Kopfkino ohne Kopfkino (Filmkritik: The Secret Life of Walter Mitty)

von Steffen Werthmann

+++ Achtung, dieser Text enthält Spoiler +++ Ben Stillers sechste Regiearbeit basiert lose auf einer Kurzgeschichte von James Thumber aus dem Jahr 1939. Stiller selbst verkörpert den introvertierten Tagträumer Walter Mitty, dessen reales Dasein nichts mit seinen wilden Fantasien gemein hat. Eine Figur, die sich erst selbst in ein echtes, waghalsiges Abenteuer stürzen muss, um ihre Scheue zu überwinden und am Ende das Herz der angehimmelten Kollegin Cheryl (Kristen Wiig) zu erobern. Jeder kennt solche Storys und Figuren aus dem Kino – Stillers Figur ist ein Stereotyp, älter noch als Thumbers Walter Mitty im Original.

Mitty arbeitet als Fotoarchivar für die Zeitschrift LIFE, die sich seit Jahrzehnten der Publizierung bildgewaltiger Reportagen widmet. Zu Beginn des Films, wird die Zeitschrift jedoch abgewickelt und übergangsweise von einem Triumvirat junger, arroganter Manager geführt, die die Arbeit an der letzten Printausgabe von LIFE überwachen. Vor allem die Figur des kinnbärtigen Managers Ted Hendricks (Adam Scott) wird zum Sinnbild des selbstgefälligen Karrieretypen, dessen Fachwissen und Lebenserfahrung lediglich aus Managerseminaren herrührt und somit an der Essenz und dem Selbstverständnis der Zeitschrift vorbei geht. Letzteres verkörpert hingegen der Abenteurer und Fotograf Sean O´Connell (Sean Penn), der für die letzte Printausgabe ein besonderes Negativ als Titelbild vorlegt, das jedoch ausgerechnet verloren geht.

Die Handlung kommt nur sehr schleppend in Gang, was vor allem daran liegt, dass Walters Tagträumen im ersten Drittel viel Platz eingeräumt wird. Während Walter Mitty zumeist leicht buckelig durch ein fast leeres und trostloses New York schlendert, parodieren seine Visionen atemraubende und actiongeladene Szenen aus Superman und Forrest Gump oder ergießen sich in schnulzige Anklänge an Benjamin Button. Auf der visuellen Ebene sind diese Tagträume überdimensionierte CGI-Protzerei – nett anzusehen, tragen aber nicht wirklich zu einem Erzählfluss bei. Die Handlung wird erst nach unnötig vielen Tagträumen belebt, wenn Walter Mitty sich auf die Suche begibt, das fehlende Negativ von Sean O´Connell, der lebendige Gegenentwurf zu seinem eigenen Charakter, aufzutreiben. Seine Suche führt ihn zunächst nach Grönland, weiter nach Island und schließlich ins Himalaya-Gebirge. Seine Erlebnisse ähneln seinen vom Kino inspirierten Tagträumen, so springt er halsbrecherisch auf einem abhebenden Helikopter oder rettet sich in letzter Sekunde aus den Fängen eines Hais. Erst hoch im Gebirge trifft er auf den mystischen, aber doch irgendwie omnipräsenten Fotografen Sean, der auf seine Chance wartet einen Schneeleoparden zu fotografieren, ein Tier, welches aufgrund seiner Seltenheit auch Geisterkatze genannt wird. Als die Katze endlich auftaucht, hätte der Film seinen mit Abstand besten Moment haben können. Sean schaut durch die Kamera, löst aber nicht aus, weil er den Augenblick nur in seiner Erinnerung bewahren möchte. Es sind einige anmutige und epische Sekunden des feinsten Kopfkinos ehe der Film tatsächlich auf das Bild der Geisterkatze umschneidet. Gegen Ende des Films erlebt der Zuschauer einen ähnlichen Moment. Walter findet das berüchtigte Negativ, schaut es sich aber nicht an, die Filmemacher konnten es aber nicht unterlassen, am Ende auch dies aufzulösen und das fertige Cover des Magazins zu zeigen. Ein Film, der so stark vom Kopfkino des Protagonisten handelt, lässt ausgerechnet keinen Spielraum für die Fantasie der Rezipienten – Schade.

Der Filmt handelt von den Vorstellungen kleiner Jungs über die Abenteuer großer Helden, doch letztendlich gibt es keine Trennlinie zwischen diesen beiden Figurenkonzepten: Es ist das Jungenhafte und Kindliche, was auch Erwachsene, sei es nun in der Fantasie oder in der Realität, antreibt. Sean O`Connell wird am Ende seine Kamera stehen lassen und zusammen mit Walter Fußball spielen, Walter selbst wird mit einem Skateboard über eine isländische Straße fahren. Dass das Magazin LIFE heißt ist ebenfalls kein Zufall, es geht um dieses authentische Lebensgefühl, dass die Zeitschrift verkaufen will, dass sich jedoch nicht erreichen lässt, indem man sich den Regeln der Digitalität und Schnelllebigkeit unterordnet. Sean und Walter arbeiten beide noch mit analogen Filmen und schätzen damit jede Aufnahme mehr als die digitalen Pendants. Walter lernt im Laufe der Handlung zu seiner Analogität zu stehen, kündigt sein digitales Partnersuche-Profil und geht offen auf seine Kollegin Cheryl zu. Er ist, wie Sean es formuliert, die Geisterkatze – eine Seltenheit in unserer von Managerzielen und Profitgier angetriebenen Gesellschaft.

Auch wenn die Handlung sehr vorhersehbar ist und der Humor nicht über reine Situationskomik und abgedroschenen Parodien hinauskommt, ist der Film kurzweilig und macht alles in allem Spaß. Die schauspielerischen Leistungen von Ben Stiller und dem brillanten Sean Penn überzeugen genauso wie die beeindruckenden Landschaftsaufnahmen, der Soundtrack und die farbliche Gestaltung des Films. Ein Spiel aus kalten und warmen Farben beherrscht die Bildebene. Das Großraumbüro des LIFE-Magazins ist genauso in Blautönen gehalten, wie das stürmische Meer, in das Walter Mitty später stürzt oder die einsamen Gebirgszüge, die er erklimmt. Aber Mitty findet in all diesen Umgebungen etwas Warmes. Im Büro bringt er zunächst einen Clementinenkuchen, dann eine in Orangetönen gehaltene Actionpuppe mit. Auf Island hat die Autovermietung nur zwei Autos vorrätig, ein blaues und ein rotes – Mitty entscheidet sich natürlich für das Rote, eine selbstreferentielle Kommentierung der Farbgestaltung im Film. Das von warmen Farben geprägte, gemütliche Innere des Schiffes ist ein gelungener Kontrast zur stürmischen See, wenn Walter und Sean den blauen Berg verlassen und Fußball spielen, sind sie bloße Silhouetten vor einem satten orangenen Himmel.

Im Laufe des Films verlässt Major Tom alias Walter Mitty, wie erwartet, den Boden und hebt ab in neue, unbekannte Sphären. Große Überraschungen und unerwartete Handlungsverläufe bleiben aus. Der Film leidet darunter, alles erklären und zeigen zu müssen und jeden Handlungsstrang sauber zu Ende zu bringen. Wenn auch gesamtdramaturgisch unbefriedigend, sind die einzelnen Szenen garantierter Spaß und die audiovisuelle Gestaltung purer Genuss. Fazit: Sehenswert – 7 von 10 Sternen. **********

Bildrechte: El Homiguero


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