Von Stefan Sasse
Twilight Imperium ist ein Brettspiel, das in einer fernen Zukunft angesiedelt ist, in der große Reiche die Galaxis besiedeln. Es mag eine etwas ungewöhnliche Wahl sein, ausgerechnet die Hintergrundgeschichte eines Brettspiels zu besprechen, aber in diesem Fall ist der Hintergrund relativ detailliert ausgearbeitet und auch Basis eines (aus guten Gründen) gefloppten P&P-Rollenspiels gewesen. Die Hintergrundgeschichte selbst lässt sich relativ leicht zusammenfassen: Die Rasse der Lazax, ausgestattet mit überlegener Technologie, begründete mit viel Rücksichts- und Skrupellosigkeit ein galaktisches Imperium, innerhalb dessen Grenzen die sechs so genannten "Großen Rassen" den meisten politischen Einfluss nach dem Lazax-Imperator ausübten. Es kam, wie es immer kommt, und ein gewaltiger Krieg brach aus, in dessen Verlauf die Lazax ausgerottet wurden und die Galaxis sich kollektiv in die Steinzeit zurückbombte (die Twilight Wars). Nun, viele Jahrhunderte später, sind sie erneut soweit auszugreifen und Imperien zu errichten und den Thron zu erringen; ein Vorgang, der im Brettspiel selbst abgebildet wird. Zu der Qualität des Brettspiels nur ein Satz: ich habe einen über 70 Seiten langen Strategie-Guide dazu geschrieben. Noch Fragen?
Was also macht die Beschäftigung mit "Twilight Imperium" interessant? Zum einen der dreigestaltige Fokus der Entwickler. Die meisten Weltraumeroberungsspiele konzentrieren sich lediglich auf den Part des Ausbaus einer großen Flotte, mit der man andere große Flotten vaporisiert. Nicht so in Twilight Imperium, das wesentlich komplexere Mechaniken hat und, wie die Schachtel bereits verspricht, zu gleichen Teilen "Trade, Politics and War" beinhaltet. Tatsächlich ist das Ausüben politischer und ökonomischer Macht mindestens so wichtig wie das Tragen eines großen Knüppels, also einer Flotte. Man siegt auch nicht durch Militär; das ist lediglich ein Werkzeug, sondern durch Ernennung zum Imperator. Ich habe schon Spiele gesehen, in denen der Sieger keinen Schuss abfeuerte (obgleich die selten sind). Das ist das eine, durch die Spielmechanismen transportierte Element des Spiels. Es gibt Gesetze, Abstimmungen, Handelsverträge, und man fühlt sich auch, als würde man ein Imperium regieren und nicht nur Plastik auf einem Spielbrett herumschieben.
Das andere ist, wie bereits erwähnt, der Hintergrund. Es gibt eine große zahl (spielbarer) Rassen, die alle über unterschiedliche Attribute verfügen. Zahllose neutrale Planeten mit kurzer eigener Hintergrundgeschichte warten auf Eroberung oder friedliche Annexion. Nichts davon ist neu, und die Hintergründe sind hemmungslos bei bestehenden Science-Fiction-Geschichten geklaut. Gerade deswegen gerinnt der Hintergrund des Spiels zu einem wahren Denkmal all dessen, was in vielen Science-Fiction-Geschichten falsch gemacht wird. Dies sind vor allem zwei Dinge: Planeten als Nationalstaaten und Rassen als kulturelle Stereotype zu betrachten. Was ist damit gemeint? Man nehme als Beispiel "Star Wars Episode 1". Die Charaktere verbringen einen Gutteil der Laufzeit des Films auf Tattooine, einem Planeten, der praktisch ausschließlich aus Wüste besteht. In einem vermüllten Hinterhof finden sie einen schmierigen Händler und Sklavenhalter, dessen ganzes Verhalten und Auftreten frappant Klischees über arabische oder sonstwie ausländische Gebrauchtwagen- oder Elektronikhändler widerspiegelt. Gleichzeitig erfahren wir, dass die komplette Rasse so ist. Dasselbe Prinzip findet sich bei den Rassen von Twilight Imperium: sie haben ein einziges sie definierendes Merkmal und bewohnen einen Planeten mit exakt einem Merkmal. Beispiele gefällig?
Da sind die "Emirate von Hacan", eine Rasse von Katzenmenschen, die auf Wüstenplaneten leben und geborene Händler sind. Alle. Es gibt die "Baronie von Letnev", eine humanoide Rasse, die auf einem Industrieplaneten lebt und die kriegerisch sind. Alle. Es gibt das "Königreich der Xxcha", eine Rasse von schildkrötenähnlichen Wesen, wohnhaft auf einem Dschungelplaneten. Sie sind herausragende Diplomaten, alle. Die Sardakk N'orr sind eine insektoide, kollektiv organisierte und kriegerische Rasse, denen man das "alle" sogar abnimmt. Und die Hylar sind ausgezeichnete Forscher auf einer reinen Wasserwelt. Alle. Nur die letzte große Rasse fällt aus dem Raster, und sie tut es übrigens auch in fast allen anderen Science-Fiction-Stories von Star Trek bis Star Wars, und sie kommt in allen vor: die Menschen. Sie sind, immer, diversifiziert. Ihr Heimatplanet, die Erde, besitzt zahlreiche Klimas, sie sind nicht auf ein Attribut festgelegt und individualistisch. Viele dieser Systeme versuchen eine Art Gleichheit vorzugaukeln, einen objektiven Blick auf die Galaxis, während sie in Wahrheit nur eine Art Projektion rassistischer Stereotypen auf erfundene außerirdische Rassen darstellen. Nirgendwo werden die Grenzen dieses Vorgehens so frappant sichtbar wie im Rollenspielsystem zum Brettspiel, in dem der Hintergrund seine völlige Unergiebigkeit für Geschichten jenseits des Kampfs um den galaktischen Thron herausstellt. Einen Angehörigen irgendeiner dieser Rassen zu spielen ist unmöglich, solange man keinen Spaß daran hat ein laufendes Abziehbild zu verkörpern.
Es ist dasselbe mit Planeten. Mit Ausnahme der Erde haben sie stets ein vereinendes Merkmal. Der Stadtplanet Coruscant in Star Wars, oder der Waldplanet Kashyyk, der Eisplanet Hoth, der Waldmond Endor - aus irgendeinem Grund gelten Pole und Äquatoren nur und ausschließlich auf der Erde, spielen Jahreszeiten praktisch nur bei uns eine Rolle, gibt es diversifizierte politische Systeme nur bei uns. Und damit sind wir wieder am Kern des Themas: in Science-Fiction-Szenarien wird letztlich einfach nur die Größe aufgepumpt und die Namen verändert. Statt Nationalstaaten, denen wir Attribute geben - Agrarstaat, Industriestaat, High-Tech-Staat - geben wir sie nun Planeten. Agrarplanet, High-Tech-Planet, Industrieplanet. Statt Regierungen über Nationalstaaten herrschen zu lassen, oder über einen Kontinent, herrschen sie nun eben über Planeten oder mehrere zu einem Reich zusammengefasste Planeten. Innere Diversifizierung existiert überhaupt nicht. Es gibt in der Welt von Twilight Imperium keinen einzigen Planeten, der über mehr als eine politische Fraktion verfügt. Keinen einzigen. Es gibt auch keine echten Demokratien oder Republiken; diese scheinen irgendwie zu kompliziert zu sein, ich weiß es nicht.
Im Falle von Twilight Imperium kann man darüber hinwegsehen; es ist letzten Endes ein wenn auch sehr schön ausgearbeitetes Brettspiel. Aber das Problem findet sich auch in vielen anderen Science-Fiction-Darstellungen. Ich weiß nicht genau, warum das so ist. Irgendetwas an den schieren Dimensionen scheint die Macher solcher Systeme davor abzuschrecken, ernsthafte Umsetzungen zu versuchen. Vielleicht ist es auch das Bedürfnis, in der oft farbenfrohen und exotischen Welt solcher Science-Fiction-Umsetzungen Vertrautes zu entdecken. Vermutlich war das auch Karl Mays Ansatz, als er Winnetou entwarf, ich weiß es nicht. Es wäre allerdings durchaus an der Zeit, ein System von Science-Fiction-Politik zu entwerfen, das in der Lage ist differenzierter und etwas realistischer an die Lage heranzugehen und nicht monolithische Blöcke einander gegenüberzustellen. Deep Space Nine etwa unternimmt diesen Versuch, und während Battlestar Galactica ein wirklich gut gemachtes politisches Science-Fiction-System zeigt, so ist dieses doch ohne außerirdischen Gegenpart und rein auf Menschen fixiert. Eine echte political space opera, die Twilight Imperium so gerne sein möchte und nicht ist, fehlt uns leider noch immer.