Konrad Adenauer war der erste deutsche Bundeskanzler
Bundesarchiv, B 145 Bild-F019973-0017 / Gerhard Heisler / CC-BY-SA 3.0 Foto: Ara Güler/KAS-ACDPAm Anfang war Adenauer - aber die Entscheidung war knapp. Denkbar knapp. Mit einer einzigen Stimme Mehrheit wählt der Deutsche Bundestag Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. "Et hett noch immer jut jejange", raunt er seinem Sitznachbarn zu, als Bundestagspräsident Erich Köhler das Ergebnis verkündet. Der selbstbewusste Rheinländer lächelt, er hat sich selbst gewählt. Für ihn ist das nur folgerichtig: "Etwas anderes wäre mir doch als Heuchelei vorgekommen", hält er den verdutzten Journalisten fröhlich entgegen. Heuchelei hat der 1876 geborene und zum Zeitpunkt seiner Wahl über siebzigjährige Rheinländer nicht nötig. Er ist fest verwurzelt in bürgerlich-katholischen Grundwerten, die auch seine politischen Überzeugungen prägen. Im Lauf eines langen Berufslebens (erst als Jurist, dann als Politiker) ist er diesen Überzeugungen treu geblieben.
Er hat sie selbst in den dunklen Tagen nicht verraten, in denen ihn private und politische Schicksalsschläge ereilt haben. Weder ein schwerer Autounfall (1917), noch Adolf Hitler brechen ihm das Rückgrat. Als Kölner Oberbürgermeister (1917-1933) verweigert er dem Nazi-Reichskanzler auf Wahlkampfreise nicht nur die erwartete Gefolgschaft. Auch die obligatorische Begrüßung am Flughafen und die Hakenkreuzbeflaggung fallen aus. Was einst abschätziges Kopfschütteln provozierte, wird in der jungen Demokratie brav beklascht. Denn Adenauer, der den NS-Terror im inneren Exil in Maria Laach übersteht, braucht keine uniformierten Straßenschläger und keinen Unterdrückungsapparat, um zum starken Mann in seiner Partei, der CDU, und an der Staatsspitze zu werden. Adenauer erzieht die Deutschen zur Demokratie, gerade indem er vorlebt, wie man auch im Pluralismus für die eigenen Überzeugungen einstehen und für sie kämpfen kann. Damit macht er sich zwar nicht nur Freunde, aber er prägt und festigt die anfangs brüchige Demokratie, indem er sie als Bundeskanzler durch die Kinder- und Jugendjahre führt. Dass es 14 Jahre Kanzlerschaft werden würden, das hat wohl am Tag seiner ersten Vereidung niemand gedacht.
Lizenz: KAS/ACDP"Keine Experimente" ließ der bereits erfahrene Kanzler plakatieren. Adenauer selbst hat dagegen immer wieder mutige Experimente gewagt - und dabei meistens gewonnen: Seit seinen kommunalpolitischen Anfängen in Köln gilt er als "einer einer dieser eigenwilligen, unbequemen, wagemutigen Modernisierer, aus denen die moderne deutsche Gesellschaft ihre Dynamik bezog", urteilt einer, der wissen muss: Hans-Peter Schwarz, der maßgebliche Biograf Adenauers (siehe oben: linke Spalte). Regelrechten Erfindergeist demonstrierte Adenauer auch als Hobbytüftler, der gerne nützliche Geräte erfand (etwa eine Gartenhacke mit Hammerkopf). In der großen Politik wagt er große Experimente: Gegen den Widerstand der Opposition setzt Adenauer auf die Westbindung der Bundesrepublik - mit Erfolg!
Der Gründungskanzler integriert (als sein eigener Außenminister) Deutschland in den Kreis der westlichen Demokratien. Zusammen mit General Charles de Gaulle söhnt er Deutsche und Franzosen aus und begründet damit eine bis heute fruchtbare Freundschaft zwischen ehemaligen Erbfeinden. Auch in Italien bastelt Adenauer unermüdlich daran, die europäische Idee umzusetzen.
Villa La Collina in Cadenabbia (Foto: Odehnal/KAS-ACDP)In Alcide de Gasperi findet er einen gleichgesinnten Regierungschef in Rom, in der Villa La Collina in Cadenabbia am Comer See ein ideales Feriendomizil, von dem aus dem sich entspannt Weltpolitik machen lässt. Natürlich gibt es auch fehlgeschlagene Adenauer-Experimente: Im Jahr 1959 liebäugelt er kurz mit dem Amt des Staatsoberhauptes, von dem er sich entscheidenden Einfluss über seine Kanzlerschaft hinaus verspricht. Als ihn Theodor Heuss daran erinnert, wie sehr Adenauer als Kanzler den Bundespräsidenten aus dem politischen Tagesgeschäft herausgehalten hat, da will der "Alte" doch lieber Kanzler bleiben. Die SPIEGEL-Affäre 1962 wirft ebenfalls kein gutes Licht auf Adenauer: Wegen kritischer Berichterstattung werden die Redaktionsräume durchsucht. Herausgeber Rudolf Augstein und sein stellvertretender Chefredakteur Conrad Ahlers werden wegen vermeintlichen Landesverrats verhaftet. Die anschließende Regierungskrise läutet das Ende der adenauerschen Kanzlerschaft ein. Ein Jahr später übergibt er sein Amt grantelig an Ludwig Erhard (Eulengezwitscher-Extra am 5. September). Der erste Alt-Kanzler zieht sich nach Rhöndorf zurück, züchtet Rosen, spielt Boccia und schreibt seine Memoiren. Selbst wenn er nicht an sein politisches Leben erinnert hätte: Die (westliche) Welt weiß, was sie dem Rheinländer verdankt: Nichts weniger als einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung eines friedlichen und freien Europas, das trotz mancher Meinungsverschiedenheiten zusammenarbeitet, anstatt sich zu bekämpfen.