Letzte Woche kamen die Inspekteure.
Herr Gürcan gestikulierte mich hektisch zur Tür und raunte mir zu: "Da ist jemand gekommen!"
"Was? Wer ist gekommen?", fragte ich.
Er riss die Augen weit auf und bedeutete mir still zu sein.
"Ich brauch noch meine Bücher!", wisperte ich und wollte ins Lehrerzimmer gehen. Herr Gürcan machte aber ein derart entsetztes Gesicht, dass ich auf der Stelle stehen blieb.
"Welche Bücher brauchen Sie denn?", fragte er. "Ich hole sie für Sie."
Ich saß im Hinterzimmer und rauchte eine Zigarette als Ali vorbeikam.
"Was ist los?", fragte er.
"Da sind ein paar Regierungsleute gekommen," sagte ich.
"Ich weiß," sagte er. "Die sehen sich überall um und fragen jeden: Wer bist Du?"
Er sah mich eine Weile an. "Ah!", sagte er dann.
Einige Tage zuvor waren die Bilder gekommen. In der Schule gibt es jetzt eine "Atatürk-Ecke", eine Wand, an der die Lebensgeschichte Atatürks dargestellt ist. In den Unterrichtsräumen hängen neuerdings Tafeln, auf denen Mustafa Kemal mit visionärem Gesichtsausdruck abgebildet ist, daneben der Text des "Unabhängigkeits-Marsch" und eine Botschaft des Republikgründers an die Jugend der Türkei.
"Das muss so sein," sagt Sibel. "In jedem Klassenzimmer in der Türkei hängt sowas, das ist Gesetz."
In den Räumen der Universität, an der ich hier vor drei Jahren studiert habe, war die immerwährende Präsenz Atatürks noch penetranter. Dort wölbte sich in jedem Raum über den Tafeln ein überlebensgroßer, goldener Kopf mit seinem Konterfei in den Raum, mit markigen Augenbrauen und strengem Blick. Big Mustafa is watching you! als zusätzlicher Ansporn fleißig zu studieren, alles im Dienste der Republik, versteht sich.
Gegen Mittag gingen die Beamten wieder und ich kroch aus dem Hinterzimmer hervor.
"Tut mir leid, dass das ausgerechnet während Ihrer Zeit hier passiert ist," sagte mein Chef, "die kommen einmal im Jahr, da kann man nichts machen."
Und als Entschädigung spendierte er mir ein Milchdessert.