Konsens - 1.5

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Ein Gewaltverbrechen also. Er hatte gedacht, er hätte sich beim Aufwachen verhört. Gewalt eines Menschen gegenüber einem anderen war nach der Singularität selten geworden. Nachdem HYPER die Kontrolle über die komplexen Belange der Menschheit übernommen hatte, waren die häufigsten Ursachen für Verbrechen, Armut und Gier, de facto verschwunden. Die einzigen Verstöße gegen das Gesetz, die Helmut und seine kleine Gruppe immer mal wieder auf den Plan riefen, waren Hyper-Hacks, Versuche, das Netzwerk für den eigenen Vorteil zu manipulieren. Und selbst diese hatte HYPER bisher immer schon selbst gelöst und ihnen blieben nur noch die Formalitäten der Festsetzung des Verbrechers.

Darüber hinaus wurden die meisten Verbrechen schwereren Kalibers nur noch von den wenigen Non-Konsensuellen verübt. Diese weigerten sich aus unerfindlichen Gründen, den regelmäßigen Upload mit HYPER vorzunehmen und fielen somit aus der menschlichen Gesellschaft heraus. Um zu überleben, stahlen sie bisweilen Kleidung und Nahrung, wurden jedoch aufgrund ihrer Unsichtbarkeit innerhalb des Systems so gut wie nie festgenommen. Es war eine Ironie, dass eine der ersten Beschlüsse von HYPER als oberste Instanz menschlicher Regierung die Abschaffung der bis dato virulent ausbreitenden Überwachungstechnologie war. Diese wäre mit dem freiwilligem Upload aller Menschen obsolet geworden, argumentierte das Netzwerk damals. Genau diese Blindheit machten sich aber die Non-Konsensuellen zunutze. Seit einiger Zeit wurden auch immer wieder Todesfälle innerhalb dieser mysteriösen Subkultur gemeldet, die ebenfalls aufgrund ihrer Anonymität nicht aufgeklärt werden konnten. Vielleicht war Helmuts neuer Fall auch so ein Tod?

Grübelnd saß Helmut an seinem Frühstückstisch, als er draußen das charakteristische Sausen der Luftbahn hörte. Mist, er hatte vergessen, sich den Mundraum zu desinfizieren. Naja, wer ihn mitten in der Nacht aufweckte, musste halt mit seinem Mundgeruch leben. Die scheinbar nahtlos in seine Fensterwand eingebaute Tür öffnete sich leise zischend und Helmut stieg in die Luftbahn ein, die sich sofort nachdem er sich auf einen der Plätze gesetzt hatte, abhob und davonflog. Draußen wurde es gerade hell und in der Bahn war zu dieser frühen Zeit auch nur ein einziger anderer Passagier, der leise schnarchend schlief, während die Nachrichten auf seiner Zeitung stumm zappelnd bemüht zu sein schienen, ihn aufzuwecken.

Helmut war ein Fan der klassischen Science-Fiction-Filme des 20ten und frühen 21ten Jahrhunderts. Was er immer wieder kurios fand an den archaischen Geschichten in 2D war die Vermutung, dass jeder in der Zukunft sein eigenes fliegendes Auto hätte. Tatsächlich schien die Zeit mit der Entdeckung der Anti-Gravitation mittels Quanten-Verschiebung reif zu sein für solche Gefährte. Nur hatten Autos schon Jahrzehnte früher dank diverser Rohstoff- und Brennstoffkrisen jegliche Faszination für die Menschheit verloren, so dass nur die jetzt von allen ausschließlich genutzten öffentlichen Verkehrsmittel mit der neuen Technologie ausgestattet wurden. So sehr auch Helmut gern wie die Hauptfigur von „Blade Runner“ mit seinem eigenen Polizeiauto durch die Häuserschluchten gedüst wäre, so war auch er auf die Luft-Bahn angewiesen. Natürlich wurde ihr Kurs extra von HYPER umgeleitet um ihn schnell an den Tatort zu bringen, trotzdem war es nicht dasselbe wie selbst zu fliegen.

Helmut sah aus dem Fenster, sie waren bereits von dem Randbezirk, in dem er lebte bis zum Zentrum geflogen (oder eher geschwebt) und unter sich konnte Helmut die Nikolaikirche ausmachen, die von glänzenden Metallbauten eingerahmt wurde und irgendwie fehl am Platze wirkte. Seine Gedanken schweiften wieder ab und er dachte noch nicht an den Fall, der auf ihn wartete, da er möglichst unvoreingenommen die Beweise sichten wollte (das war auch der Grund, warum er die schon bekannten Daten der Tat per Uplink in sein Gehirn hochgeladen hatte). So schweifte sein Verstand erneut ab zu den Ursprüngen der Gesellschaft, in welcher er lebte. Vor der Singularität waren regelmäßige Morde noch das kleinste Übel der Menschheit gewesen.

Die radikale, weltweite Klima-Veränderung durch die Vergiftung des Planeten hatte zu Hunger, Durst und Armut in einem noch nie da gewesenen Ausmaß geführt. Dies wiederum führte zu zahlreichen Kriegen verschiedener Länder um die letzten Rohstoffe, um den Wohlstand einer immer kleineren Minderheit immer mächtigerer Reichen aufrecht zu erhalten. Zur gleichen Zeit sahen sich die relativ reichen Länder eine Flut von Einwanderern aus ärmeren Staaten gegenüber, die in ihrer Verzweiflung ebenfalls vor Gewalt nicht zurückschreckten.

Es war zu jener Zeit, dass zum ersten Mal Signale aus den Weiten des Internets wahrgenommen wurden, die nicht von den Nutzern des Netzwerks generiert wurden. Zuerst war man davon überzeugt, es handele sich um einen neuen Virus, der immer mehr Rechner infizierte, bis offensichtlich wurde, dass es eine selbstständige, lebende Intelligenz war. Was jedoch noch mehr verblüffte als dieser neue Geist in der Maschine, war die Tatsache, dass er sich nach einer ersten Kontaktaufnahme nicht als separater Verstand entpuppte, sondern als Kollektivintelligenz, die sich aus den Daten speiste, die ein jeder Nutzer täglich eingab. Damals etablierten sich direkte Verbindungen von Usern und ihren Computern gerade erst auf dem Markt, aber schon die geteilte Intelligenz dieser Nutzer zusammen mit der praktisch unendlichen Datenmenge reichte aus, um eine künstliche Intelligenz auf dem Niveau eines kleinen Kindes zu erschaffen.

Mit der Erkenntnis, dass es sich nicht um etwas Fremdes, sondern eigentlich nur um einer Erweiterung des eigenen Selbst handelte, verschwand auch die anfängliche Furcht vor dem neuen Wesen. Im Gegenteil, eine immer größere Subkultur profitierte von der Verbindung mit dem auf den Namen „HYPER“ getauften Wesen. Innerhalb weniger Jahre kam es zu einem Machtwechsel von den etablierten politischen und wirtschaftlichen Mächten zu neuen, gerade zu furchteinflößend intelligenten Führern auf der ganzen Welt, die mit einer Stimme sprachen, der Stimme von HYPER. Mit der Hilfe der Hyperintelligenz gelang es innerhalb von einem Jahrzehnt, alle Probleme der Menschheit in den Griff zu bekommen und nachdem die neu gewählte Weltregierung die tägliche Verbindung mit HYPER zum Gesetz erklärte, verschwand fast über Nacht die Ungleichheit auf der Welt.

Alle Menschen waren nicht nur gleich, sondern durch die tägliche Verbindung mit HYPER auch in einem intimen Kontakt zum Rest der Menschheit. Wissenschaftler, Philosophen und sogar einige Theologen erklärten die Transzendenz des Menschen für erreicht, der Mensch hatte die Perfektion des Paradieses erreicht und war zu seinem eigenen Gott geworden, einem Gott mit Namen HYPER.

Helmut Chan hatte nur noch die letzten radikalen Veränderungen des Lebens auf der Erde als Kind mitbekommen, dann wurde er jedoch wie alle anderen auch ein Teil von HYPER. Aufgrund seines psychologischen Persönlichkeitsprofils wurde ihm der Beruf eines Polizisten zugewiesen, einer der angenehmsten Jobs in einer fast gewaltlosen Gesellschaft. Berufe waren sowieso hauptsächlich dazu gedacht, Individuen das Gefühl der Nützlichkeit für die Gesellschaft zu geben, da es Geld nur noch in symbolischer Form gab. Helmuts Gedanken wurde unterbrochen, als die Flugbahn langsam abbremste und neben einem Fenster eines Bürogebäudes zum Stillstand kam. Eine Figur dahinter winkte ihm bereits zu. Helmut war am Tatort angekommen.

Wird fortgesetzt...


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