Kraft und Vergänglichkeit

Das Untere Belvedere zeigt die Ausstellung „Die Kraft des Alters“. Wörtlich nehmen sollte man den Titel jedoch nicht, denn neben einer ganzen Anzahl von Kunstwerken, die alte Menschen noch in höchster Virilität zeigen, gibt es auch viele, die sich mit der Vergänglichkeit und dem Tod auseinandersetzen.

Eigentlich könnte man die Ausstellung in zwei ganz voneinander getrennten Teilen zeigen. Einen, in welchem Zeichnungen und Gemälde präsentiert werden, die kurz vor und nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden. In ihnen werden alte Männer meist in Portraits mit würdevollen Bärten dargestellt, alte Frauen sind, so sie sozial höher gestellt waren, eingehüllt in feinem Tuch, stoisch sitzend und lesend wiedergegeben. Aber einige Bilder, wie die eindrucksvollen, gezeichneten Selbstportraits von Paula Modersohn-Becker, die sie im vorgerückten Alter schuf, zeigen, dass Alter auch beschwerlich sein kann und oft mit Einsamkeit verbunden ist. Viel von der Kraft des Alters ist in diesem Ausstellungskonvolut, das von der Kuratorin Sabine Fellner, ausgesucht wurde, nicht spürbar.

Erst die Gegenüberstellung von zeitgenössischer Kunst eröffnet jenen Blickwinkel, welcher der Ausstellung ihren Titel gab. Von den 174 Werken von 105 Künstlerinnen und Künstlern stammt der größere Teil von zeitgenössischen Kunstschaffenden. Das Medium Fotografie sticht hier quantitativ besonders hervor, neben Installationen, Zeichnungen und Gemälden gibt es aber auch einige Videos.

Kraft und Vergänglichkeit

„Die Kraft des Alters“ (Foto: Johannes Stoll, © Belvedere, Wien)

Eines der berührendsten ist eine Kurzfassung des Filmes „Omsch“ von Edgar Honetschläger, das dieser 2013 seiner 101 Jahre alten Nachbarin Pauline Schürz widmete. Darin fing er nicht nur die Lebensumstände in ihrer Wiener Wohnung ein, sondern ließ ihr – bemerkbar in einer ruhigen Kameraführung mit lang andauernden Einstellungen – genügend Raum, ihre Gedanken zu formulieren. Einsamkeit aber auch das Thema Hektik und Zeit werden dabei genauso thematisiert wie die Freude der alten Dame an der Anteilnahme des jungen Künstlers an ihrem Leben. Einziger Wermutstropfen dabei ist die Präsentation im Marmorsaal, der aufgrund seiner hallenden Akustik denkbar ungeeignet für diese intimen, filmischen Momente ist.

Das Thema Alter wird in der Ausstellung in sechs unterschiedlichen Komplexen betrachtet, die sich jedoch nur durch das Lesen der Saaltexte wirklich erschließen. „Ewige Jugend / stolzes Alter“, „Vergänglichkeit“, „Einsamkeit / Verbundenheit“, „neue Freiheit“, „Muße und Erinnerung“.
Wohltuend fällt auf, dass nicht nur die Anzahl der weiblichen Künstlerinnen und der männlichen Künstler sehr ausgewogen ist. Auch in den Darstellungen werden beide Geschlechter behandelt.

Gleich zu Beginn nimmt Alfred Hrdlicka den geschlechtsbedingten Männerwahn ins Visier. In seiner Zeichnung „Der goldene Winkel“ steht das männliche Glied – ganz nach dem stilistischen Vorbild des Vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci – im Mittelpunkt der Komposition. An der Wand gegenüber beeindrucken Fotos der 1947 geborenen Martha Wilson, in welchen sie mithilfe von Fotos ihr eigenes Altern nicht nur humoristisch, sondern auch extrem gesellschaftskritisch aufzeigt.

Kraft und Vergänglichkeit

Joyce Tenneson, Christine Lee, 2002 (© Joyce Tenneson)

Wenige Schritte davon entfernt, entdeckt man das Plakatsujet der Ausstellung. Es zeigt Christine Lee im Alter von 67 Jahren, fotografiert von Joyce Tenneson. Das Foto war zugleich Titelbild des Buches „Wise Women“ der Künstlerin, in welchem sie Frauen zwischen 65 und 100 Jahren portraitierte. Die Sepia-Färbung, in welche die Bilder getaucht sind, verknüpft die Wahrnehmung automatisch mit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts und gibt somit einen ganz subtilen, zusätzlichen Hinweis, auf das höhere Alter der Fotografierten.

Neben Selbstbildnissen von Max Liebermann und Oskar Kokoschka findet sich auch ein imposantes Foto in Übergröße von Shirin Neshat. Es trägt den Titel „Bahram (Villains) „und stammt aus der Serie The Book of Kings. Neshat, Persona non grata im Iran, bezog sich in dieser Serie auf den Arabischen Frühling und portraitierte darin Männer und Frauen, zum Teil mit Bemalungen, die wie Tattoos wirken.

Die Vielzahl der ausgestellten Objekte erlaubt auch völlig subjektive Ausstellungserlebnisse, wie anhand der hier besprochenen Arbeiten aufgezeigt wird.

Drei Bilder und fünf Fotos des 2011 verstorbenen Roman Opalka zeigen in einem kleinen Nebenraum den höchst persönlichen Zugang des französisch-polnischen Künstlers zum Thema Zeit und Vergänglichkeit. Opalka schuf ein in sich geschlossenes Werk, in dem er über Jahrzehnte Leinwände mit fortlaufenden Zahlenreichen in weißer Farbe beschrieb, die Zahlen beim Malen aussprach, seine Stimme dabei auf Tonband aufnahm und den Hintergrund des neuen Bildes kontinuierlich aufhellte, sodass die Bilder an seinem Lebensende fast ganz weiß sind und die Zahlen darauf nur mehr schwer lesbar erscheinen. Jeden Tag fotografierte sich der Künstler zusätzlich in derselben Position und hielt auch damit sein eigenes Altern fest.

Einem so komplex durchdachten Zugang stehen andere gegenüber, die vor allem mit ihrer handwerklichen Präzision auffallen. Ron Mueck, englischer Bildhauer mit deutsch-australischen Wurzeln, arbeitete in den 80er-Jahren als Marionettist für die Sesamstraße und die Muppet Show. Berühmt wurde er durch seine hyperrealistischen, gigantischen Menschenskulpturen. In der Ausstellung ist er mit der Arbeit „Man in a Sheet“ aus dem Jahr 1997 vertreten. Einer kleinen, auf einem hohen Podest sitzenden Männerfigur, die gebeugt, ganz in weißes Tuch gehüllt ist. Nur das Gesicht mit feinen Bartstoppeln vermittelt den Eindruck eines alten Mannes, der sich offenbar in Meditation ganz aus dem Weltgeschehen ausgeklinkt hat. In diesem Werk verkehrt sich völlig jene Intention, die der Künstler mit seinen übergroßen, figürlichen Skulpturen erreicht, denn der kleine, beinahe zerbrechlich wirkende Mensch strahlt auch eine gehörige Portion Hilfsbedürftigkeit aus.

Die deutsche Collagekünstlerin der Body Art, Annegret Soltau (geb. 1946) hat auf beeindruckende Weise in ihrer Arbeit „generativ – Selbst mit Tochter, Mutter und Großmutter“ vier Generationen der weiblichen Linie ihrer Familie festgehalten. Angefangen von ihrer Tochter bis hin zu deren Urgroßmutter, vereinte sie alle nebeneinander, nackt, in stehender Position. Die Oberkörper tauschte sie jedoch in Collagetechnik aus, sodass die älteste Frau den Busen des Urenkelin trägt und umgekehrt. Mit zusätzlichen, grafischen Überarbeitungen, die wie grobe Narben wirken, verstärkt die Künstlerin das Moment des ohnehin sichtbaren, körperlichen Verfalles.

Vom österreichischen Fotografen Harry Weber (1921 – 2007) wird ein kleines, aber umso beeindruckenderes Foto gezeigt. Das „Paar im Altersheim“, in Lainz 1960 aufgenommen, zeigt ein Ehepaar in bodenlangen, gestreiften Morgenmänteln. Die Frau, neben ihrem Mann sitzend, knöpft diesem fürsorglich seinen Mantel zu. Nicht nur, dass die liebevolle Geste in Zusammenhang mit dem Alter der Personen sehr berührt. Es ist auch der Umstand, dass beide offensichtlich „Anstaltskleidung“ tragen. Weiß man um die Geschichte des Fotografen selbst, der als Jude unter den Nazis nach Palästina fliehen musste, 1946 nach Österreich zurückkehrte und für den Spiegel, Stern und den Gruner & Jahr-Verlag arbeitete, erhält dieses Foto eine zusätzliche Bedeutungsebene.

Das große Plus der Ausstellung „Die Kraft des Alters“ besteht nicht darin, ein einziges, bestimmtes Narrativ über den letzten, menschlichen Lebensabschnitt vermitteln zu wollen. Vielmehr beeindrucken die vielen künstlerischen Zugänge und Positionen, die das Altersphänomen von so unterschiedlichen Seiten beleuchten.

„Die Kraft des Alters“ läuft noch bis 4. März im Unteren Belvedere. Weitere Infos auf der Homepage.


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