben unsere Texte genau so, wie die Leute reden, mit denen wir uns umgeben.
Ihr lebt alle nach wie vor in eurer Heimatstadt Chemnitz und betont immer wieder, dort bleiben zu wollen. Mit Ich will nicht nach Berlin habt ihr zudem eine vermeintliche Antihauptstadthymne geschrieben. Was ist eigentlich so toll an der ostdeutschen Provinz?
Felix: Dass es halt nicht toll ist. Ja, dass es ganz offensichtlich scheiße ist. Das macht es aber irgendwie interessanter. Es ist eben keine Kunst, in großartigen Städten cool zu tun. Es ist halt ein bisschen schwieriger, aber auch ein bisschen lustiger, ‘nen Kotten zu schieben, wenn man aus Halle, Chemnitz oder Zwickau kommt. Oder von mir aus auch aus Düsseldorf.
Es kam also nicht in Frage, die Flucht nach vorn anzutreten, und den Alltag von Berlin, Köln oder Hamburg aus zu verarbeiten?
Felix: Erstens finde ich das ein bisschen inkonsequent. Und zweitens gefällt es uns tatsächlich in Chemnitz. Uns ist aber auch klar, dass es anderen nicht unbedingt gefällt. Wir sehen halt die schönen Sachen.
Karl: Außerdem sind die Menschen dort gut drauf, sehr bodenständig und zurückhaltend. Das gefällt uns. Wir verdrängen das Schlechte.
Felix: Aber das macht man doch immer mit seiner Heimat. Wir haben Kumpels, die in ganz klassischen Plattenbausiedlungen groß geworden sind. Und wo selbst wir sagen: «Ey, das muss doch voll scheiße gewesen sein.» Und die sagen: «Nee, das war das Beste. Die Kindheit war super.»
Und dass ihr Chemnitz immer noch Karl-Marx-Stadt nennt, schwingt da eine gewisse Ostalgie mit, die ihr beschwören wollt?
Felix: Nö.
Zur Zeit des Mauerfalls ward ihr alle gerade geboren oder wenige Jahre alt.
Max Marschk: Das ist einfach der interessantere Name. Und welche Stadt in Deutschland wurde sonst schon nach einer Person benannt?
Du singst vom Karl-Marx-Städter als «Loser» und «original Ostler». Ist der ursprünglich Ostdeutsche der Prototyp des klassischen Verlierers?
Felix: Nee. Aber wie das immer so ist: Man sieht die Dinge ja aus zwei Perspektiven. Und wenn man einen Schritt zurückgeht und sich das anguckt, sieht man einfach, dass vieles schief läuft. Gerade in der Generation unserer Eltern ist so ein gewisses Underdog-Ding festzustellen. Man kommt sich immer unterschätzt vor, in den Augen der anderen ist man immer die Lusche. Und das hat auf uns natürlich ein bisschen abgefärbt. Zumal wir die Erfahrung auch gemacht haben, als wir klein waren, dass irgendwelche anderen Kids gesagt haben: «Öh, ihr kommt aus Karl-Marx-Stadt…»
Sind Großstädte an sich nichts für euch oder hat euch nur Berlin etwas getan?
Felix: Zum einen ist Berlin die Stadt, in die 90 Prozent unserer Freunde gegangen sind. Und dann war es halt so, dass wir, als wir dort noch relativ frisch waren, die Zitate aus dem Song (Ich will nicht nach Berlin, Anm. d. Red.) tatsächlich gehört haben. Wir wurden halt ständig irgendwelchen Medienleuten vorgestellt, die unsäglichen Quatsch geredet haben. Im Prinzip haben wir gar nichts gegen die Stadt. Wir haben dort unser Album aufgenommen und haben uns sehr wohl gefühlt. Nur braucht man natürlich wie in jeder anderen Stadt so eine gewisse Zeit, um warm zu werden mit den Menschen, und um korrekte Leute kennenzulernen. Wir finden jetzt aber nicht Großstädte an sich scheiße.
Karl: Wir sind ja auch extrem viel unterwegs und waren zuletzt eigentlich nur auf Tour oder im Studio und kaum in Chemnitz.
Felix: Deshalb stellt sich die Frage eigentlich gar nicht, ob man woanders hinzieht, weil wir eh nie da sind, wo wir wohnen.
Karl: Und das wird noch ein paar Jahre so sein.
Lesen Sie auf Seite 2, warum Kraftklub keine Vorbilder für die heutige Jugend sind.
Ein weiteres wiederkehrendes Motiv in den Texten ist die Ungnade der späten Geburt. Sieht sich die Band auch ein bisschen als Sprachrohr einer Generation? Der Generation der Zuspätgeborenen, die bereits das Meiste und Beste verpasst haben, für die das Leben eigentlich nichts mehr parat hält.
Till: Wir sehen uns eigentlich eher als Sprachrohr für unseren Freundeskreis und unsere Kumpels.
Karl: Also, es ist nicht so, dass wir jetzt irgendeine Message für die Kids haben oder so.
Till: Wir wollen auf keinen Fall Vorbilder sein.
Felix: Wir sind, glaube ich, auch die schlechtesten Vorbilder, die man haben kann.
Warum?
Till: Weil wir ganz viel trinken und ganz viel rauchen.
Felix: Und uns über Sachen lustig machen.
Wenn ihr in der Zeit zurückgehen und Dinge für die Generation der Zuspätgeborenen wieder aufleben lassen könntet, welche wären das?
Felix: Wir wollen gar nichts wieder aufleben lassen. Ich finde auch Nostalgie oder Ostalgie das Schlimmste überhaupt. Ich finde die Leute immer total peinlich, die sagen: «Nach ’69 gab’s keine Rockmusik mehr» oder irgend so einen Quatsch. Das finde ich total blöd. Ich finde auch nicht, dass man irgendetwas wieder heraufbeschwören sollte. Wir sind uns sehr bewusst, dass es nicht cool ist, in einer Diktatur groß zu werden wie unsere Eltern. Aber trotzdem hat das halt einen gewissen Reiz, wenn man gesagt bekommt, wie das war auf irgendwelchen Punkkonzerten in irgendwelchen Kirchen.
Das heißt, das Leben hat auch der heutigen Jugend genügend zu bieten, sie muss es nur entdecken?
Felix: Ja klar. Wir sagen ja auch nicht, dass alles scheiße ist. Wir sagen nur, dass manchmal alles scheiße ist. Und dann macht man halt vielleicht in dem Moment ‘nen Song. Und dadurch, dass wir halt kein Sprachrohr einer Generation sind, müssen wir auch keine allgemeingültigen Standardsätze bringen, die für alle und immer gelten. Sondern können uns die Freiheit rausnehmen, etwas zu schreiben, was in dem Moment so ist, in ein paar Monaten aber vielleicht nicht mehr. Mein Gott, vielleicht leben wir ja mit Anfang 30 alle in Berlin? Ist mir auch scheißegal.
Ihr bezieht euch in euren Texten mehrfach auf Oasis. Was sind denn eure musikalischen Einflüsse?
Felix: Die meisten Einflüsse nennen wir nicht. Das sind Frank Zander und so was.
Frank Zander zusammen mit den Goldhamstern und Ja, wenn wir alle Englein wären, oder…?
Karl: Vor allem Kurt, der ohne Helm und ohne Gurt. Und Joe Cocker.
Gewissenfrage: Noel Gallagher’s High Flying Birds oder Beady Eye?
Felix: High Flying Birds! Aber sowas von 1000 Prozent. Am allerbesten wäre aber, wenn er diese Songs einfach von seinem blöden Bruder einsingen lassen würde.
Seid ihr eigentlich glücklich an dem Punkt, an dem ihr gerade seid, mit dem Erfolg, den ihr habt?
Felix: Als Band? Ja.
Und als Menschen?
Till: Als Menschen sind wir total unzufrieden. (lacht)
Felix: Wir sind ja im letzten Jahr von fünf Menschen und fünf guten Freunden, die viel zusammen abhängen, zu einer dicken Pampe mit zehn Beinen geworden. Und als diese Pampe sind wir sehr glücklich gerade.
Aber seid ihr dann noch interessant? Also auch als Band. Denn in Melancholie heißt es ja «Glückliche Menschen sind nicht interessant».
Felix: (überlegt) Du willst jetzt darauf hinaus, dass wir uns widersprechen. Doch wie ich vorhin schon gesagt habe: Man schreibt ja Songs nicht als allgemeingültige Parolen, die für ewig in Stein gemeißelt sind. Zu der Zeit waren wir eben noch nicht glücklich oder nicht mehr oder was auch immer. Und es wird auf jeden Fall die Zeit kommen, in der der Song wieder zutrifft. Wie es im Leben halt so ist. Es wäre ja auch langweilig, wenn es nicht so wäre.
Lieder als musikalische Momentaufnahmen also, die immer wieder zitiert werden können.
Felix: Ja, wie Glückskekssprüche.
Interpret: Kraftklub
Album: Mit K
Label: Universal Music
Veröffentlichungsdatum: 20. Januar 2012
Quelle:
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Kraftklub – «Die ostdeutsche Provinz ist offensichtlich scheiße»