Unter Öko, oder wie sie sagen: Eco verstehen Franzosen etwas völlig Anderes als wir. Zumindest im Tourismus. In einer deutschen Öko-Lodge würden wir Graubrot zum Frühstück erwarten, Eier von glücklich im Hof scharrenden Hühnern, eine stattliche Auswahl von Kräutertees und eigenhändig auf links gedrehten Joghurt. Wir gehen allenfalls barfußwandern, zur Schonung unseres CO2-Fußabdrucks und danach zeigen wir den Kindern auf umweltpädagogisch einwandfreie Weise: Nun, liebe Kleine, wir haben die Erde nur von euch geborgt, wir sind nur Gast hier, deshalb arbeiten wir jetzt mal brav an unserer Atemtechnik. Schön, wer’s mag.
In der Ascoa Ecolodge gibt es hingegen weder eine Kräuterspirale im Garten noch einen Komposthaufen. Soweit ich sehen konnte, darf Regenwasser einfach in die Erde fließen statt zum Autowaschen aufgefangen zu werden. Keine Ahnung, was sie mit dem Müll machen, wahrscheinlich holt ihn jeden zweiten Tag der service des déchets ab. Hier trifft man keinen einzigen So-retten-wir-die Natur-die Welt-und-das Universum-Apostel. Sie leben hier eher nach der Devise: Natur? Aber da kann man sich doch richtig gut amüsieren!
Dafür gibt es Cédric. Er war mein moniteur, als ich die Lodge besuchte. Sie hatten mich zu einer activité eingeladen. Was genau das werden würde, konnten sie mir noch nicht sagen. So wurde ich mit dem Satz begrüßt: “Le canyoning, tu aimes ça?”
Canyoning, hm. Ich muss gestehen, ich halte mich eigentlich fern von Sportarten, die a) eine Mordsausrüstung erfordern und b) auf -ing enden. Ich finde, einen Berg hinauf zu steigen und wieder runter, das ist als Sport nicht zu toppen. Aber wer wird eine Einladung von sympathischen jungen Franzosen schon abschlagen?
Wir sind elf, eine Gruppe junger Österreicher, zwei französische Pärchen und ich. Wir bekommen jeder einen Wetsuit, ein Hüftgeschirr, einen blauen Latz, den wir uns um dem Hintern schnallen, und einen roten Helm. Cédric führt uns – noch in Badeklamotten – gut 20 Minuten durch pieksende Macchia einen steilen Hang hinauf, dann sind wir da: am Canyon de Barquette. Wir zwängen uns in die Neopren-Anzüge und zurren alles fest. Das Programm, das Cédric stets auch in jenes lustige Englisch übersetzt, das Franzosen so sprechen, ist leicht zu verstehen. Wir steigen jetzt da runter, zwei Stunden lang. Dabei werden wir 1. durch Felsröhren rutschen, 2. von Felsen springen und 3. uns abseilen.
Cédric hält Wort, was den Spaß anbelangt. Er gehört zu jener Spezies von Guides, zu der man sofort Vertrauen fasst. So souverän, so cool, so entspannt kümmert er sich um uns. Und dann seine Erscheinung: Dünn und dabei muskulös, drahtig und sehnig. Ein Gesicht aus Knochen und Bartwuchs und ruhigen, hellen Augen. Der Mann ist eine Mischung aus Bergziege und Bachforelle, wie sich dann zeigt.
Auf der Anfahrt hat er mich in seinem uralten Jeep mitgenommen, in dem er die Ausrüstung transportiert. Nach ein paar Aufwärmfragen beginnt er zu erzählen. Dass er als saisonnier hier arbeitet, jeden Sommer drei Monate lang. “Als ich vor sieben Jahren zum ersten Mal nach Korsika kam, habe ich mich auf der Stelle in die Insel verliebt.” Dabei stammt er aus einer auch nicht gerade hässlichen Region: aus Chambéry in Savoyen.
Cédric arbeitet in drei Jobs. Wenn er nach der Sommersaison “nach Frankreich”, wie sie hier sagen, zurückfährt, verdient er sein Geld als spécialiste des arbres. Das ist eine Kombination aus Holzfällen, Baumbiologie und Forstwirtschaft. Gelernt hat er das in der Praxis. Dann in vielen Fortbildungen. Er absolvierte Kurse, Seminare, Erwachsenenbildung. Er klettert im Winter, auch bei Schnee und Minusgraden, auf Bäume, untersucht sie auf Krankheiten, nimmt Proben – und er legt fest, mit welcher Technik der Baum gefällt werden muss. “Es ist eine sehr harte Arbeit. Sehr hart”, sagt er. “Aber ich arbeite immer draußen. Ohne die Natur …” Er lässt den Satz offen.
Ein Holzfäller als Eco. Ein sehr handfestes, pragmatisches Verhältnis zur Natur. Doch der Natur unglaublich nah. Und wahrscheinlich ungleich effizenter und sinnvoller als Bäume zu umarmen. Für Mensch und Natur.
Zu Gute kommt Cédric dabei sein dritter Job: Kletter-Lehrer. Damit will er nun weitermachen, sich zum Bergführer diplomieren lassen.
Gelassen und ruhig lotst uns Cédric den Canyon hinab. Es ist tatsächlich der versprochene Spaß. Wir sausen im Fallwasser durch enge, spiralige Felsröhren, springen aus drei, vier, fünf Metern Höhe in Gumpen – “un, deux, trois – go!” – und am Ende lässt er uns am Seil eine cascade hinab, einen etas 15 Meter hohen Wasserfall. Nach zwei Stunden strahlen die Gesichter, die anfangs noch gespannt und konzentriert waren, nur noch. Und alle sind sehr durstig.
Voilà, so etwa geht Eco à la française.