Gestern abend trat Bob Dylan in Linz auf. Ich war dabei, was im Grunde genommen recht ungewöhnlich ist, da ich normalerweise versuche für Konzerte nicht allzu weit von dort zu pendeln, wo ich im Moment gerade lebe. Aktuell ist das Wien. Aber für Bob Dylan mache ich jederzeit eine Ausnahme also fuhr ich gestern Abend nach Linz.
Eigentlich hätte ich nach Bratislava fahren sollen, dort hatte er auch einen Termin gebucht, es ging aber nach Westen statt nach Osten, vor allem wegen der Tatsache, dass die Tickets fürs Konzert in Bratislava wesentlich teurer waren als in Linz. Bis heute ist mir der Grund dafür schleierhaft.
Egal, im Auto auf der A1 war die Distanz schnell bewältigt, für die Kurzweil war zuerst Willie Nelson verantwortlich – der spielt übrigens nächsten Sonntag in Wien, The Sandworm wird berichten – später sozusagen als Einstimmung Dylan selber. In Linz angekommen musste ich übrigens bloß einmal nach dem Weg zum Stadion fragen – die Musik habe ich vorsichtshalber abgedreht, ich fand es dann doch irgendwie peinlich am Weg zum Dylan Konzert Dylan zu hören.
Schon beim Parken vor dem Stadion hatte sich der Himmel verfinstert, ein Wolkenbruch war im Anmarsch, da man die Türen noch verschlossen hielt, setzte ich mich an die Seite und beobachtete die anderen. Das Publikum entsprach nicht unbedingt dem was ich mir normalerweise erwartet hätte, aber ich war durch das vorjährige Kristoffersonkonzert schon vorbereitet darauf, dass diese Art von Musik hier in Österreich, vermutlich ganz Europa, sehr vielschichtige Liebhaber anzog.
Als es zu regnen begann, stellte ich mich in die Schlange vor dem Einlass und hoffte, man würde die Türen öffnen bevor wettertechnisch der Teufel los war. Hat man nicht. Und so stand die Menschentraube plattgedrückt an die nur von einem Minimaldach geschützte Stadionwand und beobachete, fühlte, wie dunkelschwarze Wolken ihre ganze Last auf einmal los wurden. Die Stimmung war aber gut – Vertreter einer Linzer Radiostation verteilten Zuckerl und Kondome – was haben wir gelacht. Dylan hat schon recht wenn er singt: „Things have changed“.
Endlich ließ man uns ins total charmfreie Stadion, die meisten waren in der Zwischenzeit klatschnass. Wenigstens war es warm und ich vertrieb mir die Zeit bis zum Konzertstart mit dem Herumwandern durch die Halle. Man hatte offenbar auf die Anwesenheit von ein paar Beat-Anhängern gesetzt. Über die Lautsprecher spielte man eine Lesung von Jack Kerouacks „On the Road“ ein, ich bin nicht sicher, ob das angekommen ist, die Hintergrundmusik stammte kurioserweise von Barbara Streisand. Irgendwie passte diese komische Mischung aber auch wieder zur Stimmung in der Halle.
Fast pünktlich, nachdem der Meister offenbar die Erlaubnis gegeben hatte, die paar vor der Bühne Stehenden – unter die ich mich dann selber mischte – gewähren zu lassen, ging es los. Ohne viel Zeremoniell begaben sich Dylan und seine Musiker an die Instrumente, es gab kaum Deko, im Vordergrund standen die Musik und natürlich Bob. Mehr war auch gar nicht nötig.
Der Abend begann mit einem ordentlichen Blues. Ich kann und werde nicht auf die Setlist eingehen – nur soviel – Dylans Songs klingen nicht mehr wie das, was man von den alten Alben kennt, insgesamt aber hat ihnen diese musikalische Metamorphose sehr, sehr gut getan. Zum einen weil die Band aus erstklassigen Musikern bestand, man hatte die Instrumentenanforderungen für Stilrichtungen vom Blues, über Country bis hin zu Rock n’ Roll voll abgedeckt. Stehbass, Pedal-Steel-Guitar, Banjo, Keyboards im Hammondorgelklang, alles war da und wurde von der, so muss ich dazu erwähnen, überaus stylischen Band, professionellst bedient. Die modische Slickness dieser Truppe hat mich auch einiges an Aufmerksamkeit gekostet. Allesamt schienen wie aus einem modernisierten 1930er Gangster/Untergrundlokal-Filmset herausgenommen. Im Anzug, teilweise mit Fedora, Cowboyboots schufen etwas Westernatmosphäre. Ein Augen- und Ohrenschmaus.
Dylan selber trug ein skurriles Outfit, das ich als maoistisch anghauchtes Tombstone-Totengräber-Ensemble beschreiben würde. Weißes Hemd, Bootlace Tie mit Metallspange, Schwarzer Gehrock, schwarze Hose, beides weiß berändert, sehr coole Boots, am Kopf einen weißen Cordobés Hut. Vor allem aber schien er gut gelaunt zu sein und was folgte, kann man wohl am besten als eine sehr gut eingespielte Jam-Session beschreiben, die vom Blues zu einer Art Rockabilly, über Country-Klänge und die eine oder andere leisere Nummer bis zum Rock meanderte.
Insgesamt, so mein Eindruck, ist Dylans bevorzugte Richtung derzeit der Blues, was ich nur gutheißen kann, ist der Stil doch auch einer meiner persönlichen Favoriten und nicht wenige meiner Dylan-Lieblingsnummern sind blueslastig.
Der Meister pendelte also zwischen Keybords, Gitarre und Mundharmonika, legte den einen oder anderen inspirierten Hüftschwung ein und sorgte alles in allem für einen großartigen Abend. Mit mittlerweile 69 Jahren, in und mit seinen Liedern gereift, kann ich meinen Eindruck nicht anders formulieren, als in einer Art mathematischer Formel: Dylan = Musik = Lyrik. Wer sich also bei einem Bob Dylan Gig erwartet, dass der Alte auf der Bühne sitzt und seine Lieder so wiedergibt, wie er sie vor 30 oder mehr Jahren gesungen und gespielt hat, der hat nichts von Dylan oder von Musik insgesamt verstanden.
Ich und – so konnte ich aus den Unterhaltungen, die zwischen den Songs rund um mich stattfanden – viele Andere, waren begeistert. Als Dylan schließlich nach Nummern wie „I’ll be your Baby tonight“, „Highway 61 Revisited“ oder „Like a Rolling Stone“ den Abend mit „Forever Young“ schloss, war im Publikum mehr als spürbar, dass die meisten von Herzen wünschten, die Worte zu diesem Lied mögen vor allem ihm selber gelten.
Mein persönliches Fazit des Abends bestand darin, dass ich 19 Jahre nach dem ersten Besuch eines Dylan Konzertes feststellen kann, dass sich gleichermaßen alles wie nichts geändert hat und Dylan jener Musiker ist, der diese scheinbare Unvereinbarkeit am allerbesten verkörpert. Ganz nebenbei bemerkt, muss ich festhalten, dass ich Männer mit coolen Boots schon immer mehr als sympathisch fand.
Susanne, 13. Juni 2010